: Die Olympischen Spiele müssen nach …
Ob 2036, 2040 oder erst 2044: Deutschland will die Olympischen Sommerspiele, und vier Städte und Regionen haben ihre Bewerbung in den Ring geworfen. Berlin will die Spiele, Hamburg will sie auch, so wie München und die Region Rhein-Ruhr. Einer muss gewinnen. Aber können sie das überhaupt, die Spiele? Ein olympischer Zehnkampf!
Von Erik Peter, Andreas Rüttenauer und André Zuschlag
Betonfaktor
Wenn Berlin seinen deutschen Mitbewerbern etwas voraus hat, dann ein einsatzbereites Olympiastadion. Auch sonst gibt’s für die Baumafia (SPD) wenig zu lachen: große Arenen für Basketball und Volleyball, die Messe für Turnen oder Gewichtheben, das Tennisstadion in Grunewald oder die als Hockeystadion gedachte Alte Försterei – 90 Prozent der Sportstätten stehen bereits. Hinzu sollen vor allem temporäre Anlagen kommen, etwa für Beachvolleyball am Brandenburger Tor.
Provinzhilfe
Berlin ist selbst eine Aneinanderreihung von Dörfern, sodass es externe eigentlich gar nicht braucht. Dennoch will man sich mit der „Berlin+“-Bewerbung die Spiele teilen mit Leipzig, Aachen, Kiel oder Warnemünde und der vollendeten Provinz Brandenburgs. In Frankfurt (Oder) soll geschossen werden. Hoffentlich nicht auf Polen.
Riefenstahl-Faktor
100 Jahre nach den Hitler-Spielen die Wiederholung an selber Stelle – im neuen AfD-Deutschland: Was für eine Geschichte. Könnte man fast einen Film drüber machen.
Olympisches Dorf
Zwischen Messe und Olympiagelände soll das olympische Dorf entstehen, geplant von einer landeseigenen Gesellschaft und nachgenutzt als bezahlbarer Wohnraum für 2.500 Haushalte. Klingt zu gut, um Berlins Stadtentwicklungspolitik zu sein.
Urlaubsfaktor
Inzwischen war ja schon jeder mal da, die Touristenzahlen sinken. Wenn sie denn aber kommen wollen, wird es an Hotels und illegalen Airbnbs nicht fehlen; selbst einen Flughafen gibt’s. Um innerhalb der Stadt von Köpenick nach Spandau zu kommen, heißt es im Bewerbungs-Blabla: „Wir stärken Radwege, ÖPNV und Fußverkehr als Umweltverbund“ (lautes Lachen bei der Berliner CDU).
Gastfreundschaft
Mach’n Abjang, Flitzpiepe!
Sportsgeist
Berlins Sonderstellung war lange Zeit, die einzige Hauptstadt ohne Fußball-Erstligist zu sein. Wiederholung nicht ausgeschlossen. Auch sonst hat die Sportmetropole zu kämpfen: Noch weniger Fans als Zweitligist Hertha bringt nur die Leichtathletik-Veranstaltung Istaf ins Olympiastadion. Die letzte Berliner Sportlegende, Franziska van Almsick, ist inzwischen schon Gegenstand historischer Podcasts. Erfolgreich ist zumindest Ostberlin im Eishockey – 4 Titel in 5 Jahren. Vielleicht lieber für die Winterspiele bewerben?
Public Relation
„Berlin+ A Celebration of Unity“ lautet das Motto der Bewerbungskampagne im ödesten Sportchinesisch. Das + steht dabei für Sachsen und Co (siehe Provinzhilfe). Trostlos. Passt aber zu einem Senat, der kein einziges politisches Projekt verfolgt, die Stadt in die Provinzialität spart und die eigene Kleingeistigkeit hinterm Licht von Großveranstaltungen verbergen will.
Protestbereitschaft
Straßenschlachten, Sabotageaktionen und ein Aufklärungsschreiben über die Militanzbereitschaft an die Mitglieder des IOC – Anfang der 1990er zeigte sich der aktivistische Teil Berlins von seiner besten Seite, um die Spiele 2000 zu verhindern. Doch von den Autonomen ist nichts mehr übrig, bislang bewegt Olympia niemanden, außer den Landessportbund, der eine Volksinitiative für die Spiele gestartet hat. Sicherheitshalber verzichtet der Senat darauf, das Volk zu befragen.
Maskottchen
Ne Curry uf zwee Beenen.
Betonfaktor
Hamburgs Konzept, die super-nachhaltigsten Spiele aller Zeiten auf die Beine zu stellen, ist so einfach wie brilliant: Es gibt zwar kein Olympiastadion und für Olympia wird auch keines gebaut – trotzdem wird es eines geben. Denn praktischerweise haben die HSV-Fußballer kürzlich gemerkt, dass ihr gar noch nicht so altes Volksparkstadion sicher bald einsturzgefährdet sein wird und also ein neues Stadion nebenan unumgänglich ist. Und das alte Volksparkstadion? Wird für die Schwimmwettbewerbe genutzt.
Provinzhilfe
Es wird das Spiel der kurzen Wege, verspricht Hamburgs Olympia-Bewerbung. Im Umkreis von nur sieben Kilometern befinden sich die meisten Wettkampfstätten – den Weg vom olympischen Dorf dorthin können die meisten Sportler:innen zum lockeren Aufwärmen nutzen. Für die wenigen übrigen Olympionik:innen gilt: Kiel zum Segeln ist doch auch schön! Und auch Suhl zum Schießen, hmm, wo ist das eigentlich?
Riefenstahl-Faktor
Dagegen ist das backsteinrote Hamburg selbstredend immun.
Olympisches Dorf
Was könnte den olympischen Wahlspruch „Schneller, höher, weiter“ besser untermauern als Hamburgs Idee, das Olympische Dorf auf dem Forschungscampus des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY) mit seinen unterirdischen Teilchenbeschleuniger unterzubringen?
Urlaubsfaktor
Hafenkräne, Alster, Elphi – auch abseits des Sports hat das „Tor zur Welt“ natürlich feinsten hanseatischen Flair zu bieten. Und dank des Zugangs zu den Weltmeeren einen unschlagbaren Anreise-, Übernachtungs- und Abreisevorteil: genügend Anleger für Kreuzfahrtschiffe an der Elbe.
Gastfreundschaft
Wie kommt die hanseatische Distanziertheit bei den Gästen an? Man weiß es nicht – und den stolzen Hamburger:innen ist das im Zweifel auch egal.
Sportsgeist
Was ist das Wichtigste, das man im Sport lernen kann? Mit Niederlagen umgehen zu können, daraus zu lernen – und einen neuen Versuch zu wagen. Hamburgs olympiabegeisterter rot-grüner Senat ist darin ein Vorbild: 2015 musste er eine krachende Niederlage beim Referendum für eine Olympiabewerbung hinnehmen. Doch liegen bleiben ist keine Option, stattdessen: Wieder aufstehen, aus den Fehlern lernen – und einen neuen Versuch wagen!
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„Jeder sagt ‚digga‘ heutzutage; wir packen Hamburg wieder auf die Karte“, rappten Gzuz und die Beginner – und da sprechen sie einem Teil der Hamburger:innen aus dem Herzen: Tor zur Welt, hallo! Diese weite Welt soll sich gefälligst beeindrucken lassen von der Schönheit der Hansestadt. Das saufende Umland aus Bargteheide, Pinneberg und Winsen kommt ja schon genug reingefahren. Das wird auf Dauer zu provinziell, wissen auch Hamburgs Tourismusmanager:innen.
Protestbereitschaft
Da gibt es keinen Grund zur Sorge: Im Mai 2026 wird es ein Referendum geben, um die Bewerbung demokratisch zu legitimieren. Außerdem gilt für Olympia, was für Olaf Scholz auch vor dem G20-Gipfel vor acht Jahren galt: „Wir richten ja auch jährlich den Hafengeburtstag aus.“ Dank eines durchdachten und Protest unterdrückenden Sicherheitskonzepts werden sich manche Hamburger:innen am Tag danach wundern, dass Olympia schon vorbei ist.
Maskottchen
Ein in die fünf olympischen Ringe eingewickeltes Fischbrötchen.
Betonfaktor
Ein Olympiastadion steht, eine Olympiahalle auch und die Regattastrecke von 1972 für die Ruderer kann man noch benutzen. Das Velodrom von 1972 hat man abgerissen, die Olympiaschwimmhalle ist zu klein für heutige Ansprüche. Da muss irgendwas Temporäres her. Praktisch ist auch, dass gerade ein neues Tennisstadion gebaut wird. Und vielleicht wird endlich das 60ger Stadion modernisiert. Da soll dann Rugby gespielt werden. Auch nicht viel anders als Drittligafußball.
