piwik no script img

■  Die Präsenz der Nato im Kosovo alleine wird nicht ausreichen. Realität ist, daß die Stationierung internationaler Truppen in Serbien ebenso notwendig istEndspiel auf dem Balkan

Noch immer glaubt das serbische Regime – nicht Präsident Slobodan Miloevic allein, sondern eine bedeutende Gruppe des Establishments –, daß es nicht nur die Nato-Luftschläge überstehen kann, sondern sogar siegreich und mit einem Groß-Serbien aus dieser Auseinandersetzung hervorgehen kann.

In den Szenarien Belgrads herrscht allen Ernstes die Hoffnung, daß Ermüdung und Meinungsverschiedenheiten in der Nato sowie die Sorge über eine regionale Zersplitterung den Westen zu Friedensverhandlungen zwingen werden. Ein historisches Ereignis, das, ähnlich wie der Kongreß 1878 in Berlin, alle regionalen Akteure einbeziehen würde. Und es wäre, wenn die serbischen Unterhändler eine klare Linie hätten, der Zeitpunkt, Territorien neu zu gliedern und Landkarten neu zu zeichnen.

Der Schlüssel für einen solche Vereinbarung wäre die Teilung des Kosovo, wobei ein Streifen im Süden Jugoslawiens gegen einen Teil Bosniens ausgetauscht würde. So stellt sich das Regime in Belgrad das Szenario vor.

Für westliche Strategen, die den Verlauf des Krieges nachzeichnen wollen, ist es wichtig, dies als Hintergrund zu verstehen. Weit davon entfernt nachzugeben, fühlt sich das Belgrader Regime – bei allen militärischen und ökonomischen Verlusten – stark genug für einen historischen Sieg über die größte Militärallianz der Welt und ihre einzige Supermacht.

Die meisten westlichen Beobachter mag das erstaunen. Aber ein Wissen um die serbischen Machtstrukturen enthüllt, warum es – aus der Sicht Belgrads – völlig logisch ist. Und es macht klar, daß der Westen eine umfassende Strategie und einen regionalen Ansatz entwickeln muß, wenn es anhaltenden Frieden und Stabilität erreichen will.

Die durch die Nato verursachten Zerstörungen werden Serbien teuer zu stehen kommen. Sie werden die Bemühungen mehrerer Generationen zunichte machen, eine Infrastruktur im Land aufzubauen. Aber sie zerstören auch die Rudimente demokratischer Institutionen. Im Ergebnis wird – entgegen den Erwartungen sowohl im Westen als auch in der Region – ein Auflehnen gegen Miloevic immer unvorstellbarer. Herauskommen wird dagegen wahrscheinlich dies: Miloevic' Überleben und seine uneingeschränkte Alleinherrschaft, ein Staatsstreich und eine Militärdiktatur oder Machtkämpfe zwischen einzelnen Warlords und totales Chaos. Keine diese Alternativen würde einen positiven Politikwechsel in Belgrad bringen.

Bei den Verhandlungen in Rambouillet und Paris wurde eine fehlerhafte Strategie verfolgt. Die verspätete und unangemessene Initiative der europäischen Mächte für die Gespräche gaben Miloevic genug Zeit, seine Politik der Expansion und Unterdrückung in Gang zu setzen. Indem die Europäer sich so lange gegen eine führende Rolle der USA im Kosovo-Konflikt sträubten, ermöglichten sie Belgrad, den Krieg unwidersprochen in die Wege zu leiten. Die Verhandlungen tendierten dazu, beide Seiten gleich zu behandeln, was unvermeidlich zu Konzessionen gegenüber der „stärkeren Seite“ führte, also den Serben. Die Uneinigkeit über die Haltung gegenüber der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK, ohne die Ursachen der Krise und die Gründe ihrer Entstehung zu analysieren, gab Serbien grünes Licht, seine Angriffe auf Dörfer zu starten, unter dem Vorwand, „Terroristen auszulöschen“. Die europäische Angst vor Flüchtlingen trug ebenfalls zu einem negativen Bild der Kosovo-Albaner bei.

Das Abkommen zwischen Holbrooke und Miloevic vom Oktober 1998 war wahrscheinlich die letzte Chance für eine friedliche Lösung. Weil Miloevic wußte, daß die internationale Gemeinschaft einen Konflikt nicht vor dem Frühjahr erwartete, und weil er glaubte, daß es nicht zu einer Intervention kommen würde, begann er mit dem Aufmarsch im Kosovo und konfrontierte die internationale Gemeinschaft wieder einmal mit einem fait accompli.

Aber indem Miloevic das Kosovo und mit ihm all seine Bewohner als Geiseln nahm, rief er eine Reaktion auf den Plan, die er nicht erwartet hatte und auf die er keine Antwort hat.

Mit seiner Entscheidung, Rambouillet abzulehnen, zwang Miloevic jedoch die Nato, die Ursache all der Konflikte zu bestimmen, die Südosteuropa seit zehn Jahren quälen. Zum erstenmal erkannte sie der Westen klar als eine Reihe von serbischen Angriffskriegen und Eroberungen.

