■ Die Anderen: Die Pariser Tageszeitung "Liberation" deutet den Lkw-Streik in Frankreich als einen exemplarischen Konflikt / "Le Figaro" sieht die Schuld an dem Lkw-Konflikt gleichmäßig verteilt / "Le Monde" befürwortet ein Eingreifen...
Die Pariser Tageszeitung „Libération“ deutet den Lkw-Streik in Frankreich als einen exemplarischen Konflikt: Als flexibler, internationaler und deregulierter Bereich gibt uns der Straßentransport eine Vorstellung von unserer sozialen Zukunft. Zwei Modelle stehen zur Auswahl: jenes der völligen Freiheit, angenehm für die Unternehmen, das den Verbrauchern einige Centimes einbringt, aber einen großen Teil der Fahrer in einem Zustand der Ausbeutung beläßt, der ihr Familienleben genauso wie ihre Kaufkraft ruiniert und die Sicherheit aller bedroht. Oder aber ein kontrollierter europäischer Freihandel, der das soziale Dumping untersagt, den gemeinsamen Regeln Geltung verschafft und den Beschäftigten einen einigermaßen anständigen Lebensstandard sichert. Auf die Gefahr hin, die Preise auf dem Kontinent ein wenig in die Höhe zu treiben. Die zweite Lösung ist natürlich die bessere.
„Le Figaro“ sieht die Schuld an dem Lkw-Konflikt gleichmäßig verteilt: In diesem Konflikt, der teuer werden könnte, weil die Streikenden die neuralgischen Punkte der französischen Wirtschaft angreifen, haben alle Parteien unrecht. Jene, die seit Jahren der Straße den Vorzug vor der Schiene gegeben haben, und jene, die die Zukunft vorbereiten sollten und sich kein harmonisches Mischsystem nach Schweizer Vorbild vorstellen konnten. Jene unter den Arbeitgebern, die die Vereinbarungen des letzten Konflikts nicht eingehalten haben, und jene, die ihre Unternehmen nicht umstrukturierten. Jene bei den Gewerkschaften, die sich mit den Arbeitgebern anlegen wollen und sich als Aktionsfeld ausgerechnet das schwächste Glied der Wirtschaft ausgesucht haben: den Straßentransport, wo es viele kleine Unternehmen, zu niedrige Löhne und nur schwer meßbare Arbeitszeiten gibt.
„Le Monde“ befürwortet ein Eingreifen der Regierung in den Fernfahrerkonflikt: Ein Jahr nach einem Konflikt, der bereits mehrere Wochen lang die nationale Wirtschaft lahmgelegt hatte, ist Frankreich erneut mit dem Zorn seiner Fernfahrer konfrontiert. Der kommunistische Verkehrsminister Jean-Claude Gayssot hat ein Gesetz und vor allem eine verstärkte Kontrolle auf dem Straßentransportsektor angekündigt. Premierminister Lionel Jospin verspricht ein steuerliches Zuckerbrot, das heißt eine Verringerung der Gewerbesteuer für die betroffenen Unternehmen. Der Eingriff des Staates ist berechtigt. Selbst in den Vereinigten Staaten übernimmt Bill Clinton direkt die Vermittlerrolle, wenn ein Konflikt das Funktionieren der Wirtschaft bedroht. Es ist nicht nur Frankreich, sondern Europa in seiner Gesamtheit, das von den französischen Straßenblockaden in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.
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