: Die Politikerköpfe stecken immer noch im Sand
■ Die Bezirke und der Senat praktizieren beim Problem der Jugendbanden Vogel-Strauß-Politik / Die Polizei wird verstärkt - die Ausweisungsmöglichkeiten verschärft / Die Schulleiter sind hilflos, scheuen die öffentliche Diskussion und beantragen Polizeischutz / „Republikaner“ versuchen das Problem auszuschlachten
Durch Presseveröffentlichungen im Januar und Februar wurde das Ausmaß der Cliquen- und Bandenbildung unter ausländischen Jugendlichen bekannt. Banden„kriege“ zwischen Kreuzberger und Weddinger Jugendlichen, zunehmende Gewaltbereitschaft und Raubdelikte werden gemeldet. Ein gefundenes Fressen für die „Republikaner“. Diese versuchen nun die Diskussion über das Problem an sich zu reißen, um ihr fremdenfeindliches Süppchen darauf zu kochen. In einer Großen Anfrage an den Senat malen sie „amerikanische Zustände“ an die Wand und werfen dem Senat vor, bislang aus ideologischen Gründen keine wirksamen Gegenmaßnahmen ergriffen zu haben.
Mit hinlänglich bekanntem Jargon präsentieren die Rechten ihre bekannte „Lösung“: Ausweisung. „Werden jugendliche ausländische Straftäter in Zukunft ausgewiesen oder ermutigt der Senat diesen Personenkreis durch den Verzicht auf diese Maßnahme auch weiterhin zur Begehung von Straftaten?“ heißt es in der Anfrage. Innensenator Pätzold wird den Rechten aufrecht in die Augen schauen können. Im Hinblick auf zukünftige soziale Auseinandersetzungen der ethnischen Gruppen der Stadt wurde seine Verwaltung bereits präventiv aktiv. Im Pätzold-Entwurf zu den „Ausführungsvorschriften zum Ausländergesetz“ wurden gegenüber dem Kewenig-Erlaß Verschärfungen verankert, die sich sogar auf mögliche Unmutsbekundungen der Jugendlichen beziehen. Diese können, egal wie lange sie hier leben, ausgewiesen werden, wenn:
-„sie sich aktiv an politisch motivierter schwerer Gewaltausübung beteiligen“. Das heißt: Jede Mai-Bambule in Kreuzberg kann für türkische Kids die Ausweisung bedeuten;
-„sie sich an gewalttätigen Auseinandersetzungen ausländischer Gruppen beteiligen.“ Ohne die zunehmende Gewaltanwendung verniedlichen zu wollen - jugendliches Macho - und Imponiergehabe, wie es sich augenblicklich zwischen Kreuzberger und Weddinger Gangs äußert, kann dann zur Ausweisung führen;
-„sie einer kriminellen Vereinigung angehören„; oder
-„sie im Besitz von Schußwaffen sind.“ (Wobei der Erlaß offen läßt, ob eine Gaspistole bereits dazu zählt.)
Daß die derzeitige Bandenbildung unter ausländischen Jugendlichen bei anhaltender Verweigerung der Bürgerrechte, weiterer Ghettoisierung, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit eines Tages explodieren kann, ist jedem klar. Und man kann sich schon jetzt unschwer vorstellen, wie die Gangs sich mit Hilfe des Pätzold-Erlasses in kriminlle Vereinigungen umdefinieren lassen und die Ausweisung von Jugendlichen verfügt wird.
Zwar tagen allerorten Gesprächszirkel und beraten über Ursachen der Entwicklung und der Möglichkeiten der Schadensbegrenzung. Anders als bei der Skinhead-Problematik gerät wenig an die Öffentlichkeit. Man ist eher bestrebt, das Problem herunterzuspielen. Noch im Januar erklärte die Ausländerbeauftragte Barbara John, nichts von der Entwicklung gewußt zu haben und erst durch Presseberichte auf das Problem aufmerksam geworden zu sein.
Aber ganz ahnungslos war der Senat nicht. Bereits am 23. November 1989 berichtete die Gesamtkonferenz der Winkelfried -Oberschule aus dem Wedding in einem Brief an die Senatorin für Schule, Berufsbildung und Sport, Sybille Volkholz, über „die Behinderung des regulären Unterrichts durch schulfremde ausländische Personen“. In ihrem Antwortschreiben Anfang Januar bestätigte die Senatorin, daß es auch an anderen Schulen ähnliche Probleme gebe.
Zum Beispiel an der Moses-Mendelssohn-Oberschule in Tiergarten. Diese verschickte am 20. November einen Brief an die Hauptschulen des Bezirks, in dem sie zu einer Informationsveranstaltung einlud: “... auch unsere Schule ist von dem stadtbekannten Problem gewalttätiger Jugendbanden, die von türkischen Jugendlichen dominiert werden, betroffen... Dieses Problem kann von uns nicht alleine gelöst werden.“
Zur Problemlösung plante die Schulleitung am 12. Dezember eine Informationsveranstaltung, zu der die Ausländerbeauftragten des Bezirks und des Senats eingeladen wurden, Vertreter der Kripo, Mitarbeiter von Jugendzentren und den Falken. Tiergartens Volksbildungsstadtrat Norbert Schmidt untersagte die Veranstaltung. Schulrätin Schnoor begründet das Diskussionsverbot damit, daß eine öffentliche Diskussion „uns nicht weiterführt“, und daß es „ausreiche, wenn die Verwaltungsebene alle Möglichkeiten ausschöpfe“. Alles andere diene nur der Panikmache. Frau Schnorr legt Wert darauf, daß es in Tiergarten noch nie ein Problem mit den Jugendbanden in den Schulen gab, sondern immer schulfremde Personen auftraten. Nicht nur in Tiergarten, auch in anderen Bezirken ist man zu der Vogel-Strauß-Politik übergegangen. Die Angst der Schulleiter, die Probleme ihrer Schule könne in die öffentliche Diskussion geraten, ist unübersehbar.
Sie ziehen eine andere „Lösungsstrategie“ vor: Treten ausländische Jugendliche offen als Mitglied einer Gang auf, wird Polizeischutz angefordert und die Aktivitäten der Jugendlichen in schulferne Bereiche abgedrängt. Dort sind sie für Pädagogen und Sozialarbeiter nicht mehr erreichbar und bleiben der „Behandlung“ durch die Polizei überlassen. Diese wurde folgerichtig in ihren Aktionsmöglichkeiten verstärkt. Am 19. Februar wurden in allen fünf Polizeidirektionen der Stadt Sonderkommissionen eingerichtet, die sich mit der Bandenbildung und Skinhead -Problematik beschäftigen.
Nur schwerfällig reagiert die Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie. Seit Herbst tagt zwar eine Arbeitsgruppe zu den Ursachen des Rechtsradikalismus. Ein Ergebnis ist die Broschüre „Jugendarbeit gegen Rechtsextremismus“. Eine Arbeitsgruppe, die die zunehmende Gewaltbereitschaft bei ausländischen Jugendlichen erforscht sowie ihre spezifischen Entstehungsbedingungen, gibt es nicht.
Eberhard Seidel-Pielen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen