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Die Platte kommt in die JahreMarzahn geht in den Ruhestand

Vor 30 Jahren wurde in Ostberlin der Stadtbezirk Marzahn gegründet. Viele Jahre Berlins jüngster Bezirk, ist die Bevölkerung mit den Plattenbauten gealtert.

Der Prototyp eines Marzahners Bild: AP

Am Montagabend war es so weit. Im Freizeitforum an der Marzahner Promenade eröffnete Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) die Geburtstagsfeier für einen der jüngsten Bezirke Berlins. Marzahn wird 30 und feiert seinen Gründungsakt. Der fand am 5. Januar 1979 statt, als die Ostberliner Stadtverordnetenversammlung aus den Ortsteilen Biesdorf, Hellersdorf, Kaulsdorf, Mahlsdorf und Marzahn den neuen Stadtbezirk Marzahn aus der Taufe hoben. Kurz zuvor war mit dem Bau der neuen Plattenbausiedlung begonnen worden.

Jung ist das inzwischen mit Hellersdorf fusionierte Marzahn noch heute, aber nur auf den ersten Blick. Zwar beträgt das Durchschnittsalter lediglich 41,1 Jahre - Marzahn-Hellersdorf ist diesbezüglich der drittjüngste Bezirk. Doch nirgendwo sonst in Berlin schreitet die Alterung der Bevölkerung so rasant voran wie im Nordosten. Kurz nach der Wende 1991 lag das Durchschnittsalter in Marzahn und Hellersdorf noch bei 30,5 Jahren.

Die Bevölkerung altert also mit dem Bezirk, und dort vor allem mit den Großsiedlungen. Was aber bedeutet das für die Wohnungswirtschaft und die Bezirkspolitik? "Seit der Gründung haben wir die verschiedensten Phasen durchlaufen", sagt Erika Kröber, langjährige Pressesprecherin des landeseigenen Wohnungsunternehmens Degewo. "Am Anfang waren es die Familien mit den Kleinkindern, später die Jugendlichen, nun ist es das Wohnen im Alter."

Anders formuliert: Wer Ende der Siebzigerjahre in die Plattenbauten an der Allee der Kosmonauten zog, hatte Mühe, eine Kita zu finden. Später suchten die herangewachsenen Kinder - oft vergeblich - einen Job, und nun bereiten sich die Marzahner "Ureinwohner" langsam auf die Rente vor. Soziale Mischung sieht anders aus.

Das belegt auch die Bevölkerungsprognose des Senats für Marzahn-Hellersdorf. Bis zum Jahr 2020 wird die Bevölkerungsgruppe der unter 45-Jährigen um 37 Prozent zurückgehen. Einen deutlichen Zugewinn verzeichnet mit 52 Prozent dagegen die Gruppe der 65- bis 75-Jährigen. Die über 75-Jährigen legen sogar um 127 Prozent zu.

Immerhin - der Bezirk hat das Problem schon erkannt, als das Wort vom "demografischen Wandel" noch kein Gemeinplatz war. Seit der Bezirkswahl 2006 gehört das Thema altersgerechtes Wohnen sogar zu einem Schwerpunkt der Bezirkspolitik, sagt Wirtschaftsstadtrat Christian Gräff (CDU) und nennt die Agenda: "Bordsteinabsenkungen, Barrierefreiheit, seniorengerechter Wohnungsumbau". Der Rückgang der Schülerzahlen von 60.000 nach der Wende auf 20.000 habe dazu geführt, dass zahlreiche Kitas und Schulen geschlossen wurden. Die Flächen wurden zum Teils zu Parks umgestaltet - auch das ist Stadtumbau im Zuge des demografischen Wandels.

