: Die Opferung des Uwe S.
■ Vom Idol zum Symbol – Eine Deformance der Hamburger Sportjournaille über zwei Männer, die einem beinahe leid tun können Von Sven-Michael Veit
Er kann einem ja beinahe schon leid tun: Ronny Wulff, der gute Mensch vom Rothenbaum, der seit November 1993 den Präsidenten des altehrwürdigen Hamburger Sportvereins gibt. Kaum, daß er mal ein bißchen Urlaub macht, greifen in der Geschäftsstelle des HSV die Kritiker zu Fon und Fax, um ihren Lieblingsjournalisten Stoff für großlettrige (Tief-)Schlag-Zeilen über den Chef zu liefern. Und möglichst gleich noch dessen Urlaubsadresse.
Und genau dort, auf Mallorca, diktierte der Vielgeschmähte vorgestern einem Mopo-Reporter die bislang klügsten Sätze, die in der HSV-Stuhlsäge-Affäre gestammelt wurden, in den Laptop: „Keine Zeitung in Hamburg würde Uwe Seeler so angreifen, wie die es mit mir machen. Er ist ein Idol. Vor ihm haben alle viel mehr Respekt“.
Stimmt. Niemand verkörpert die glorreichen Zeiten des Hamburger SV so sehr wie der Volksheld und Goalgetter der 60er Jahre. Und so reifen denn bei manchem die Träume, daß mit „Uns Uwe“ als Boß die Zukunft des HSV nur eine glorreiche sein kann.
Er kann einem ja beinahe schon leid tun: Uwe Seeler, dem die sensationsgeilen Sportreporter dieser Stadt keine andere Chance lassen, als die eine, die sie ihm lassen wollen – Präsident wider Willen zu sein. Und so steht denn dieser Mann, der es in der Tat nicht verdient hat, von Abendblatt, Mopo und Bild-“Zeitung“ verarscht zu werden, in einer Live-Schaltung ins SAT1-ran-Studio in voller Lebensgröße hilflos dem Moderator gegenüber, kratzt sich permanent vor Verlegenheit unterhalb der Gürtellinie und beginnt jede Antwort mit „Ach, Gott, was soll ich dazu sagen...“.
Sie können einem beide ja beinahe schon leid tun: Der Präsident, der von den Medien abberufen wird, und der Volksheld, der von den Medien zum Präsidenten wider Willen ernannt wird.
Ersterer kommt heute vorzeitig aus mediterranen Gefilden zurück, zum Rapport beim Sponsor TV Spielfilm (mal keine Zeitung, sondern eine Zeitschrift, welch Unterschied). Der ist so vergrätzt über Team, Trainer und Präsidium des HSV, daß er vorige Woche sich die weitere Verwendung seines Logos auf den Trikots der Bundesligaspieler verbat und damit sich einen billigen Werbegag und dem HSV Hohn und Spott bescherte.
Zehn Tage später, auf einer außerordentlichen Sitzung des HSV-Gesamtausschusses wird er dann – spätestens – abdanken. „Wenn Uwe Präsdident werden will, trete ich sofort zurück“, kündigte Wulff gestern seine Bereitschaft an, den Weg freizumachen für einen – vermeintlichen – Neubeginn beim Hamburger Traditionsclub.
Letzterer wird dann – vermutlich – zum neuen HSV-Chef ernannt oder gewählt oder gezwungen. Und damit als Aushängeschild mißbraucht, das den Verein nach außen verkaufen und verlorengegangene Sympathien bei Fans und Sponsoren zurückerobern soll, ohne in die internen Machtgefüge einzugreifen. Denn das soll sein Job nicht sein, da sind sich die Fingerhakler hinter den Kulissen einig.
Der Weg des Uwe Seeler scheint vorgezeichnet. Es sei denn, er schafft es noch, den Einflüsterungen falscher Freunde nicht zu vertrauen: Vom Torjäger zum Frühstücksdirektor, vom Idol zum Symbol – die Opferung des Uwe S., eine Deformance der Mediengesellschaft.
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