Die Pleite von Alemannia Aachen: Ganz schön verrechnet
Tiefer Fall in ein plötzliches Finanzloch: Der Drittligist Alemannia Aachen hat Insolvenz angemeldet. Schuld sind geschönte Bilanzen und teure Kredite.
Fußballfreunde in Aachen lernen derzeit neues Fachvokabular jenseits von Doppelpass und Doppelsechs: „Restrukturierungsbeauftragter“ wäre ein Beispiel. „Planinsolvenzverfahren mit Eigenverwaltung“ ein anderes. Der Traditionsverein Alemannia, 2007 noch Bundesligist und 2011 im Pokal-Viertelfinale vertreten, ist pleite.
Im Oktober hatte sich plötzlich ein Finanzloch von 4,5 Millionen Euro aufgetan. Bis Juni 2013, so die zerknirschten Klubchefs, werde es auf 12 Millionen anwachsen. Das lässt einen staunen. Denn war nicht mit dem Zweitliga-Abstieg im Sommer der Etat zusammengestrichen worden, die Stadionmiete halbiert? Hat Aachen nicht mit beneidenswerten 13.500 Zuschauern die mit Abstand meisten Besucher aller Drittligisten?
Noch im Mai segneten die Wirtschaftsprüfer der Alemannia diverse Umschuldungen ab, Stadt und Land übernahmen Bürgschaften in zweistelliger Millionenhöhe. Alles im Lot, rief Geschäftsführer Frithjof Kraemer und ließ sich vom Aufsichtsrat im September seinen Vertrag verlängern.
Am 31. Oktober wurde er von denselben Räten, die entweder im Amt versagt haben oder aber Mitwisser sind, zu Fuß vom Hof gejagt. Und Aufsichtsratschef Meino Heyen stotterte wie ein Erstklässler, der beim Schummeln erwischt wurde: „Wir, äh, stehen vor einem Scherbenhaufen.“
„Belogen, betrogen und über den Tisch gezogen“
Die Alemannia Aachen GmbH hat nun Insolvenz angemeldet. Die Stadt fühlt sich „belogen, betrogen und über den Tisch gezogen“ und erstattete Strafanzeige gegen Kraemer, die Aufsichtsräte und die Wirtschaftsprüfer. Offenbar wurden Altlasten kreativ versteckt. Der Oberbürgermeister spricht von „krimineller Energie“. Fans weinen öffentlich. Im Stadion weht das Plakat „Totenkraemer“.
Außer enormer Misswirtschaft hat der Club auch unterhaltsame Extreme zu bieten:
Tabellenführer der ewigen Zweitligatabelle und einziger Zweitligist, der jemals in einem Jahr häufiger live im Free-TV zu sehen war als alle anderen Klubs.
Schnellster Torschütze bei einem gegnerischem Anstoß: Miro Spizak (2002, gegen Union Berlin), 7,7 Sekunden
Die unglücklichst vergebene Torchance: Mit einem Schuss beide Pfosten und die Latte getroffen (Erik Meijer, in Cottbus, 2004)
Dauerbesieger des Rekordpokalsiegers Bayern München (2004-2007)
Einziges Stadion mit Liebeserklärung im Namen: Tivoli - rückwärts gelesen: I lov it. (müll)
Wegen der „Komplexität und Größe des Falles“ hat die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität in Köln das Verfahren an sich gezogen. Es geht um Betrug, Untreue, Steuerhinterziehung und Insolvenzverschleppung. Haft droht, und Haftung mit dem Privatvermögen.
Intern lagen die Probleme schon im April auf dem Tisch. Aufsichtsrat Horst Rambau, als Steuerberater ein offenbar kundiger Zahlenmensch, hatte exakt jene 4,5 Millionen Miese für den Herbst prognostiziert. Es drohe „ein Desaster“, ein Minus von bis zu 12 Millionen Euro im Jahr 2013. Heyen und Miträte mobbten den Querulanten aus dem Amt. Auch die Stadt kannte Rambaus Warnungen, verließ sich aber blauäugig auf das Testat der Wirtschaftsprüfer.
Vordergründig ist der Stadionbau schuld. Mit dem 2009 eröffneten grellgelben „Neuen Tivoli“ – 50 Millionen Euro Kosten, Platz für 33.000 Zuschauer – wollte man wettbewerbsfähig bleiben. Das Ziel: dauerhaft Erste Liga. Man baute sich sein eigenes Mausoleum. Doch entscheidender als das Stadion waren Kredite mit bis zu 14 Prozent Zinsen.
