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Die Realistin aus dem Römer

Gesichter der Großstadt: Martina Schmiedhofer, bündnisgrüner Politimport aus Frankfurt, ist seit einem halben Jahr Sozialstadträtin in Wilmersdorf  ■ Von Dorothee Winden

Als sich Martina Schmiedhofer im Januar von Frankfurt auf den Weg nach Berlin machte, wußte sie, daß sie möglicherweise gar nicht mehr an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren würde. Die haushaltspolitische Referentin der hessischen Grünen hatte sich als Sozialstadträtin in Wilmersdorf beworben. Am 23. Januar, einem Dienstagabend, stellte sie sich mit den anderen drei BewerberInnen bei der Bezirksgruppe der Bündnisgrünen vor.

Wenige Stunden später war Martina Schmiedhofer mit einer klaren Mehrheit als Stadtratskandidatin für Soziales und Gesundheit nominiert. Nur 48 Stunden später, am Donnerstag, wurde sie von der Bezirksverordnetenversammlung gewählt.

Bei der 39jährigen überwog die Freude über den atemberaubend schnellen Wechsel. Denn der neue Job bedeutete nicht nur die Rückkehr an ihren Geburtsort, sondern auch das Ende einer dreijährigen Fernbeziehung. Ihr Ehemann arbeitete bereits seit 1993 in der Osteuropa-Abteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Fachlich und politisch bringt der Neuzugang vom Main eine Menge Erfahrung mit. Im hessischen Landtag war Schmiedhofer von Juli 1985 bis Januar 1996 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Grünen für Gesundheits- und Sozialpolitik und zuletzt für Haushaltsfragen. Nach der Landtagswahl 1991 zog sie als Nachrückerin in die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung – den „Römer“ – ein und war dort zunächst sozialpolitische Sprecherin der Fraktion. Als Fraktionsvorsitzende erlebte sie ab März 1993 alle Höhen und Tiefen der allmählich scheiternden rotgrünen Koalition in Frankfurt.

Bei ihrem Amtsantritt in Berlin stellte sie überrascht fest, daß vieles von dem, was Grüne in Frankfurt fordern, in Berlin längst gang und gäbe ist. Um Obdachlosigkeit vorzubeugen, teilen hier die Gerichte den Sozialämtern automatisch mit, wenn sie Räumungsbescheide an säumige Mieter schicken. Die Mitarbeiter des Sozialamtes können sich dann mit den räumungsbedrohten Mietern in Verbindung setzen, um noch eine Lösung zu finden. Und so schleppend sie auch anläuft, auch bei der Enthospitalisierung psychisch Kranker hat Berlin im Vergleich mit Frankfurt die Nase vorn.

Über andere Dinge kann Schmiedhofer allerdings nur staunen: Daß sie für den ein Jahr lang gültigen Anwohnerparkschein nur 20 Mark hinblättern mußte, fand sie „völlig absurd“, weil viel zuwenig. Auch die Gewerbesteuer sei in Berlin zu niedrig. Das Argument, daß Investoren der Stadt sonst die kalte Schulter zeigen könnten, läßt sie nicht gelten: „Für die Firmen sind vor allem die weichen Standortfaktoren wie die Lebensqualität einer Stadt ausschlaggebend“, sagt sie mit Verweis auf Frankfurter Untersuchungen. Das kulturelle Angebot spiele ebenso eine Rolle wie gute Schulen und genügend Kita-Plätze.

Nach dem von Intrigen geprägten Klima der rot-grünen Koalition in Frankfurt ist Schmiedhofer von dem „fairen, kollegialen Umgang“ im CDU-dominierten Bezirksamt angenehm überrascht. Sie lobt das „Klima des Konsenses“, weiß aber auch, daß es nur Bestand hat, wenn sie sich „an die Spielregeln hält“. Sie kann nur mit, aber nicht gegen die CDU etwas durchsetzen. Die Auseinandersetzung über die von der CDU-Fraktion verhinderte Umbenennung des Seebergsteigs in Walter-Benjamin-Straße überließ sie daher ihrer Fraktion. Sie mischte sich aber auch deshalb nicht ein, weil sie erkannte: „An dem Punkt bin ich nicht wichtig. Ich hätte die CDU auch nicht umstimmen können.“ Mit einem CDU-Stadtrat suchte sie das persönliche Gespräch, denn sie war „fassungslos und schockiert“, daß seine Fraktion sich hinter den geistigen Wegbereiter des Nationalsozialismus, den Theologen Reinhold Seeberg, stellte. In Frankfurt genieße der jüdische Schriftsteller und Marxist Walter Benjamin „Kultstatus“. „Dort hätte auch die CDU für die Benennung einer Straße nach Benjamin gestimmt“, sagt sie.

Zu den Grünen kam Martina Schmiedhofer durch die Frauenbewegung. Während ihres Soziologiestudiums in Frankfurt setzte sie sich mit Kommilitoninnen für die Schaffung einer Professur für Frauenforschung ein und besuchte regelmäßig die Frauenarbeitsgruppe der Grünen im Landtag. Ähnlich überstürzt wie ihr Antritt als Stadträtin verlief auch ihr Berufseinstieg: Noch bevor sie die letzte Prüfung fertig hatte, warben sie die Grünen als Referentin für Sozial- und Gesundheitspolitik an.

Bei den Berliner Grünen gilt Schmiedhofer als „Glücksgriff“. Im persönlichen Umgang ist sie offen und ohne jegliche Allüren, politisch ist sie eine Pragmatikerin. Ihr wird eine souveräne Amtsführung bescheinigt, und auch bei den MitarbeiterInnen im Sozialamt sei die kommunikative Frau gut angekommen.

Als Stadträtin hat sie sich vorgenommen, ihre Verwaltung noch bürgerfreundlicher zu gestalten. Den Aufbau der ambulanten Versorgung psychisch Kranker will sie ebenso vorantreiben wie die Unterbringung von Obdachlosen in bezirklichen Einrichtungen. Dann könne auf die teure Unterbringung in Pensionen verzichtet werden.

Da kann auch Ellis Huber zufrieden sein. Der Präsident der Ärztekammer hatte Schmiedhofer schon fast als persönliche Referentin unter Vertrag, als sie zur Stadträtin gekürt wurde. Daß Huber sie bestärkte, lieber in die Politik zu gehen, kommt nicht von ungefähr: Schmiedhofer tritt in seine Fußstapfen, denn schließlich war er 1981 der erste grüne Gesundheitsstadtrat in Wilmersdorf.

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