Die Ordner des Totalen Krieges

■ Dritter Band „Strafjustiz im Totalen Krieg“: Kriegswirtschaftsverbrechen

„Der Angeklagte ist ein durch und durch asozialer Mensch, der für die Volksgemeinschaft keinerlei Wert besitzt. Vor seiner Gemeingefährlichkeit kann die Volksgemeinschaft wirksam nur geschützt werden, wenn er endgültig aus ihr ausgemerzt wird.“ Das Urteil des Sondergerichtes Bremen vom 15.5.1943 lautete auf Todesstrafe. Der Arbeiter Kl. wurde sechs Wochen später in Hamburg hingerichtet. Sein Verbrechen: Diebstahl von insgesamt 61 Kilo Fleisch.

Kl. war in die Mühlen der Bremer Sondergerichte geraten, weil er während des Krieges Lebensmittel der „ordnungsgemäßen Bewirtschaftung“ entzogen hatte. Und das war in Verbindung mit seiner „asozialen“ Gesinnung ein todeswürdiges Verbrechen. Denn die Sondergerichte wachten über die „Heimatfront“ und hielten die Disziplin des deutschen Volkes im totalen Krieg mit teilweise drakonischen Strafen aufrecht.

Die Akten der Sondergerichte sind in Bremen fast vollständig erhalten. Zwei Mitarbeiter des Justizsenators, Hans Wrobel und Henning Maul-Backer, haben sie in jahrelanger Kleinarbeit zusammengestellt und veröffentlicht. Der dritte und letzte Band der Reihe „Strafjustiz im totalen Krieg“, der sich mit „Kriegswirtschaftsverbrechen“ beschäftigt, ist jetzt erschienen. Wie auch die beiden ersten Bände zeigt die „Strafjustiz im totalen Krieg“ eine Rechtspflege, die sich für unabhängig hielt und meist prozessual sauber die vorgetragenen Fälle löste, dennoch aber den Ungeist des Nazi-Systems vertrat und föderte. Richter und Staatsanwälte fügten sich in eine Gesellschaft ein, die in den Kriegszustand versetzt wurde.„Die Männer vom Sondergericht saßen auf ihren Richterstühlen als höhere Dienste leistende Handlanger eines Führers namens Adolf Hitler, dem sie auch dienen wollten, als er einen verbrecherischen und totalen Krieg vom Zaun gebrochen hatte“, schreibt Hans Wrobel . „Gerade ein totaler Krieg mußte seine Ordnung haben. Die Richter des Sondergerichts waren im vollen Bewußtsein ihrer Aufgabe Ordner des totalen Krieges.“

Denn Ruhe und Ordnung waren in Deutschland die ersten Bürgerpflichten zu einer Zeit, als Europa im Krieg versank. Die Sondergerichte, ursprüngliche eine Idee der späten Weimarer Republik zur Bekämpfung der politischen Gewalt, wurden von den Nazis als „Panzertruppen der Rechtspflege“ (so Propagandaminister Joseph Goebbels) eingesetzt. Mit Beginn des Krieges 1939 zogen die Kriegsplaner in deutschen Amtsstuben die längst vorbereiten Pläne und Rationierungsmarken aus den Schubläden: Die Kriegswirtschaft begann. Im Frühjahr 1940 wurde das Sondergericht Bremen eingesetzt. Seine Aufgabe: Durchsetzung der Kriegswirtschaft durch Bestrafung von „Volksschädlingen“.

Die Akten des Sondergerichtes belegen: Die Juristen wußten um ihren Stellenwert für das Funktionieren der Kriegsmaschinerie und waren begeistert bei der Sache. Gestandene Richter und Staatsanwälte stützten die „Heimatfront“. Nicht noch einmal sollte passieren, was nach Nazi-Lesart im I.Weltkrieg geschehen war: Der Dolchstoß der unzufriedenen Bevölkerung in den Rücken des unbesiegten Heeres, Verwirrung in der Heimat. „Der Angeklagte hat sich als Volksschädling schlimmster Sorte erwiesen, so daß seine Ausmerzung auch zur Abschreckung Dritter notwendig erscheint“, begründete das Gericht im März 1943 ein Todesurteil für das unerlaubte Schlachten einiger Schweine und Rinder. „Es kann unter keinen Umständen geduldet werden, daß ein derartiges Banditentum aufkommt, das aus den großen Städten kommend nachts die ländlichen Gegenden unsicher macht und dort das Vieh auf den Weiden abschlachtet. Jedem derartigen Versuch müssen die deutschen Gerichte sofort mit den schärfsten Strafen entgegentreten.“