Zwangsabstieg
Insolvenzantrag bedeutet laut DFB-Statuten automatisch Zwangsabstieg in die Regionalliga. Die Alemannia-Fans sind fassungslos, wütend – und spenden („Liebe kennt keine Liga“) ihre letzten Sparcents auf ein „Rettungskonto“. Einer schickte dem Insolvenzverwalter jetzt 5.000 Euro: „Ich vertraue Ihnen. Kaufen Sie nen Knipser.“ Wie surreal Vereinshingabe sein kann, zeigt sich am Beispiel eines Aachener Malermeisters.
Er sagt, Bauunternehmer Hellmich schulde ihm noch 320.000 Euro, Alemannia habe sich an Zusagen von 5-stelligen Beträgen nicht gehalten, der Stadionbau sei „ein Wust aus Lug, Trug und Intrigen“. Dennoch pilgert er brav zu den Spielen.
Vater des Stadions ist Jürgen Linden. Der ehemalige SPD-Oberbürgermeister und damalige Aufsichtsratschef der Alemannia hatte den Neubau forciert. Er gilt vielen jetzt als Pate des Untergangs. Vor Jahresfrist kündigte er „bis zum Sommer eine ausführliche Dokumentation des Stadionbaus“ an. Sie kam nie. Heute will sich Linden nicht mehr äußern.
Linden hatte stadionwerbend immer wieder vom „Herzblut für die Alemannia“ gesprochen. Solche lokalkolorierten emotionalen Argumente sind szenetypisch. Alle sollen als Mitspieler ins Boot, auch die öffentliche Hand. Bürgt die Stadt einmal für das Werbevehikel Fußball, geht es immer weiter mit Begehrlichkeiten. Hilft man nicht, macht man sich mitschuldig. Der Aachener Landtags-Grüne Rainer Priggen klagt, als Politiker habe man „immer die Arschkarte“.
Landesbürgschaft über 23 Millionen
Die Summen sind gigantisch. Das Land NRW ist bei der Alemannia mit 23 Millionen Euro Bürgschaft in der Pflicht, die Stadt mit fast 19 Millionen Euro. Die Fananleihe über 6 Millionen Euro inklusive Zinsen, rückzahlbar bis 2013, dürfte verloren sein. Fananleihen, vielerorts sehr beliebt als „Herzblutgabe“, dienen dazu, akute Liquiditätslöcher in die Zukunft zu verschieben.
Alemannia muss die Saison irgendwie zu Ende spielen. Denn wird das Insolvenzverfahren noch während der laufenden Spielzeit eröffnet, steht das sportliche Todesurteil fest: Absturz in die Kreisliga D. Also geht das Millionenspiel mitten in der Pleite wieder von vorne los: Gebt uns Geld, bettelt die Alemannia. 2 Millionen fehlen, um den Lokalderbys zu entgehen.
Doch nicht nur Aachen ist ausgeblutet. Das Eigenkapital der Klubs unterhalb der Bundesliga schrumpft. Derzeit stehen Zweitligist MSV Duisburg und der Drittliga-Herbstmeister VfL Osnabrück überschuldet auf der Kippe. Fußball ist ein gefährlich unsoziales Geschäft.
Die Erste Liga ist über Fernsehgelder üppig alimentiert. Die Großen in der Champions League freuen sich über hohe Garantieprämien der Uefa. Der Unterbau ist Fußballprekariat. Er wird mit einer Art Hartz-IV-Satz an TV-Geldern abgespeist.
Weitermachen ist eine Farce
In Aachen helfen jetzt, ganz wie im richtigen Leben, die Superreichen den Gescheiterten mit Almosen: Am 20. Januar kommt der FC Bayern unentgeltlich zum Rettungsspiel. Klubchef Heyen übrigens hat jetzt, überfordert im Chaosklub, abgedankt. Er wartet auf die staatsanwaltlichen Ermittlungen.
Sportlich ist Weitermachen eine Farce. In der Winterpause werden viele Spieler weiterziehen, weil es nur für drei Monate Insolvenzgeld gibt (maximal 5.600 Euro) und Löhne gespart werden müssen. Amateure und A-Jugendliche werden die Profis ersetzen. Dennoch gibt der mit der Restrukturierung beauftrage Michael Mönig als Interimsklubchef den Klassenerhalt als Ziel aus.
„Wenn wir die Insolvenz gut meistern und es sportlich schaffen, darf man doch nicht durch Zwangsabstieg bestraft werden.“ Statut ist Statut, wird wohl der DFB kühl lächelnd sagen, und die gesündere Konkurrenz wird rebellieren. Zudem ermittelt der Verband wegen Lizenzerschleichung, die schönen Zahlen und Rechenspiele aus dem Frühjahr erscheinen im Nachhinein unglaubwürdig.
Egal: Im schwarz-gelb besoffenen Aachen soll die vage Hoffnung auf Klassenerhalt Gebefreudigkeit bewirken. Spendet! Auch die Stadt bittet Mönig, „durch Forderungsverzicht zu helfen“. Den Steuerzahler wird es freuen. Und was wird aus dem Stadion? Eine Zwangsversteigerung steht im Raum. Und auf lange Sicht vielleicht auch ein Abriss des Neubaus. Aus dem Scherbenhaufen würde ein Schutthaufen, herzblutrot.
Leser*innenkommentare
Franz Wirtz
Gast
Ruhe vor dem Sturm? …
Es ist aktuell ruhig an der Alemannia-Front, auffallend ruhig. Der Sportbetrieb läuft ja gerade wieder an, aber was machen die beiden Retter? Da der Presse nichts Neues zu entnehmen ist, konnte man sich der einen oder anderen Frage aus bisherigen Veröffentlichungen widmen:
Donnerstag, 20. Dezember 2012, Aachener Nachrichten - Stadt / Seite 3
Sie haben mit dem DFB gesprochen. Wie reagiert der Verband?
Mönig: ... Wir haben uns mit dem DFB über die Zukunft unterhalten. Er darf uns nicht einseitig bevorteilen, aber auch er hat ein Interesse daran, dass wir wettkampffähig die Serie zu Ende spielen. Unsere Position ist es: Wenn wir das hier sportlich und wirtschaftlich schaffen, möchten wir nicht durch einen Zwangsabstieg bestraft werden.
Soweit ich das in anderen Alemannia-Foren mit verfolgen kann, bin ich nicht der Einzige, der über den letzten Satz schon mehrfach nachgedacht hat, ohne aber zu einem verwertbaren Ergebnis zu gelangen. Die gewählte Formulierung klingt so eigenwillig nach einer Bitte und nicht nach einem Recht auf Klassenerhalt. Eine kurze Nachfrage beim DFB klärte den Sachverhalt auf:
Hallo, hier kommt es auf § 6 der DFB-Spielordnung an.
http://www.dfb.de/index.php?id=11003
Ein Verein steigt nur ab, wenn das Insolvenzverfahren tatsächlich eröffnet oder mangels Masse abgelehnt wird. Schafft es die Alemannia Aachen GmbH, das Insolvenzverfahren abzuwenden, würde der Verein nicht an das Ende der Tabelle gesetzt werden.
Beste Grüße, Ihr DFB-Team
Warum die beiden den einfachen Sachverhalt so geheimnisvoll ausdrücken bleibt ihr Geheimnis. Ausdrucksstark sind sie ja, aber eben auf ihre Art oder wussten Sie schon, warum Insolvenzverwalter so beliebt sind?
Mönig: ... Die Ufa hat bei der Umschuldung ein inzwischen ebenfalls gekündigtes Darlehen gegeben, das durch den Tivoli-Namen abgesichert wurde. Die Vermarktungsrechte für den Tivoli sind bei der Ufa. Die könnte den Namen verkaufen.
Mönning: Es sei denn, der Kollege Insolvenzverwalter der Stadion GmbH findet einen insolvenzrechtlichen Hebel, um diese Verträge auszusetzen. Das macht ja die große Beliebtheit von Insolvenzverwaltern aus: Sie dürfen Verträge daraufhin überprüfen, ob sie insolvenzfest sind. ...
Franz Wirtz
Gast
Rosen für den Staatsanwalt ...
Je länger ich darüber nachdenke, je klarer erscheint mir die abwegige Idee: Der Schuss kam direkt aus dem Rathaus. "Friendly Fire" - übersetzt "irrtümlicher Beschuss aus den eigenen Reihen". Wahrscheinlich sind freundlich und irrtümlich zwei völlig falsche Begrifflichkeiten in diesem Zusammenhang. „Schlechte Sicht, menschliches Versagen oder die falsche Parole" liefert Wikipedia als mögliche Ursachen hierfür, aber Wikipedia kennt unsere besonderen örtlichen Gegebenheiten nicht. Ansonsten wären erläuternde Begrifflichkeiten wie Niedertracht, Heimtücke oder betrügerische Absicht zu vermuten.
Horst Rambau hatte als Aufsichtsratsmitglied der GmbH genau das getan, was man von einem Aufsichtsratsmitglied erwarten darf. Er hatte Alarm geschlagen und hat, so ist zu vermuten, nachdem sich nichts tat, den direkten Weg zum Rat der Stadt Aachen gesucht. Es muss für einen bestimmten Teil des Rates äußerst störend gewesen sein, als der Rat mitten in seinem Bemühen – den völlig Ahnungslosen zu mimen – mittels Email „offiziell" darüber informiert wurde, dass es "viertel nach zwölf ist". Was macht man, wenn sich trotz gellender Alarmmeldung nichts tut? Man hakt nach und ich nehme an, die damit verbundene Unruhe hat den Schuss ausgelöst, der Rambau sein Amt kostete.
Auffällig auch, dass Horst Rambau nach Offenlegung der tatsächlichen Verhältnisse nicht irgendwie und irgendwo wieder auftauchte. Oder habe ich gemeinsame Bilder mit dem Oberbürgermeister oder anderen Verantwortlichen innerhalb der Presseberichterstattung bloß verpasst?
Im Zusammenhang mit der Kaiserplatzgalerie wurde auch ein großes Kino, der Gloria-Palast abgerissen.
„… Wegen der „Komplexität und Größe des Falles" hat die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität in Köln das Verfahren an sich gezogen. Es geht um Betrug, Untreue, Steuerhinterziehung, Insolvenzverschleppung. …"
Das lässt erahnen, dass in naher Zukunft ohnehin eher Klassiker wie „Rosen für den Staatsanwalt" anstatt „Helden der Kreisklasse" zu sehen gewesen wären.
PS:
30 / 70, lautete das Verhältnis von mehr als 1000 Anrufen bei der Lokalzeit auf die Frage, "Soll die Stadt der Alemannia nochmals finanziell aus der Patsche helfen?", wobei sich 70 Prozent dagegen aussprachen. (Oktober 2012)
tikay
Gast
Ich bin einer derjenigen, die noch an das Gute geglaubt haben (und zudem noch Fan bin) und so habe ich Geld in die Fananleihe investiert. Da diese keine Besicherung hat, ist das ganze Geld verloren, es sei denn ich gehe gegen die Geschäftsführer und Aufsichtsräte von damals persönlich vor, die im Emissionsprospekt Unwahrheiten oder falsche Angaben gemacht haben.
Da mir die ersten 6 Seiten des Emissionsprospektes fehlen meine Frage: Hat jemand ein vollständiges Exemplar? Bitte melden!
Ich bin zudem noch auf der Suche nach Mitstreitern, die das Geld der Anleihe nicht abschreiben wollen. Dabei geht es mir nicht darum bei der Alemannia selber das Geld einzutreiben, sondern bei denen, die die Misere verursacht haben. Aus den Prüfberichten der letzten Jahre könnte es Hinweise auf Erfolg einer Klage geben, meine ich.
Am Besten ein Anwalt, der auch Fan der Alemannia ist und Geld investiert hat.
Franz Wirtz
Gast
Alemannia und das wahre Leben ...
"Hartz-IV-Empfänger wohnt in Schloss Neuschwanstein", was so klingt wie eine Bild-Titelstory, beschreibt lediglich die aktuelle Situation der Alemannia. Die bereits feststehende zukünftige Zugehörigkeit in eine der Amateurligen verbietet eine realistische, auch nur annähernd kostendeckende Stadionmiete. Das daraus resultierende finanzielle Fiasko für den Steuerzahler kann wahlweise 'on bloc' oder scheibchenweise, verteilt über die nächsten 500 Jahre genossen werden. Die hierfür verantwortlichen Politiker werden sich wie immer aus dem Staub machen und die Lösung des Problems auf nachfolgende Generationen vertagen wollen. Die diesbezüglichen Äußerungen seitens des OBs in der Freitagausgabe der AN: "Jede Prognose wäre Quatsch ..." sind das genaue Gegenteil seiner Äußerungen anlässlich der damals anstehenden Ausfallbürgschaft und zur Umfinanzierung, erst vor wenigen Monaten.
Zwar hat selbst der OB mittlerweile zugegeben, dass der lediglich zu vermutende Erfolg eines Fußballclubs nicht als Grundlage für eine derart kostspielige Entscheidung dienen darf. Andererseits gibt er sich gleichermaßen als Unschuldslamm, weder die konkreten Warnungen eines Aufsichtsratsmitgliedes haben ihn und seine Kollegen dazu bewegen können "den Arsch hoch zu kriegen" und sich um Schadensbegrenzung zu bemühen, noch die ebenfalls vorliegenden Kenntnisse um die jetzt auch öffentlich bekannt gewordenen Baumängel.
Das zugrunde liegende Prinzip – erst mal unumkehrbare Fakten schaffen – ist den Verantwortlichen so zu Eigen geworden, dass es ihnen quasi wie eine schlechte Handschrift anhaftet. Vorher völlig unfähig auch nur die banalsten Zusammenhänge zu erkennen, erdreisten sie sich sofort nach Baubeginn, kackfrech darauf hinzuweisen, dass es „kein Zurück mehr gibt". Wer den bisherigen Verlauf der sogenannten "Campusbahn" verfolgt, erkennt die fatale, parallele Entwicklung beider – von Größenwahn gezeichneter – Projekte.
Was den katastrophalen Stadionneubau angeht können wir nur noch auf die Ergebnisse der staatsanwaltlichen Ermittlungen gespannt sein. Was die Campusbahn betrifft, haben es alle Aachener noch selbst in der Hand.
Franz Wirtz
Gast
@Katsche
Nur interessehalber, wer oder was sollte sich als Aushängeschild einer Stadt beschreiben? Schaue ich bei Wikipedia unter Aachen nach, bekomme ich beim Scrollen mit der Maus einen Krampf in der Hand, bevor die Alemannia erstmalig auftaucht. Selbst Reiner Calmund erwähnte in einem Interview diesbezüglich zuerst die Printen und die Dominosteine. CHIO, der Dom und Karl der Große? Die Stadt selbst nimmt offiziell lediglich Europa und Stadt der Wissenschaft für sich in Anspruch. Sind Sie der Meinung, die Stadt Aachen profitiert heute vom Erscheinungsbild der Alemannia?
Würde diese Stadt bei Touristen in Vergessenheit geraten, wenn sich der ortsansässige Fußballclub ins Amateurlager verabschiedet? Sie verweisen sicherlich zu Recht in Ihrem Beitrag u.a. auf die „hungrigen und durstigen Fans“, die einen gewissen Umsatz vermuten lassen, aber würden diese umgekehrt eine Hungerkur durchleben oder ihr Geld plötzlich verbrennen wollen, wenn sie es nicht an einem Wochenende am Tivoli ausgeben dürften?
Um Missverständnissen vorzubeugen, ich gönne dem Club jeden einzelnen seiner Fans, möchte aber andererseits nicht jedes fadenscheinige Argument von selbstgefälligen Politikern, Pressevertretern und Vereinsverantwortlichen durchgehen lassen.
Meiner Meinung nach ist es heutzutage für politisch Verantwortliche absolut abwegig, im Sinne einer positiven Stadtentwicklung, auf das Image eines Fußballclubs zu setzen. Die aktuelle Diskussion um das neue Sicherheitskonzept in den Fußballstadien zeigt, wie schwierig, lang und dornenreich der Weg einer Verständigung noch sein wird. Zwar halte ich eine gütige Einigung der beiden Lager durchaus für machbar, dafür bedarf es allerdings entsprechend souveräner Führungspersönlichkeiten in den Vereinen. Wo ich diese aktuell bei der Alemannia vermuten soll, ist mir vollkommen schleierhaft.
PS:
Uralte, aber teilweise immer noch aktuelle Themen:
Deutschlandfunk „Liga streitet um Financial Fairplay“
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/1480024/
Deutschlandfunk; „Spiele statt Brot“
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/dlfmagazin/1201454/
Deutschlandfunk; „Finanztricks der Vereine“
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/1197541/
Apfel
Gast
Mit Hans Peter Appel fing das Elend an. Millionenverluste in der ASEAG, und das gleiche Spiel in die Alemania gebracht. Aber das ist geheim. Nicht weitersagen.
alemanniaferret
Gast
@Katsche
Doch, der Franz Wirtz hat vollkommen recht.
