: Die Politiker als Zahlmeister
■ Hamm-Uentrop wurde zum Exempel für die hilflose Politik der Stillegung
Die Vereinbarung über einen geordneten Auslaufbetrieb und die anschließende Stillegung des Thorium -Hochtemperaturreaktors (THTR) in Hamm-Uentrop, auf die sich Bund, Land und Betreibergesellschaft Ende vergangener Woche überraschend geeinigt hatten, ist nicht einmal das Papier wert, auf dem sie steht: Noch ehe sie unterzeichnet werden konnte, ist sie Makulatur. Nach den Beschlüssen der außerordentlichen Gesellschafterversammlung der Hochtemperaturreaktor GmbH (HKG) gibt es keinen Zweifel mehr: Hierzulande diktiert allein die Stromwirtschaft Bedingungen und Modalitäten bei der Stilllegung eines AKWs und sonst niemand.
Der Fall Hamm-Uentrop ist ein Exempel. Als Nordrhein -Westfalens SPD-Landesregierung, die ursprünglich die „sofortige Stillegung“ befürwortet hatte, schließlich doch einer mehrjährigen Auslaufphase zustimmte, begründete sie ihren Umfall mit „Konkursverhinderung“. Dies freilich ist nur die kunstvolle Umschreibung für etwas, das wir gemeinhin Erpressung nennen. Und die Politiker sind selbst schuld, wenn sie jetzt von der Energiewirtschaft vorgeführt werden.
Geradezu besoffen von den Errungenschaften des technischen Fortschritts haben sie vor Jahren ein AKW nach dem anderen ans Netz genommen, ohne auch nur einen Gedanken an deren spätere Stillegung zu verschwenden. Entsprechend unzureichend ist die Gesetzeslage. Nicht einmal die Durchgriffshaftung auf die milliardenschweren Energiekonzerne ist im Bundesatomgesetz ausreichend geregelt.
Diese Gesetzeslücken haben die sauberen Herren mit ihren dreckigen Geschäften längst erspäht. Wenn die Politiker nicht so wollen wie die Energiewirtschaft, drohen sie mit dem Konkurs einer Atomanlage, die dann herrenlos in der Landschaft stünde. Also buhlen die Politiker um den Konsens mit den Betreibern, der eine „geordnete Stillegung“ möglich machen soll. In Wahrheit hat die Politik bei solchen Verhandlungen gar nichts mehr zu melden - sie ist hier einzig als Zahlmeister gefragt. Wie jetzt in Hamm-Uentrop werden die Politiker auch in künftigen Fällen ohnmächtig zuschauen müssen, wie die Betreiber um die Preise für die Stillegung pokern - mit immer höheren Einsätzen. Die Politiker sind Gefangene ihrer eigenen Politik geworden, während die ehrenwerte Gesellschaft der Atomlobby ihre Freiheiten ungeniert nutzt: Denn Glaubwürdigkeit und Seriosität haben diese Herren ohnehin nicht mehr zu verlieren.
Johannes Nitschmann
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