Diese Festlegung brachte das Regime in Belgrad so auf, daß es daraufhin seine Kriegsziele enthüllte: die völlige Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo. Der mögliche Verlust des Kosovo wurde erstmals in dem berüchtigten Memorandum der Serbischen Akademie erwähnt, das im Jahr 1986 das „großserbische Projekt“ vorstellte. Dobrica Cosic, der Nationaldichter und ehemalige Präsident des Landes, hat mehrmals vorausgesagt, daß das 20. Jahrhundert für das serbische Volk mit dem Verlust des Kosovo enden wird.

Mit der Entfesselung eines Krieges gegen die eigene albanische Bevölkerung bewies das Regime seine Unfähigkeit, mit dem Wandel der westlichen Politik gegenüber regionalen Konflikten wie auf dem Balkan umzugehen. Statt dessen hat es – bisher erfolgreich – im Kosovo Maximalziele verfolgt und neue Tatsachen geschaffen.

Der Beginn der Luftangriffe dagegen wurde in Belgrad wie ein weiteres Täuschungsmanöver durch die Nato behandelt. Belgrad glaubte einfach nicht an die Realität der Bomben. So waren die ersten Reaktionen des Regimes, aber auch der Öffentlichkeit Hohn und Spott. Offiziell blieb dies bis heute so, wie etwa die täglichen Rockkonzerte im ganzen Land zeigen.

Tatsächlich genügten wenige Tage der Luftangriffe, der politischen Szenerie Serbiens ihrer Maske zu berauben. Die „ethnischen Säuberungen“ im Kosovo zeigten einmal mehr die äußerste Grausamkeit der serbischen Kriegsmaschinerie. Die Konzerte und Demonstrationen zeigen die Ablehnung der Bevölkerung, sich mit den Verbrechen, die in ihrem Namen im Kosovo begangen werden, auseinanderzusetzen.

Die serbische Bevölkerung unterliegt einem Grad der massenhaften Selbstverleugnung, der dem der Verbrechen im Kosovo entspricht.

Leider haben die Entwicklungen auch gezeigt, daß es eine demokratische Alternative nicht gibt. Die Medien wurden das erste Opfer der Bomben, alle Informationen wurden unter direkte staatliche Kontrolle gestellt. Die Ausrufung des Ausnahmezustands wie auch die Einführung der Todesstrafe, das Kriegsrecht, die Teilmobilisierung, die Begnadigung von Kriminellen und die Einberufung von Freiwilligen – diese Maßnahmen haben die Wege eines möglichen Widerstands versperrt.

Angefeuert durch wilde Propaganda und zunehmender Kriminalität, hat Serbien einen Weg eingeschlagen, auf dem es kein Zurück mehr gibt. So wie das Regime serbischen Starrsinn vorführt, sogar verherrlicht, befindet es sich am Rande der Selbstzerstörung. Es macht alle Aussichten auf Einigung zunichte und verursacht damit um so nachhaltigere Schäden in der gesamten Region.

Statt zu erstarken drohen die Strukturen in Serbien im Chaos auseinanderzubrechen. Serbien steht vor einem unvermeidlichen moralischen Zusammenbruch, vor einem historischen Debakel. Es weigert sich, sich mit seiner Politik in der Vergangenheit auseinanderzusetzen wie auch mit den Verbrechen, die heute Tag für Tag begangen werden.

Slobodan Miloevic ist kein Einzelkämpfer. Tatsächlich hat er, der vorrangig die Verantwortung für die Desaster in Slowenien, Kroatien, Bosnien und nun im Kosovo trägt, nur dem kollektiven Bewußtsein großer Teile der serbischen Elite Ausdruck verliehen, besonders dem der Sicherheitskräfte. So kann Serbien nicht hoffen, ohne massive Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft in die europäischen Strukturen integriert zu werden. Das bedeutet, daß die erwartete Nato-Präsenz im Kosovo nicht ausreichen wird. Ein solches Protektorat in der Provinz ermöglicht den Flüchtlingen, sicher zurückzukehren, und verhindert ihre Zerstreuung in ganz Europa.

Doch nach einer Dekade verfehlter Balkan-Politik ist es unerläßlich, daß die USA und die europäischen Demokratien eine langfristige Vision für die gesamte Region entwickeln. Diese muß mit der Entnazifizierung Serbiens beginnen. Ein Mini-Marshall-Plan für den ökonomischen Wiederaufbau ist ebenfalls notwendig. Und eine langfristige Sicherheitsstruktur ist Grundvoraussetzung für anhaltenden Frieden und Stabilität. Der Westen mag Bodentruppen im Kosovo diskutieren. Aber Realtität ist, daß die Stationierung einer internationale Truppe in Serbien ebenso notwendig ist. Sonja Biserko ‚/B‘ Übersetzung: Thekla Dannenberg

Die serbische Bevölkerung unterliegt einer massenhaften SelbstverleugnungSerbien steht vor einem unvermeidlichen moralischen Zusammenbruch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen