piwik no script img

Die Regierung plant den „Drogenkrieg“

Kanzler Kohl stellte umstrittenen „Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan“ vor / Selbsthilfegruppen und Aids-Initiativen mußten draußen bleiben / Weniger Tote durch umfassende Substitutionsangebote / Drogengebrauch gab es schon immer und in allen Kulturen  ■  Aus Bonn Axel Kintzinger

Noch bevor Bundeskanzler Helmut Kohl gestern am späten Nachmittag den seit Jahren diskutierten „Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan“ vorstellte, meldeten sich Fachleute zu Wort, die an dessen Entstehung nicht beteiligt waren: Betroffene beziehungsweise deren Interessenvertretungen. Die Deutsche Aids-Hilfe etwa und der Bundesverband für akzeptierte Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept.), oder JES, die Selbsthilfeorganisation der Junkies, Ex-User und Substituierten. Von einem breiten Bündnis für den Anti -Drogen-Plan der Regierung kann daher keine Rede sein: „Dieser Konsens besteht zum Glück so nicht“, sagten die Grünen-Abgedordneten Nickels und Such gestern in Bonn.

Im Kreuzfeuer der Kritik steht vor allem die strafrechtliche Komponente, die im Drogenbekämpfungsplan einen beachtlichen Raum einnimmt. So ist die Entkriminalisierung des Konsums (nicht des Handels) illegaler Drogen gegen den Rat vieler Experten nicht in den von Kanzler Kohl zur Chefsache erklärten Plan aufgenommen worden. Im letzten bekanntgewordenen Entwurf wird das so begründet: „Die Besitzer von Rauschgift sind für die Polizei insoweit von Interesse, als sie zu rund 80 Prozent Kleinhandel treiben und damit Multiplikatoren der Rauschgiftsucht sind oder als bloße Konsumenten wichtige kriminalistische Ansätze zur Ermittlung von Dealern bieten.“

Experten lehnen diese Logik ab - sie befürchten eine Stigmatisierung der Suchtkranken zu Kriminellen. Dies wiege um so schwerer, als die im Rauschgiftbekämpfungsplan angestrebte Drogenprohibition blauäugig erscheine: „Drogengebrauch läßt sich in fast allen Kulturen der Menschheitsgeschichte wiederfinden“, stellt „akzept“ in seinem Grundsatzprogramm fest. „Er stellt somit eine anthropologische Konstante dar.“ Zudem spiegelten sich im Drogenkonsum „elementare Bedürfnisse wieder“. Drogenberater und -initiativen setzen vor den Rauschgiftverzicht die Verbesserung der Existenzbedingungen von Drogenkonsumenten. Daher drängt etwa die Aids-Hilfe in einem jetzt vorgelegten Memorandum auf „neue Konzepte zur Schadensminimierung“. Damit ist die Einrichtung sogenannter schwellenloser Kontakt - und Gesundheitsläden gemeint, ein „umfassendes Spritzenaustauschprogramm“ etwa oder Anleitungen zum „sicheren“ Fixen. Vor allem aber: „Umfassende Substitutionsangebote“, also die flächendeckende Möglichkeit für den Umstieg auf Ersatzdrogen wie Methadon. Sprecher von JES warteten zur Unterstützung dieser Forderung mit einem Rechenbeispiel auf: Während die mit einem flächendeckenden Methadonangebot ausgestatteten Niederlande im vergangenen Jahr 40 Drogentote zu beklagen hatten, waren es in der BRD mit sehr klein dimensionierten Substitutionsmodellen 1.000 Opfer. Umgerechnet auf die Bevölkerung sterben in der BRD also rund fünf Mal so viele Drogensüchtige wie im einst als „Drogenmekka“ verschrienen Holland.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen