Die Parsengemeinschaft Bombays: Die Russen kommen

Ihre Beerdigungsriten mussten sie schon dem Zeitgeist anpassen. Nun streiten orthodoxe und liberale Parsen über die Zukunft ihrer Religion. Der Film "Little Zizou" spitzt den Konflikt zu.

Der Parse Jamesh B. Irani verlässt gestikulierend den Kappawala-Feuertempel in Bombay. Die Parsengemeinschaft der Stadt leidet an Überalterung und dazu nach an orthodoxen Tendenzen. Bild: ap

In Indien leben heute geschätzt 69.000 Parsen. Sie sind Zoroastriker, Anhänger der Religion des antiken persischen Propheten Zarathustra. Ihr gehören heute weltweit nur noch zwischen 145.000 und 200.000 Menschen an. Nach Beginn der Islamisierung Persiens vor rund 1.350 Jahren sind viele von ihnen nach Südasien geflohen, wo sich ihr Glaube bis heute erhalten hat. Alleine in und um Bombay leben etwa 42.000 von ihnen. Doch ihre Zahl nimmt rapide ab. Daher ist unter den Parsen eine hitzige Kontroverse über die Zukunft der Gemeinschaft ausgebrochen.

Cyrus II Khodaiji ist außer sich. In Russland sollen Menschen zur Religionsgemeinschaft der Zoroastriker übergetreten sein. Ein Skandal. Khodaiji, ein selbst ernannter Religionsgelehrter der zoroastrischen Parsengemeinschaft Bombays, wittert den Untergang der Kultur. Er startet eine Kampagne zur "Reinhaltung der Religion" und beginnt, junge Männer und Frauen für die PLO, die Parsi Liberation Organization, zu rekrutieren. Sie soll die Reinheit des Glaubens zur Not mit Waffengewalt verteidigen. Sollen die Russen es nur nicht wagen, nach Bombay zu kommen!

Mit viel Selbstironie beschreibt die indische Regisseurin Sooni Taraporevala, als Drehbuchautorin von "Salaam Bombay!" bekannt geworden und selbst Parsin, in ihrem Debütfilm "Little Zizou" die Eigenarten und Marotten von Bombays Parsengemeinschaft. In Indien gibt es nur noch schätzungsweise 69.000 Parsen (weltweit sind es 145.000 bis 200.000), 42.000 davon in und um Bombay. Doch ihre Geburtenrate ist fast so niedrig wie die in Mitteleuropa. Zudem heiraten zwei von fünf Parsen Anhänger anderer Religionen und fallen so aus der Gemeinschaft heraus.

Daher liefern sich zurzeit Traditionalisten und Reformer eine hitzige Debatte darüber, wie es weitergehen soll. So auch im Film: Dort bekommt der orthodoxe Religionswahrer einen Gegenspieler, den liberalen Journalisten Boman Pressvala. Weil dieser von dem ganzen Gerede Kopfschmerzen bekommt, schreibt er in seiner Zeitung gegen die fadenscheinigen Aktionen des scheinheiligen Gelehrten Khodaiji an. Die Handlung von "Little Zizou" ist satirisch überdreht, die Charaktere sind gnadenlos überzeichnet; doch sie basieren auf realen Personen.

"Die Figur des Journalisten Pressvala beschreibt jemanden wie mich", sagt Jehangir Patel und lacht. Der Journalist und Herausgeber der Magazins Parsiana sitzt im Büro seiner Redaktion. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich Briefe, Zeitungen und Aktenordner zu einem kreativen Chaos. Deckenventilatoren rühren die schwül-heiße Großstadtluft durch den Raum.

Jehangir hat einen grau melierten Bart und eine hohe Stirn. "Ich gehöre definitiv dem liberalen Lager an", sagt er. Er wünsche sich, sagt er dann, dass die Parsen endlich die Lebenspartner und Kinder aus Mischehen anerkennen. "Wenn in einer Mischehe der Mann Parse ist und die Frau nicht, gibt es eine kleine Chance, dass ihre Kinder von der Gemeinschaft akzeptiert werden. Umgekehrt bislang leider nicht." Die meist konservativen Priester in Bombay verweigerten den Kindern aus Mischehen in aller Regel den Zutritt zu den 47 Feuertempeln der Gemeinschaft in der Stadt, bedauert Patel.

Dabei gebe es Beispiele von anderen Gemeinschaften, die sich geöffnet hätten. "In Nordamerika werden Kinder aus Mischehen vollkommen anerkannt. In Delhi gibt es zwei Feuertempel, die diesen Kindern Zutritt gewähren." Seiner Meinung nach schüren orthodoxe Vertreter der Religion die Ängste der Gemeinschaft, um eine Liberalisierung der Bräuche um jeden Preis zu verhindern. "Es geht ums Überleben!", fügt Patel hinzu. "Unsere ethnische Gemeinschaft wird es nicht mehr lange geben. Seit 1947 hat sich allein in Bombay die Zahl beinahe halbiert!" Also Öffnung der Gemeinschaft, um den Glauben zu bewahren.

Die Parsen sind mit der Geschichte Bombays untrennbar verbunden. Lange lebte ihre größte Gemeinschaft im westindischen Bundesstaat Gujarat. Als die britische East India Company sich in Indien auszubreiten begann, nutzten die Parsen die Gelegenheit und arbeiteten mit den Kolonialherren eng zusammen. Im 19. Jahrhundert, als Bombay als Industrie- und Wirtschaftsmetropole immer wichtiger wurde, zog es viele Parsen hierher.

In der Folge übernahmen sie wichtige Posten in Bombays Verwaltung. Einige von ihnen gründeten Industrieunternehmen. 1868 rief Jamshed Tata seinen Tata-Konzern ins Leben, der heute zum vielleicht bedeutendsten Unternehmen Indiens herangewachsen ist. Auch die Godrejs und Wadias, andere wichtige Industriellenfamilien Indiens, entstammen der Parsengemeinschaft.

Überall in der Stadt haben sie deutliche Spuren hinterlassen: Unzählige Statuen erinnern in Bombays kolonialem Süden an einst bedeutende Parsen. 47 Parsen-Feuertempel ziehen sich durch die gesamte Stadt. Auch einer der bedeutendsten Rockstars des 20. Jahrhunderts stammt aus einer indischen Parsenfamilie: Queen-Leadsänger Farrokh Bulsara alias Freddie Mercury.

Im Straßenbild Bombays erkennt man Parsen oft an ihrem iranischen Aussehen. Tausende leben in eigenen Stadtteilen in reservierten Wohnungen, die einer vermögenden Stiftung der Gemeinschaft gehören. Viele sehen die Parsen, teilweise zu Recht, als Bombays Oberschicht. Sie nehmen noch heute aktiv am Geschehen in der Stadt teil und gelten als sehr offen gegenüber Fremden.

Ein schmaler Weg neben dem belebten Kemps Corner im Zentrum der Stadt führt in einen dicht bewachsenen Park. Ein Wächter sitzt neben der Zufahrt und achtet penibel darauf, dass nur Parsen den Park betreten. Hier, neben dem Reichenviertel Malabar Hills, stehen die fünf "Türme der Stille" der Gemeinschaft.

Parsen sind Anhänger der Religion des antiken persischen Propheten Zarathustra, die nach der einsetzenden Islamisierung Persiens vor über 1.300 Jahren nach Südasien geflohen waren. Sie verehren die Elemente Feuer, Wasser und Luft, die deswegen nicht durch Tote verunreinigt werden dürfen. Daher legen Bombays Parsen die Leichen ihrer Verstorbenen auf die Türme, wo sie nach uralter Tradition von Geiern aufgefressen werden sollen. Doch weil die Zahl der Geier in Bombay rapide abgenommen hat, haben die Priester vor einigen Jahren nach langen Debatten Solaranlagen auf den Türmen installiert, mit deren Hilfe die Toten vertrocknen.