Parasitäre unfähige Seilschaften sind das Hauptproblem.
Was meint ihr denn warum Köln die Ermittlungen führt und nicht Aachen ? Weil die Aachener Staatsanwaltschaft das nicht kann oder weil ein Oberstaatsanwalt aus Aachen im Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrat saß. Trotz aller Unfähigkeit haben die Aachener sich immer wieder ganz erfolgreich durchgewurschtelt. Bis der neue Tivoli kam, der hat dem Faß den Boden rausgehauen. Und jetzt haben wir den Salat.
Katsche
Gast
@Franz Wirtz
Ohne Insiderwissen zu Aachen im Besonderen zu haben, möchte ich doch darauf hinweisen, dass es mit dem Niedergang von Traditionsvereinen allein am Stadion auch nicht liegt. Genug von ihnen sind mit ihren nicht renovierten alten Betonschüsseln ganz genauso in der Unterklassigkeit verschwunden, wie Aachen mit seinem gelben Wunderbau.
Und wer in den Katakomben der Toilettenanlagen in so einer alten Kiste mal in ein richtiges Gedränge geriet, der weiss, dass hier auch ernste Gefahren und andere, vielleicht nicht lebensbedrohliche, Widrigkeiten gelauert haben.
Des Weiteren gehört zum ganzen Bild, dass sich die Gemeinden aus der Beteiligung am Erhalt von den alten Sportstätten, die ihnen selbst gehörten, und von den Vereinen auf Dauer angemietet waren, meist komplett zurückgezogen haben. Wenn hier Geld in Form von Bürgschaften oder Krediten für Neubau gestellt wird, hat das auch in gewisser Hinsicht den Charakter einer Kompensation.
Schliesslich profitierte die Stadt Aachen ganz erheblich von einem Aushängeschild wie der Alemannia, jedenfalls, solange die guten und erfolgreichen Fussball spielten. Und auch ganz direkt fliessen Steuereinnahmen in die Kassen, und zwar in ganz erheblichem Umfang, wenn die Bude voll ist mit hungrigen und durstigen Fans, die teure Tickets gekauft haben, viel Sprit verfahren und Leuten zuschauen, die in der höchsten Steuerklasse als Spitzenverdiener unterwegs sind.
Toll
Gast
abgeschrieben aus den Zeitungen der letzten Wochen. Mit etwas Häme und Überheblichkeit gewürzt und zu guter letzt noch ein paar Unwarheiten wie "Abriss" eingefügt. Alle Achtung vor diesem Schreiberling!
Franz Wirtz
Gast
Parasitäre Symbiose …
Sie hatten kein Geld und wollten es trotzdem, das viel zu große und teure Stadion an der Krefelder Straße. Sie wussten um ihre Möglichkeiten, schließlich hatte das erbärmliche „Eine Hand wäscht die andere-Spiel“ jahrzehntelang bestens funktioniert. Verein, Politik und Lokalpresse schoben sich derart dreist die Argumente zu – „für das Überleben des Klubs unverzichtbar“ – dass es eine wahre Freude war.
Genau dieselben 5,5 Millionen € an jährlicher Zins- und Tilgungslast, die vor dem Bau als „besonders ambitioniertes Finanzierungskonzept“ von der Lokalpresse frenetisch gefeiert wurden, wurden unmittelbar nach dem Bau als „unerträgliche Belastung“ gebrandmarkt.
Damit ist die Geschichte im Wesentlichen bereits erzählt. Ausnahmslos allen Beteiligten war dieses Szenario von Beginn an bewusst. Getreu dem Motto „Nach uns die Sintflut“ wurde diese Schuldenschüssel praktisch ohne jedes eigene Risiko einfach mal so in die Landschaft gestellt. Jedem der auch nur bis drei zählen konnte war klar, dass es zu finanziellen Engpässen kommen würde und genau so klar war, dass dann die Drohung „Es wird noch teurer für Euch, wenn Ihr uns nicht erneut helft“, zwangläufig von Erfolg gekrönt sein würde. Erst kam die 5,5 Millionen-Bürgschaft, dann der 50 Millionen-Kredit.
