: Die Schiiten des Irak
■ 45 bis 60 Prozent der Bevölkerung — nicht nur im Süden
Manama (AFP) — Die schiitischen Araber im Irak, deren Schutz sich die Alliierten vorgenommen haben, stellen schätzungsweise 45 bis 60 Prozent der 18 Millionen Menschen im Irak. Sie leben nicht nur im äußersten Süden des Irak, sondern auch weiter im Norden bis hin zur Hauptstadt Bagdad. Das heißt, daß die von den westlichen Ländern vorgesehenen Schutzpläne nur einen Teil der schiitischen Bevölkerung erreichen werden. Als nördliche Grenze des Gebietes, das für die irakische Luftwaffe gesperrt werden soll, sehen sie den 32. Breitengrad vor (siehe Karte). Nördlich dieser Grenze befinden sich jedoch zahlreiche Städte mit mehrheitlich schiitischen Einwohnern, darunter Kerbala, wo sich das Mausoleum von Iman Hussein, des dritten schiitischen Imam, befindet, und Bagdad. In den Arbeiter- und Armenvierteln der Hauptstadt, in Saddam City und Kadimmijah, leben heute mehr als eine Million Schiiten.
Ursprünglich waren die Schiiten in der regierenden Baath-Partei von Saddam Hussein sehr aktiv. In den 50er und 60er Jahren stellten sie sogar die Mehrheit in den Parteikadern. Nach Schätzungen westlicher Diplomaten sind inzwischen nur noch fünf bis zehn Prozent der wichtigsten Posten mit Schiiten besetzt. Ein Ergebnis des tiefen Mißtrauens, das die vom sunnitischen Hussein- Clan beherrschte Regierung gegen die Schiiten hegt.
Der irakisch-iranische Krieg von 1980 bis 1988, der von Bagdad als Kampf gegen den Versuch der iranischen Schiiten gerechtfertigt wurde, die islamische Revolution zu exportieren, verstärkte diesen Argwohn noch. Damals wies die irakische Führung rund 300.000 Schiiten in den Iran aus. Konnte die irakische Regierung während dieses Krieges noch jede schiitische Oppositionsregung im Süden des Landes unterdrücken, kam es nach der Niederlage im Golfkrieg im Februar 1991 für mehrere Wochen zu einem Aufstand gegen Saddam Hussein. Die Armee konnte zwar durch blindwütige Unterdrückungsmaßnahmen die Situation wieder in den Griff bekommen, doch in den 35.000 Quadratkilometer großen unzugänglichen Sümpfen zwischen den Städten Basra, el Amara und Nassirijah hielten sich hartnäckig schiitische Widerstandsnester.
Mehr als 15 Monate nach Räumung Kuwaits durch den Irak will Hussein diesen Widerstand nun endgültig brechen — mit militärischen Mitteln, aber auch mit einem künstlichen Flußlauf, einem bereits älteren Vorhaben der irakischen Regierung. Das Flußprojekt solle „die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessern“, berichteten die Medien in Bagdad. Nach Auffassung der Vereinten Nationen dient es aber vor allem dazu, den Hort des schiitischen Widerstandes, die Sümpfe, auszutrocknen.
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