: „Die Radikalen sterben aus Mangel an Ideen“
■ Radikale Partei diskutiert in Rom über Selbstauflösung / Alle italienischen Parteien entsenden Vertreter / Leichenfeier oder Erbschaftsstreit? / Erfolge über Erfolge für die Mini–Partei, doch Parteigründer Panelli will „neue Aktionsformen“
Aus Rom Werner Raith
Viel gehört nicht dazu, um die Vollversammlung der Radikalen Partei in Rom zu Applausstürmen hinzureißen: Es genügt, auf die Kommunisten einzudreschen. Da bekommt sogar Giuseppe De Mita, Neffe des christdemokratischen Parteichefs, mächtigen Beifall, wenn er die Kommunisten „die Aller–Aller–Allerkonservativsten im Land“ nennt. Antikommunist Bettino Craxi braucht gar nicht gegen den PCI zu tern - sein Eintreten in den Kongreßsaal des Nobelhotels „Ergiffe“ genügte, um die Radikalen–Mitglieder zu Ovationen zu bewegen. Vergessen die Zeiten, wo Verteidigungsminister Spadolini minutenlanges Gebuhe hörte, wo Christdemokraten als Halbfaschisten galten und überhaupt alle in Roms „Palazzo“ (dem Kartell etablierter Parteien) der „Partitokratie“, der maßlosen Parteienherrschaft geziehen wurden. Jetzt prasselt es Schelte und Pfiffe nur auf die Mit–Oppositionellen der PCI und der Democrazia Proletaria nieder; ganz so, als wären die Radikalen Teil der Regierungskoalition, die derzeit alle Staatsposten untereinander aushandelt. Alle, bis hin zu den Neofaschisten, haben Hochrangiges geschickt - mindestens ihre Vize -, um der Mini–Partei (1,5 machen. Doch ganz ist noch nicht heraus, ob es sich dabei um eine Leichenfeier oder schon um den Erbschaftsstreit handelt - oder ob die Leiche noch weiterzuleben gedenkt. Zur Debatte steht nichts Geringeres als die „Selbstauflösung“ der Radikalen Partei. Sicher ist das aber noch nicht, auch wenn der Vorschlag von dem seit 1957 herrschenden charismatischen Parteigründer Marco Pannella persönlich stammt. Kommt er durch, würde sicherlich nicht nur ein Farbtupfer in Italiens Parteienlandschaft fehlen - zahlreiche Anliegen hätten dann wohl fürs erste kein Forum mehr. Was können sie nicht alles vorbringen an Erfolgen, Italiens Radikale - von der Durchsetzung der Scheidung und der Abtreibung per Referendum über die Installation eines Staatssekretariats für Welthungerhilfe, von der Strafrechtsreform bis zum positiven Gerichtsurteil für den in Camorra–Verdacht geratenen Show–Master Enzo Tortora (mittlerweile Präsident der Radikalen) und zum Ausstieg aus der Atomenergie, den sie nun zusammen mit den Grünen und Teilen der Sozialisten festklopfen. Daß ausgerechnet eine derart erfolgreiche Gruppierung sich auflösen soll, will nicht nur dem ausländischen Beschauer schwer in den Kopf - auch ein Großteil der eingechriebenen Mitglieder fühlt sich „ziemlich verarscht“, wie ein Neu–Radikaler murrt, der sich just vor einem Vierteljahr eingetragen hat, „weil es da hieß, daß nur eine Eintritts–Welle das Überleben garantieren könne“. Schauspieler und Maler haben sich eingeschrieben und verurteilte Mafiosi, Ex–Kämpfer von „Lotta continua“ und sogar mancher Regionalsekretär der Christdemokraten. Eine Verdoppelung der Mitglieder (auf mittlerweile fast 5.000) ist zu verzeichnen - doch nichts da, Marco Pannella bleibt hart. Viele mutmaßen, daß der seit 30 Jahren Radikale ans Altenteil denkt und seine Idee mit sich sterben lassen will - das Ende des „Pannellismus“ auch das Ende der Radikalen? Das leugnet Pannella natürlich; für ihn „geht es nicht um die Auflösung der Idee der Radikalen, sondern um neue Aktions formen“. Welche, bleibt freilich ebenso offen wie eine Festlegung, welche Inhalte wann, wo und wie mit den neuen Formen durchzusetzen wären. Skeptisch stimmt da so manchen die ostentative Umarmung der Sozialisten Bettino Cra xis - und die Tatsache, daß die „demokratischste aller Parteien“ (Eigendefinition) es derzeit offenbar nicht gerade mit der internen Demokratie hat: Pannella–Geg ner, die während des Kongresses Unterschriften gegen die Selbstauflösung sammeln, berichten von „bösen Pressionen bis hin zu Androhung von Gewalt“. Der Vertreter der Kommunistischen Parteijugend, der nach der soundsovielten PCI–Schelte den Kongreß verließ, scheint selbst mit einem nicht gerade sonderlich geistreichen Presse–Statement einen Nerv getroffen zu haben: „Die Radikalen werden wohl wirklich sterben“, urteilte er, „und zwar aus Mangel an Ideen“. Das Gelächter im Plenarsaal war kräftig und laut - doch es lag nahe an ohnmächtiger Wut und Hysterie.
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