Unfähigkeit als Konzept, in Aachen immer schon eine Erfolgsgarantie. Die unfähigen Vereinsbosse samt aller ihrer Gremien und die verantwortlichen Ratsherren waren längst zu einer parasitären Symbiose verschmolzen. Einerseits fühlt die Stadt sich angeblich betrogen und hat Klage erhoben, andererseits hat sie aber bereits wieder signalisiert, jetzt auftretende Mietausfälle könnten durch entsprechende Rückstellungen kompensiert werden. Aktuell lässt sich der Verein öffentlich dafür feiern, dass er sich selbst mittels „Planinsolvenzverfahren in Eigenverwaltung“ rettet. Anders ausgedrückt, er schmeißt der Stadt die 50 Millionen € teure Schuldenschüssel vor die Füße und möchte demnächst kostenfrei und selbstverständlich weiter exklusiv darin spielen.
Der Kreis schließt sich. Was vor Jahren so absichtsvoll eingefädelt worden ist, findet jetzt seine Erfüllung. Das einzig wirkliche Problem der politisch Verantwortlichen ist, so zu tun, als sei man überrascht und bereits die nächste, zwangsläufig notwendige Rettungsaktion einzuleiten. Ganz großes Kino.
PS:
Für interessierte Vielleser, das online-Forum der Stadt Aachen „Steuergeld für Alemannia“:
http://www.aachen.de/de/stadt_buerger/politik_verwaltung/stadtseiten/forum_stadtseiten/index.html
Katsche
Gast
Die dicken Fische im Teich werden gut dran tun, sich mehr um die nicht ganz so dicken Mitbewerber zu kümmern. Aber auch ist notwendig, dass sich die Strukturen bei letzteren professionalisieren.
Hierbei müssen die Fans mitgenommen werden. Noch steht der Fussball bei uns erst am Beginn einer Entwicklung, deren Eskalation und Degeneration in England, Spanien und besonders Italien bereits zu besichtigen ist. Die ersten drei Ligen bei uns sind vom Leistungsvermögen her beispiellos eng, und damit bespiellos spannend.
Unser Nachwuchs kommt auf breiter Basis aus den unteren Regionen hervor, was zur Folge hat, dass hier noch immer viel mehr Einheimische kicken als woanders. Und bislang wird auch durch die Gesetze verhindert, dass sich eine Monokultur von durch Investoren finanzierten Starensembles durchsetzt.
Auch wenn dies nicht mehr durchgängig gelingt: Fussball ist hier noch eine Sache von Verein und Tradition, nicht herabgestuft zur reinen Ausbeute eines Labels vermittels leidigem Product-Placement. Die Liebhaber dieses Sportes würden nicht zögern, hier von einer erhaltenswerten Kultur zu sprechen.
Alemannia Aachen und andere sind Namen, wie mit Flammenschrift an die Wand geworfen. Heinrich Heine lässt grüssen. Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht...wäre nötig, dass jetzt was vom DFB kommt. Weckt den Niersbach mal auf!
Wolfram Isecke
Gast
es gibt doch noch einen Namen in dieem ganzen Chaos.
Erik Mejer!!!
Was ist dnmit diesem nach aussen so Vereinstreuen Mann.
reblek
Gast
"Tiefer Fall in ein plötzliches Finanzloch" - Sorry, aber ein Finanzloch kann nicht "plötzlich" sein, sondern: "Im Oktober hatte sich plötzlich ein Finanzloch von 4,5 Millionen Euro aufgetan."
"... übernahmen Bürgschaften in zweistellige Millionenhöhe." - Oder in "zweistelliger"?
"Der Aachener Landtags-Grüne Rainer Priggen klagt, als Politiker habe man 'immer die Arschkarte'." - Soviel Selbstmitglied. Es würde reichen, sich die Realitäten anzusehen und entsprechend zu reden und zu entscheiden, statt sich in der Fußballsonne bräunen zu lassen.
Die Beteiligten hätten sich ein Beispiel an Niebaum und Meier vom BVB nehmen sollen. Die haben einen dreistelligen Millionenbetrag verkackt und sind nicht wirklich an die Wand genagelt worden. Meier hat sich sogar diese Sottise erlaubt: "Wir haben ein bestelltes Feld hinterlassen." Wohl wahr, aber schlecht.