Auf weitere Kompromisse möchte sich Khojeste Mistry jedoch auf keinen Fall einlassen. Er ist der Vorkämpfer der Orthodoxen und sitzt im arktisch klimatisierten Büro seiner Organisation "Zoroastrian Studies" in einem Seitenflügel des Cama-Oriental-Instituts. Der kleine Raum sieht wegen der vielen religiösen Sticker, Broschüren, Bücher und Aufkleber ein wenig aus wie ein Zarathustra-Souvenirladen.

"Orthodox bedeutet: dem richtigen Pfad folgend", sagt Mistry und grinst. "Also sollte nach dieser Definition jeder orthodox sein." Er ist 60 Jahre alt, untersetzt und hat kurze Haare und einen grauen, kurzen Vollbart. Er spricht mit ausgesucht britischem Akzent, lächelt oft und setzt bewusst Pausen, um seinen Kernthesen eine größeren Nachdruck zu geben. Seine Augen bleiben dabei jedoch immer beinahe alarmiert aufmerksam. "Die Kontroverse über die Zukunft der Gemeinschaft wurde von den Medien losgetreten. Die werden von Menschen kontrolliert, die einen radikalen Wandel herbeiführen wollen", sagt er. Dass anderswo Parsentempel Kindern aus Mischehen Zutritt gewähren, ist für ihn kein Argument. "Das sind Tempel von niedrigem religiösem Status. Hier in Bombay sind 40 der 47 Feuertempel geweiht. Die Feuer, die dort brennen, betrachten wir als Manifestation unseres Gottes Ahura Mazda."

Seine Kritiker werfen Mistry Rassismus vor, weil er eine Gen-Studie in Auftrag gegeben hat, die belegen soll, dass sich Indiens Parsen bis heute mit keiner anderen Ethnie gemischt hätten. "Rassismus ist ein moderner Begriff, der wegen der Nazis in Misskredit geraten ist", sagt Mistry. Doch alle klassischen Religionen, so wie etwa das Judentum, der Hinduismus und der Zoroastrismus, seien von Anfang an von einer Ethnie getragen worden. "Der Vorwurf des Rassismus stammt von Menschen, die den historischen Kontext nicht kennen", sagt Mistry.

"Der Zoroastrismus ist ausschließlich die Religion der persischen Volkes", donnert Mistry dann und fügt, ein wenig ruhiger, hinzu, seine Erkenntnisse seien rein akademisch, im Gegensatz zu den Thesen seiner Gegner. Er habe in Oxford Orientalistik studiert.

Sooni Taraporevala, die Regisseurin von "Little Zizou", ärgert sich über Menschen wie Khojeste Mistry. "Ich habe den Film gemacht, weil ich außer mir war wegen einiger Dinge, die sich innerhalb der Gemeinschaft abspielen", sagt Taraporevala. "In der Vergangenheit gab es bei den Parsen nie fundamentalistische Strömungen. Aber es scheint gerade weltweit eine Tendenz dazu zu geben." Einige Parsen seien auf diesen Zug aufgesprungen.

"Für mich geht es bei Religion nicht um Hass oder darum, die Menschen voneinander zu trennen", sagt die Filmemacherin. "Unsere Religion lässt sich im Wesentlichen herunterbrechen auf: gute Worte, gute Gedanken, gute Taten." Daher sollten die Parsen ihren Glauben für alle Menschen öffnen. "Wir sollten endlich aufhören, uns aufzuführen, als wäre Zarathustra unser Privateigentum."

Der Film endet mit einem Happy End. Auch die vermeintlichen Zoroastriker aus Russland tauchen nie auf. Doch in der realen Welt nimmt der hitzige Diskurs über die Zukunft der kleinen Parsengemeinschaft erst richtig Fahrt auf.

JEHANGIR PATEL

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