: Die Ruderer vom Langen See
Bei den Deutschen Meisterschaften auf der Regattastrecke Grünau blinken die Medaillen an den Hälsen vieler Berliner Athleten und die Goldknöpfe an den noblen Sakkos der Funktionäre. Hinter dem Glanz zeigt sich alter DDR-Charme
Eine Ruderregatta ist eine vornehme Angelegenheit. Stolze Funktionäre in mit Wappen bestickten Blazern wachen über die Rennen. Auch beim so genannten Deutschen Meisterschaftsrudern am Wochenende auf der Regattastrecke Grünau am Langen See glitzerten die goldenen Knöpfe der Funktionärssakkos im Sonnenschein. Selbst die Regattastrecke im Südosten Berlins versprühte im sonntäglichen Frühsommerwetter vornehme Atmosphäre. Erst der Blick auf die riesige, defekte Anzeigetafel oder ein Gang auf die Toiletten unter der Tribüne lässt an Ostzeiten denken, ruft die Vergangenheit der Anlage als Heimstätte vieler erfolgreicher Ruderer aus der DDR wach. Ob das Rudern im Arbeiter- und Bauernstaat wohl ebenso aristokratisch dahergekommen ist wie die Regatta am Wochenende?
„Der Rudersport im Osten Berlins hat sich in den letzten zehn Jahren grundlegend verändert“, sagt Michael Hehlke, Geschäftsführer des Landesruderverbandes Berlin. Zu DDR-Zeiten seien die Vereine, die in Grünau trainierten, allen voran der SC Dynamo, reine Kaderschmieden für den Leistungssport gewesen. Immerhin 30 olympische Medaillen haben Sportler dieses Vereins für die DDR errungen. Der Nachfolgeverein SC Berlin hat zwar immer noch sein Bootshaus am Langen See, doch große Erfolge sind selten geworden.
„Das ist auch gut so“, meint Hehlke. Viele Ruderclubs hätten sich neu bzw. wieder gegründet. „Ganz normale Vereine“, in denen jeder nach Feierabend rudern könne, sind an den Ufern der Ostberliner Gewässer entstanden. „Eine gesunde Entwicklung“, wie Hehlke meint, die auch dazu beigetragen habe, dass es zwischen Ost und West keine Eifersüchteleien mehr gebe.
Doch es wird beileibe nicht nur Breitensport in den Berliner Ruderclubs betrieben. Immerhin 14 der knapp 60 Vereine haben sich auch dem Leistungssport verschrieben. Nicht wenige Ruderer aus Berlin sitzen in den Booten des Deutschen Ruderverbandes. Der unterhält am Jungfernheideweg einen Bundesstützpunkt. Als Außenstelle dieses Leistungszentrums fungiert die Anlage in Grünau, und so hat auch die amtierende Weltmeisterin im Einer, Katrin Rutschow-Stomporowski, so manchen Kilometer auf dem Langen See unter die Ruder genommen, obwohl ihr Heimatverein der Ruderklub „Am Wannsee“ ist. Sie gewann das Finalrennen um die Deutsche Meisterschaft am Sonntag souverän. Doch sie war nicht die einzige Goldmedaillengewinnerin aus Berlin. Im Leichtgewichtsdoppelzweier setzten sich beispielsweise Peter Ording und Manuel Brehmer von der Ruder-Union Arkona durch. Auch im neu formierten Deutschlandachter, der sich am Wochenende bei den Titelkämpfen vorgestellt hat, rudert ein Berliner mit: Thorsten Engelmann vom RC Tegel. Die von Hehlke gelobte Abschaffung der Kaderschmieden scheint dem Spitzensport also nicht zu schaden.
Auch um die Zukunft von Grünau als Regattastandort scheint es inzwischen ganz gut bestellt. Als der Deutsche Ruderverband nach der Wende beschlossen hat, die Olympiaregattastrecke von 1936 nicht als Austragungsort für internationale Rennen zuzulassen, sah dies noch anders aus. Am Wochenende nun fand bereits zum zweiten Mal nach 2000 das Deutsche Meisterschaftsrudern im Bezirk Treptow-Köpenick statt, was allgemein als Bekenntnis des nationalen Verbandes zum Standort Grünau gewertet wird. In Berlin ist die Strecke als einzige Sechs-Bahnen-Anlage der Stadt ohnehin konkurrenzlos. Vielleicht also erstrahlen bald schon die Toiletten und eine neue Anzeigetafel in ähnlichem Glanz wie die goldenen Blazerknöpfe der Ruderfunktionäre.
ANDREAS RÜTTENAUER
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