Nicht immer urteilten die Gerichte so hart, aber immer im Sinn einer funktionierenden Kriegswirtschaft. Wer bei Herstellung oder Verteilung von Bezugsscheinen schummelte, bei der Ausgabe von Waren KundInnen bevorteilte, wer gegen die Auflagen beim Handel mit Fett, Mehl, Kaffee, Tabak, Seife, Papier oder Benzin verstieß, wer Geld zu Hause hortete und es damit ungewollt den Kriegsfinanzen entzog, kam vor die Sondergerichte. Hier wurde nach Recherchen der Autoren Wrobel und Maul-Backer zum großen Teil „handwerklich saubere“ Rechtsprechung geübt: Die Richter verhandelten öffentlich und sorgfältig, forderten Gutachten an, sprachen in Zweifelsfällen auch frei und ärgerten sich mit der Gestapo herum, die viel öfter „kurzen Prozeß“ forderte.

Nie aber zweifelten die Juristen ihre Stellung im nationalsozialistischen Staat an. Der dritte Band „Strafjustiz im totalen Krieg“ enthält zwei eindrucksvolle Selbstzeugnisse von Richtern am Bremer Sondergericht. Landgerichtsdirektor Dr. Behrens schrieb über den „Richter und Staatsanwalt als politischen Leiter“ über die „Justizkrise“ der Weimarer Republik: „Das abstrakte Gerechtigkeitsideal verbot es dem Richter und Staatsanwalt, den nach Bolschewisierung des deutschen Volkes trachtenden Kommunisten anders zu behandeln als den Nationalsozialisten, dessen ganzes Sinnen und Streben nur auf die Größe und Freiheit des Reiches gerichtet war.“ Gleich vor dem Gesetz waren die Angeklagten vor den Sondergerichten also nicht: Bestraft wurde oft nicht die Tat, sondern die Gesinnung oder die „Wertschätzung“ des Angeklagten durch die Volksgemeinschaft. Ein unbescholtener Bürger oder gar seine Frau konnten für das gleiche Delikt wesentlich milder bestraft werden als andere: „Volksschädlinge“, „Asoziale“, „Gewohnheitsverbrecher“ oder „Kriegsschieber“ traf die ganze Härte des Gesetzes.

Die fast vollständige Konservierung der Sondergerichts-Akten zeigt, daß es unter den Bremer Juristen nicht die Spur eines Unrechtsbewußtsein gab. Nicht nur die Karrieren der Richter und Staatsanwälte – viele brachten es auch nach einer kurzen Zeit von Entlassung und Entnazifizierung in Bremen und anderswo zu Amt und Würden, Staatsanwalt Zander wurde gar Bremer Senator für Justiz und Kirchenangelegenheiten – sprechen dafür, auch ein weiteres Selbstzeugnis legt das nahe: Landgerichtsdirektor Dr. Warneken schrieb nach dem Krieg: „Kein einziges Todesurteil ist wegen einer politischen Straftat ausgesprochen worden, vielmehr gegen Einbrecher, gefährliche Gewohnheitsverbrecher, Brandstifter, Volksschädlinge, Eisenbahnräuber, Gewaltverbrecher, Plünderer, Mörder und Posträuber.“ Außerdem habe das Gericht so sauber gearbeitet, daß „auch die verurteilten Angeklagten anerkennen mußten, daß der Sachverhalt vollständig und richtig aufgeklärt ist.“ Und obwohl der unbestimmte Begriff des „gesunden Volksempfindens“ in den Urteilen des Sondergerichts der Willkür Tür und Tor öffnete, trafen die Richter mit ihren drakonischen Strafen vielleicht sogar den Nerv der Bevölkerung. „Ich kann es nicht beweisen“, meint Hans Wrobel, „aber ich kann mir vorstellen, daß die Urteile von der Masse der Bevölkerung akzeptiert wurden.“

Bernhard Pötter

„Strafjustiz im Totalen Krieg – Aus den Akten des Sondergerichts Bremen 1940 bis 1945“, Band 1-3, Hans Wrobel, Henning Maul-Backer, herausgegeben vom Senator für Justiz und Verfassung, steintor-Verlag