Die Hauptlast aber liegt bei den Wohnungsunternehmen. "Sophia" heißt das neue Projekt der Degewo - "Soziale Personenbetreuung, Hilfen im Alltag". Dahinter verbirgt sich, so Erika Kröber, ein 24-Stunden-Dienst für Senioren. Dafür hat die Degewo mit der Wohnungsgesellschaft Stadt und Land eigens eine Tochtergesellschaft gegründet. Sogar bei der Gründung einer Senioren-WG steht die Degewo beratend zur Seite - auf Wunsch vermittelt sie freie Träger, die die betreffenden Wohnungen wiederum an die Rentnerkommune weitervermietet. Nicht zu Unrecht, meint Kröber, die Degewo sei ein Pilotunternehmen auf dem Gebiet des demografischen Wandels.

Das stimmt - doch wie lange noch? Erst vor kurzem hat Degewo-Vorstandschef Frank Bielka erklärt, der Stadtumbau sei für sein Unternehmen abgeschlossen. Doch was ist, wenn die "Ureinwohner", die seit 30 Jahren mit der Großsiedlung Marzahn altern, nicht mehr leben? Welche Phase des Umbaus folgt dann und für wen?

"Das Problem ist nicht neu", sagt dazu Christine Hannemann, die an der Humboldt-Uni zur Wohnsoziologie forscht. Eine Prognose sei aber schwierig. "Das hängt davon ab, welchen Druck auf den Wohnungsmarkt es dann geben wird." Steigt der Druck, zum Beispiel durch Zuwanderung, werden auch neue Mieter den Weg in die Platte von Marzahn und Hellersdorf finden.

Bleibt die Situation auf dem Wohnungsmarkt dagegen entspannt, werden nach 2020 wohl weitere Abrisse folgen. Denn eins ist klar: Die Kinder, die vor 30 Jahren mit ihren Eltern nach Marzahn gezogen waren, gründen ihre Familien heute überall, nur nicht in Marzahn. Auch dazu gibt die Bevölkerungsprognose des Senats Auskunft: Die Gruppe der 6- bis unter 18-Jährigen wird in Marzahn-Hellersdorf bis 2020 um 45 Prozent zurückgehen - Berliner Rekord.

So kann es also gut sein, dass beim nächsten runden Geburtstag Marzahn nicht nur der Bezirk mit dem höchsten Durchschnittsalter ist, sondern auch der mit dem größten Leerstand.

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1 Kommentar

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  • A
    anke

    Vernünftig organisiert wären Leerstand und Abriss nicht das schlechteste, was einem Stadtteil wie Marzahn passieren kann. Als in den 70-er und 80-er Jahren die "Wohnungsfrage" zum "sozialen Problem" erklärt wurde, betraf sie nämlich nahezu alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen. Zwar ist die Altersstruktur im sogenannten "Komplexen Wohnungsbau" dank der Tatsache, dass junge Familien bevorzugt mit Wohnraum "versorgt" wurden, nicht wirklich ausgewogen, die soziale Mischung allerdings hat ursprünglich einigermaßen funktioniert. Neben dem Arzt hat die Putzfrau gewohnt, neben der Lehrerin der Dreher. Mittlerweile haben nicht nur die Ärzte der Platte (fast) geschlossen den Rücken gekehrt. Das Prestige der Einheitswohnungen im Elfgeschosser passt weder zum Prestige des Arztberufes, noch zum damit verbundenen Gehalt – von den Ansprüchen ganz zu schweigen. Eingezogen sind statt der geflüchteten Akademiker vielfach Leute, deren Einnahmen eine andere Wohnform nicht erlauben und/oder deren Ansprüche, vorsichtig gesagt, nicht gerade übertrieben sind. Dieser Prozess wird sich fortsetzen, wenn niemand etwas dagegen tut. Dass eine "soziale Mischung", die zwar alle Altersgruppen, dafür aber fast ausschließlich Zuwanderer, Arbeitslose oder Studenten meint, unproblematischer ist, kann unter den gegebenen (politischen, ökonomischen und sozialen) Umständen wohl nicht ernsthaft angenommen werden. Schade also, dass die guten Ideen engagierter Planer, Kommunalpolitiker und Bürger heute, wo das Phänomen Wohnungsnot angeblich längst der Vergangenheit angehört, so oft am Eigentum, am Geld, an den Strukturen oder eben am (nicht vorhandenen) Prestige scheitert.