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Die Piratenpartei nach der WahlKlargemacht zum Ändern

Der Wahlkampf ist vorbei und die Piraten konnten einen Achtungserfolg von zwei Prozent erzielen. Das liegt auch am Netzpolitik-Vakuum, das die etablierten Parteien hinterlassen.

Die Bühne ist leer, die Party vorbei. Ein letzter Pirat schaut sich im RAW-Tempel in Berlin noch die Wahlberichterstattung an Bild: dpa

Es hätte ein quälend langer Wahlabend für die Piratenpartei werden können. Denn anders als bei den großen Parteien tauchten ihre Ergebnisse weder in der 18-Uhr-Umfrage der großen Sendeanstalten auf, noch in den ersten Hochrechnungen. Um Punkt 18.08 Uhr erschien auf der großen Leinwand bei der Wahlfeier im Astra-Kulturhaus, einem ehemals von Künstlern besetzten Fabrikgelände mitten im Berliner Szene-Viertel Friedrichshain, dennoch ein erstes Ergebnis.

Piratenpartei: Zwei Prozent. Über Twitter. Und genau bei diesem Ergebnis blieb es auch, als der Bundeswahlleiter in der Nacht das vorläufige amtliche Endergebnis verkündete: 845.904 Menschen gaben der Piratenpartei ihre Stimme.

Die Fünfprozenthürde haben die Piraten zwar nicht geknackt und sind damit auch nicht im Bundestag vertreten. Dennoch: Ein Achtungserfolg ist es allemal. Allein die Aufmerksamkeit der vergangenen Wochen sei bereits ein großer Erfolg, rief Piraten-Chef Jens Seipenbusch seinen Anhängern zu. Bei männlichen Erstwählern sei das Ergebnis gar zweistellig.

Vier turbulente Monate hat die Piratenpartei hinter sich. Nachdem das schwedische Pendant bei der Europawahl im Juni völlig unerwartet 7,4 Prozent der Stimmen auf sich verbuchen konnte und seitdem mit einem eigenen Abgeordneten im Straßburger Parlament vertreten ist, schaut auch die deutsche Öffentlichkeit aufmerksam, was sich politisch in der Netzwelt formiert.

Im Februar hatte die 2006 gegründete Partei noch 870 Mitglieder. Rechtzeitig zur Bundestagswahl dürften sie die 10.000er Marke geknackt haben. Der Erfolg der Piratenpartei ist unmittelbar mit der Person Ursula von der Leyen verbunden. Die Bundesfamilienministerin und CDU-Politikerin, in der Netzwelt auch als "Zensursula" verschrien, hatte offensichtlich unterschätzt und tut es wahrscheinlich noch immer, für wie viel Aufregung ihr Gesetz zur Sperrung von Kinderpornografie im Internet sorgen würde.

Zeitgleich zum Gesetzgebungsverfahren im Bundestag entstand eine Protestbewegung, die jedoch nicht wie von Politikern bisher gewohnt so sehr auf der Straße sichtbar war, sondern vor allem im Netz: Junge, Netz affine Menschen, die erkannten, dass es bei dem Leyenschen Gesetz um mehr als die Bekämpfung von Kinderpornografie handelt. Die zumeist jungen Menschen sehen das Grundrecht auf Informationsfreiheit verletzt und sprechen von Zensur.

Aber auch die anderen etablierten Parteien haben den wachsenden Unmut verschlafen. Gerade die kleinen Parteien hätten ihren Job im Bundestag nicht erledigt, sagt Netzaktivist Markus Beckedahl, der selbst ein Grüner ist. "Aus Angst, von der großen Koalition und den Boulevardmedien als Unterstützer von Kinderschändern gebrandmarkt zu werden, verzichteten sie darauf, im Bundestag eine starke Opposition zu sein", so Beckedahl. Das habe viele vor allem junge Menschen enttäuscht und zur Piratenpartei getrieben. Dabei hätten ihre Protagonisten relativ wenig zur Debatte beigetragen.

Auch Parteienforscher erklären sich den explosionsartigen Zuwachs der Piraten vor allem mit dem Versäumnis der etablierten Parteien. Keine der Parteien habe bisher eine große Affinität zur Netzpolitik entwickelt, sagt Parteienforscher Karl-Rudolf Korte. Er spricht von "Protestcharme" - fügt jedoch zugleich hinzu, dass Datenschutz im Internet und die Einschränkung des Surfens noch keineswegs ein Großthema in allen Bevölkerungsschichten sei.

Sein Kollege an der Freien Universität Berlin, Richard Stöss, ist sich indes auch keineswegs sicher, ob es den Piraten gelingen wird, dieses Thema wirklich dauerhaft zu besetzen. "Die Forderungen müssen in eine gesellschaftliche Konfliktlinie eingebettet werden", analysiert Stöss. Die junge Partei müsse zudem deutlich machen, dass sie eine klare Alternative im Parteiensystem darstelle. Und Parteienforscher Gero Neugebauer warnt vor einer Eingenerationenpartei, die den Konflikt zu weniger netzaffinen Generationen noch verschärfen könnte.

Dennoch spricht einiges für den Fortbestand der Internet-Partei auch nach der Bundestagswahl. Denn auch wenn sie bislang vor allem lediglich mit netzaffinen Themen auf sich aufmerksam gemacht haben und in den meisten anderen Bereichen zu keiner Position gefunden haben - ihr politischer Meinungsbildungsprozess ist rasant.

Ihr Vorteil: Sie wissen die neuen Medien- und Kommunikationsformen optimal zu nutzen. Im "Piraten-Wiki", einem speziellen Diskussionsforum, können innerhalb kurzer Zeit Debatten entfacht und geführt werden, an denen der größte Teil ihrer Anhängerschaft aktiv mitdiskutieren können. Und das in einer Geschwindigkeit, wovon die etablierten Volksparteien mit ihren schier endlos erscheinenden Änderungsdebatten und Sonderparteitagen nur träumen können.

So hatten vor drei Wochen zwei Piraten des Berliner Landesverbands spontan die Idee, dass die Piratenpartei nicht nur mit Gegenpositionen den Endspurt ihres Wahlkampfs bestreiten sollten, sondern unmittelbar mit konkreten Vorschlägen kommen sollten. Nicht weniger als einen Internet-Minister forderten sie, der sich für eine flächendeckende Vernetzung einsetzt und auch Hartz-IV-Empfängern, Rentnern und Behinderten einen Internet-Zugang verschaffen soll. Absurd?

Mitnichten. Es würde nicht verwundern, wenn bereits die nächste Bundesregierung speziell einen Staatssekretär für die Online-Welt abstempelt. Und auf dieser Ebene wird sich wohl auch in Zukunft der politische Gestaltungsspielraum der Piratenparteibewegen. In Schweden haben die etablierten Parteien aus Angst vor der Piraten-Konkurrenz bereits die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung verschoben.

Das gibt den Piraten Selbstbewusstsein - zu Unrecht. Denn sie sind bei weitem nicht die einzigen, die die Netzweltthemen behandeln. Bewegungsforscher Dieter Rucht wundert sich denn auch über diesen Allgemeinvertretungsanspruch. "Im Netz ist die Piratenpartei ja nicht alleine, Campact, MoveOn und der Chaos Computer Club sind hochgradig aktiv im Netz." Diese Selbststilisierung, dass man im Netz eine Art Monopolanspruch hätte, sei unangemessen, so Rucht.

Frank Rieger vom Chaos Computer Club macht den Fortbestand der Piratenpartei davon abhängig, ob es ihr gelingt, über die Instrumente des Web 2.0 ein neues Demokratiekonzept zu erarbeiten, was die etablierten Parteien tatsächlich in den Schatten stellt. "Wenn ihnen das nicht gelingt, versinken sie in der Beliebigkeit oder werden eine FDP mit Internet."

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