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„Die Politiker wollen doch nur ihre eigene Tasche füllen“

■ Raouf, Teppichverkäufer am Strand von Djerba, hat andere Sorgen als die Wahlen / Die Preise steigen sowieso, und er weiß kaum, wie er seine Familie ernähren soll

„Als ich letzte Woche nach Hause kam, fing die Schule gerade an. Meine 14jährige Tochter wollte einen Sportpullover, mein 13jähriger Sohn ein paar Turnschuhe, die kleine Mounia kommt in die erste Klasse: Sie brauchte eine Schulmappe, für alle mußte ich Schulhefte und Stifte kaufen - nur das Baby braucht zum Glück noch nicht soviel“, über Raoufs geplagtes Gesicht huscht ein Lächeln. Dann zählt er Finger für Finger die Ausgaben zusammen: Irgendwas über 40 Dinar hat alles gekostet. Raouf seufzt. Wenn alles gut geht, verdient er bei einer Fahrt, die so um 10 Tage dauert, 60 bis 80 Dinar. Raouf, 45 Jahre alt, pendelt ständig zwischen seinem Dorf in Mitteltunesien und Djerba hin und her - runde 200 km mit dem Bus. Er ist einer von vielen, die ohne feste Arbeit als herumziehende Händler ein bißchen am Tourismus verdienen wollen - bzw. müssen, denn das ist ihre einzige Chance. Raouf klappert mit ein paar kleinen Teppichen auf der Schulter die Hotelstrände ab. In der Nähe der Sonnenschirme streicht er liebevoll seine Ware glatt, so daß alle die dicken Touristen und barbusigen Touristinnen seine Teppiche sehen können. Dann legt er einen nach dem anderen in den Sand. Mit seinem traditionellen Hut, der roten Chechia, seinen ausgewachsenen Hosen und dem abgetragenen Hemd wirkt er fast wie der Fremde in dieser Umgebung. Er wartet unaufdringlich, bis die ersten Neugierigen kommen, und verwickelt sie in ein Gespräch. Längst hat er eine ganze Menge Deutsch gelernt: „Wieviel bezahlen wollen?“, und er versteht auch, wenn sich seine Kunden beraten. Neulich kaufte eine Frau einen Teppich nicht, wie üblich, für die Kommode im Flur oder als Bettvorleger, sondern: für ihren Hund. Aber was solls: „Wenn es keine Touristen gäbe, würde ich vor Hunger sterben.“ Entlassen wg. Gewerkschaftsaktivität Eigentlich ist Raouf Weber, wie sein Vater einer war. Neun Jahre in seinem Leben hatte er eine feste Stelle in einer amerikanisch–tunesischen Firma, die Ende der 60er Jahre einen schwunghaften Handel mit importierter second–hand–Kleidung aufzog. Ganze Schiffsladungen davon kommen in Souss an, werden aussortiert, ausgebessert und ins ganze Land auf die Märkte verteilt. Raouf zeigt auf seine Hose und sein Hemd: „Das kostet noch nicht mal einen Dinar. Ein ganzes Jahr reicht mir das - aber mein Sohn und meine Tochter, die wollen auch schon mal was Neues haben.“ Die Firma floriert weiter - aber Raouf wurde 1976 entlassen. „Ich war in der Gewerk schaft und hab zuviel geredet, meinte der Direktor vor Gericht.“ Denn Raouf hatte sich gegen die Entlassung gewehrt, einen Beschwerdebrief an den Minister geschrieben und ist vor Gericht gegangen. In einem ersten Prozeß bekam er sogar Recht und Schadensersatz zugesprochen. Doch dann legte die Firma Berufung ein. Raouf redet sich in Rage: „Damals hat mir der Direktor gesagt: Meine Schultern sind breit. Ich gebe vier gute Hemden an die hohen Herren der Region, damit sie mich meine Autorität weiter ausüben lassen.“ Den Berufungsprozeß verlor Raouf. „Das war illegal, aber was soll man machen? So ist Tunesien.