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Die RAF denkt über sich nach

In einem Brief vom 6. März glaubt der RAF-Untergrund: Hätte es den V-Mann Steinmetz nicht gegeben, sie hätte mehr Druck zur Freilassung der Gefangenen ausüben können  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) – Die RAF ist auf der Suche nach der neuen Orientierung: „Wie der Klärungsprozeß zur Neubestimmung für uns nun genau verlaufen wird und wie wir uns darin einbringen werden, ist für uns zum jetzigen Zeitpunkt völlig offen.“ Über die Person des V-Mannes Klaus Steinmetz hinaus gehen die unbekannten Autoren aus der RAF in ihrem Schreiben vom 6. März auch explizit auf die Kinkel-Initiative, die Deeskalationserklärung der RAF vom 10. April 1992, den Sprengstoffanschlag im hessischen Weiterstadt und den Bruch mit der Mehrheit der RAF-Gefangenen Ende letzten Jahres ein.

Der Schritt vom April 92, auf tödliche Anschläge gegen führende Vertreter aus Wirtschaft und Politik zu verzichten, wäre auch dann unternommen worden, heißt es, „wenn es keine politischen Gefangenen, geschweige denn Kinkel- oder sonstige KGT- Initiativen gegeben hätte“. Keiner in der RAF habe 1992 geglaubt, „daß wir einfach so weitermachen können wie die Jahre zuvor“. Die RAF habe damals erkannt, „daß es notwendig ist, für die Neubestimmung [der weiteren RAF-Politik, d.Red.] die Eskalation in der Konfrontation zurückzunehmen“. Die „Zäsur“ habe das Ziel verfolgt, „von uns aus eine offene Situation zur Linken hin zu entwickeln“.

Der „Einschnitt 92“ habe dabei keine Pause des bewaffneten Kampfes als Ziel verfolgt, die Absicht sei vielmehr gewesen, „einen Prozeß in Gang zu setzten, aus dem eine Konzeption und Organisierung entwickelt werden kann, die stärker ist als das, wie der Widerstand – die RAF inbegriffen – die ganzen letzten Jahre vor '92 gewesen ist“. Wie die Autoren an anderer Stelle des Schreibens einräumen, ist diese Absicht allerdings auch bei der radikalen Linken nur auf geringe Resonanz gestoßen.

Weiter heißt es in dem Papier, es sei ein Fehler gewesen, in der Deeskalationserklärung den Namen des damaligen Justizministers Kinkel zu erwähnen. Im Rahmen der sogenannten Kinkel-Initiative hatte der Minister Anfang 1992 angeregt, als ersten Schritt für eine politische Beilegung des RAF- Terrorismus mehrere langjährig inhaftierte RAF-Gefangene freizulassen, wenn die RAF im Gegenzug auf Gewalt verzichte. Der Bezug auf die Kinkel-Initiative habe „die abwegigsten Interpretationen“ zugelassen, unter anderem die, die RAF würde „auf den Staat hoffen“.

Die in der Erklärung enthaltene Drohung, den Gewaltverzicht zurückzunehmen, falls der Staat seine „Vernichtungsstrategie“ gegenüber den RAF-Gefangenen weiterverfolge, habe als Ziel dagegen verfolgt, „daß wir mit unserer Drohung einen Hebel in der Hand haben, um [...] die Freiheit gegen den Vernichtungswillen durchsetzen zu können“. Weil die Freilassungsinitiative ins Stocken geraten war, sei daher der Sprengstoffanschlag auf den Gefängnisneubau in Weiterstadt erfolgt, „um neuen Druck herzustellen“. Daß die Drohung in der Gewaltverzichtserklärung letztlich wirkungslos verpuffte, führt die RAF auf die Existenz des V-Mannes Steinmetz zurück. Die Sicherheitsbehörden hätten im Wissen um den V-Mann entschieden, keinerlei Zugeständnisse zu machen.

Im Zusammenhang mit dem Anschlag in Weiterstadt verteidigen die Illegalen auch den späteren Versuch der in Celle inhaftierten Gefangenen Dellwo, Taufer und Folkerts, über den Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele an den Industriellen Edzard Reuter und den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, heranzutreten. Beide sollten die Bundesregierung überzeugen, daß es ohne ein Entgegenkommen in der Gefangenenfrage möglicherweise wieder zu tödlichen Attentaten gegen Wirtschaftsführer kommen könnte. Dieser letztlich erfolglose Versuch habe in keinem Widerspruch zu den Vorstellungen der RAF gestanden, „weil es unserem Interesse entsprach, Druck auf der Gegenseite zu erzeugen. Und es gab (vorausgesetzt, es hätte Steinmetz nicht gegeben) seit August 1992 keinen besseren Zeitpunkt für so eine Initiative als nach Weiterstadt.“

Das Bekanntwerden dieser Verhandlungsversuche hatte allerdings zum Bruch zwischen der Mehrheit der RAF-Gefangenen und den Untergrundkämpfern geführt. Die Gefangenen wiesen die Kontaktversuche als „Deal mit dem Staat“ und als „Gang in die Anpassung“ zurück.

Abschließend resümieren die Verfasser: „Von der sozialen Kenntlichkeit unseres Kampfes sind wir alle – RAF und Gefangene – weiter entfernt als die Jahre zuvor“.

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