: Die Rollenübernahme
■ Harald Maack als Joop Admiraals Mutterfigur im Schmidt
Erst wird reiner Tisch gemacht: der Schauspieler Harald Maack zieht sich aus, um von der Rolle alltäglicher Wirklichkeit in die multiple Rollenverwirrung von Joop Admiraals Du bist meine Mutter zu steigen. Dann zieht er sich wieder an. Ein Träger-Leibchen mit Spitzenbesatz, mittelbraune Nylons, „blickdicht“. Darüber kommt ein Herrenanzug.
Zuerst ist Harald Maack nämlich Joop Admiraal, ein mittelalter Schauspieler in Amsterdam, dessen Mutter seit drei Jahren in einem Pflegeheim in Delft lebt. Jeden Sonntag begibt Joop sich auf die Reise dorthin wie andere auf Pilgerschaft, treu und geduldig. Der Mutter ist er die Stütze, der Überlebensgrund, das Durchhaltemittel.
Die einfachen Mittel, der ruhige Erzählfluß am Anfang läßt ein stilles Betroffenheitsstück erwarten. Doch das ist Du bist meine Mutter nicht: Kaum im Heim angekommen, wird Joop nämlich auch zum Darsteller der Mutter, verwandelt Harald Maack sich mit kleinen Gesten, manchmal winzigen Bewegungen vom leicht vorwurfsvollen schwulen Sohn zur schrulligen, fordernden Mutterfigur – und verhindert allzu Einfaches. Perfekt hat Maack die Einschränkungen, die Ticks sehr alter Frauen studiert, die zaghafte Unsicherheit bei jedem Schritt, die Körperhaltung, in die er nach jedem Hin-und-Her zwischen den beiden von ihm zu Spielenden zurückfällt wie in eine zweite Haut. Seine Alte ist das Meisterwerk unter den Porträts des Abends. Ihre Komik ist anrührend, weil unbewußt, und weil Maack es unmöglich macht, über diese Frau zu lachen. Er steigt nämlich nicht von Außen in die Figur hinein, er leuchtet sie von innen aus.
Kein Wunder, daß Joop Admiraal seine gefeierte Inszenierung des eigenen Textes in den 80er Jahren jahrelang in ganz Europa zeigen konnte: Sein Stück ist eine ziselierte Darstellung einer nicht alltäglichen Beziehung, die doch jeder wiedererkennt. Doch erst ein so guter Darsteller wie Harald Maack macht den Abend, mit seinem so genau analysierenden wie liebevollen Blick wirklich aus. Brüllwitz ist hier keiner zu erwarten, aber ein sanfter Blick auf das Phänomen der vergehenden Zeit.
Thomas Plaichinger
Noch bis zum 5. Mai, 20.00 Uhr, Schmidt Theater
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