“ Danach kam für Raouf und die ganze Familie eine harte Zeit. Arbeitslosengeld gibt es nicht. Höchstens die Verwandten, aber die sind auch arm. Nur ein Bruder hatte eine feste Stelle in einem Hotel an der Küste. Vor sechs Jahren begann Raouf, Teppiche zu verkaufen. Er kommt nach Djerba, weil hier die Konkurrenz nicht ganz so groß ist wie bei Souss oder Hammamet und vor allem die Polizei die Strandverkäufer duldet. Im Ort teilt er sich ein winziges Zimmer mit einem Schmuckverkäufer, abends kauft er sich sein Essen selber - und ab und zu eine Flasche Wein, „um die Probleme zu vergessen.“ Auf Djerba werden solche Teppiche nicht hergestellt, so daß sich die Fahrtkosten lohnen: Raouf kann einen besseren Preis machen als die Geschäfte. Er kauft die Teppiche, etwa 20 pro Fahrt, direkt bei den Frauen und Mädchen in seinem Dorf. In den Schulferien knüpft auch die Tochter ein paar. „Aber der Verdienst ist minimal: für acht Stunden Arbeit gerade zwei Dinar.“ Im Winter Gelegenheitsarbeiten In den Wintermonaten geht es Raouf wie den meisten Männern im Dorf: Er sucht Gelegenheitsarbeiten bei der Olivenernte im November, auf dem Bau oder bei Straßenarbeiten. Vier Dinar kann er da maximal am Tag verdienen. Wenn das nicht klappt, webt er zu Hause am alten Webstuhl des Vaters Decken, die er auf dem Markt verkauft. Aber das bringt noch weniger. Zum Glück wohnt er noch in dem alten, halb zerfallenen Haus seiner Eltern und muß keine Miete bezahlen. Seine Frau hat mit den Kindern und der alten Großmutter genug zu tun. Nur bei der Olivenernte hilft sie mit, die heruntergefallenen Früchte aufzusammeln: Acht Stunden für 1,5 Dinar. Das Essen für die ganze Familie darf am Tag nicht mehr als zwei Dinar kosten: ein paar Tomaten, Paprika, Zwiebeln und Brot oder Nudeln. Fleisch gibt es im Monat bestenfalls einmal. „Reiche gibt es nur wenige bei uns im Dorf: ein paar große Händler, ein paar große Olivenbauern, vielleicht noch die Staats–Angestellten und die Arbeiter in der Weberei - aber den meisten geht es wie mir.“ Und die Preise steigen. Brot z.B., das Grundnahrungsmittel, um den Bauch zu füllen, kostet jetzt 100 Millem (ein Zehntel Dinar) und wiegt nur noch 500, statt früher 600 Gramm. „Dabei hatte Bourguiba doch vor zwei Jahren versprochen, daß die Brotpreise nicht erhöht werden.“ Aber Raouf ist von den Politikern enttäuscht, nicht von Bourguiba. „Er hat sein Leben für die Unabhängigkeit Tunesiens geopfert. Bourguiba ist ein integrer Mann. Wir verdanken ihm viel.“ Raouf wiegt bedächtig den Kopf. „Aber für die Jugend, für die bedeutet das nicht mehr viel. Und Bourguiba ist alt geworden. Seine Hand zittert und sein Mund sabbert, wenn er spricht - wie ein Baby.“ Raouf ahmt den Greis - wie Mao in seinen letzten Monaten - nach und lacht, nicht ohne sich schnell umzusehen, ob auch niemand den Frevel bemerkt hat. „Und die Politiker wollen doch nur ihre eigenen Taschen füllen. Warum ist der letzte Premierminister Mzali geflohen, wenn er nichts zu befürchten hätte?“ Klar, daß die Wahlen für Raouf nichts bedeuten. „Was soll sich schon ändern? Die Preise steigen weiter. Da kann man nichts machen, nur mehr arbeiten.“ 1 Dinar ist etwa 2,50 DM; der gesetzliche Mindestlohn für feste Angestellte beträgt 97 Dinar im Monat

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