Provinzhilfe
Zum Freiwasserschwimmen soll es an den Starnberger See gehen. Zum Moutainbiken nach Bad Wiessee am Tegernsee. Das ist schön und ermöglicht auch einen Blick auf den nichtolympischen Motosport. So viele Sportwagen wie in Starnberg und am Tegernseee sieht man sonst nirgends in Deutschland.
Riefenstahl-Faktor
In der Hauptstadt der Bewegung schaut man nur auf das Schöne in der Vergangenheit. Von Olympia 1972 wird besonders gerne geschwärmt. Das Attentat palästinensischer Terroristen, bei dem elf Mitglieder des israelischen Olympiateams getötet wurden, wird in den Werbebroschüren für die Spiele natürlich nicht erwähnt.
Olympisches Dorf
Im teuren München muss man für jede Wohnung dankbar sein, die gebaut wird. Auch wenn sie in Daglfing entsteht, wo die Athletenunterkünfte geplant sind. Aber könnte man nicht auch bauen, ohne sich gleich Olympische Spiele ans Bein zu binden? Falsche Frage.
Urlaubsfaktor
Chanel auf der Maximilianstraße, Flaschenbier an der Isar und bei Föhn kann man die Berge sehen.
Gastfreundschaft
Dazu nur soviel: 3.000 Euro haben zwei Nächte in einem handeslüblichen Mittelklassehotel an einer hässlichen Ausfallstraße am Wochenende des Champions-League-Finales in diesem Jahr gekostet. Man war dort sicher freundlich zu den Gästen.
Sportsgeist
Klar, der FC Bayern kommt aus München. Der spielt weitgehend ohne Münchner und Münchnerinnen. Die surfen am Eisbach oder stellen sich im Winter in den Stau, um vielleicht noch vor Schließung der Lifte auf der Piste zu sein. Wer schon mal gesehen hat, wie schnell die Leute nach Öffnung der Bierzelte auf dem Oktoberfest an den Tischen sind, muss glauben, Bayern sei eine Sprinternation. Schon schnell.
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München hat das Hofbräuhaus, den FC Bayern und das Oktoberfest. Es braucht endlich ein Stadtmarketing ohne Bier und Trachtenverein. Aber ist das überhaupt möglich? Rodelolympiasieger Felix Loch hat neulich die original OlympiJa-Tracht eines renommierten Lederhosenschneiders präsentiert. Oh je.
Protestbereitschaft
Die Münchner haben schon mal eine Olympiabewerbung niedergestimmt. Die Winterspiele 2018 fanden dann in Pyeongchang statt. Sonst hält sich die Protestbereitschaft in Grenzen. Nicht mal bei einem Preis von 15 Euro für die Mass auf dem Oktoberfest bricht eine Revolution aus.
Maskottchen
In München kann man nicht nur Sportstätten von 1972 wiederverwenden, auch das Maskottchen. Was er nicht süß, der Dackel Waldi?
Betonfaktor
Ein temporäres Olympiastadion, das nach den Wettkämpfen zu einem Wohngebäude mit Park wird – so etwas hat es noch nie gegeben. Sonst gibt es genug Sportstätten in NRW. Aber wie soll man bloß mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom Schwimmen in Gelsenkirchen zum Golfkurs nach Pulheim kommen, ohne sich dabei schwarz zu ärgern? Da muss doch noch einiges gebaut werden.
Provinzhilfe
Markkleeberg nennt sich selbst zwar Große Kreisstadt, ist aber mit seinen 25.000 Einwohnern von NRW aus betrachtet nichts weiter als ein kleines Kaff irgendwo in Sachsen. Dort sollen die Wildwasserkanuten um Medaillen paddeln. Der ortsnahe Hafen am Cospudener See soll auch ganz niedlich sein.
Riefenstahl-Faktor
Carl Diem war nach dem Krieg das wissenschaftliche Gesicht der Sporthochschule in Köln. Dass er zuvor unter den Nazis eine Art Multifuktionär des Sports war, hat lange niemanden gestört. Diem gilt als Mitinitiator des olympischen Fackellaufs, der 1936 seine Premiere hatte. Die Carl-Diem-Straßen im Land wurden großteils umbenannt. In Mönchengladbach gibt es noch eine. Da soll das olympische Hockeyturnier stattfinden.
Olympisches Dorf
Das könnte in Köln stehen oder in Essen. So genau weiß man das noch nicht. Schon bei der gescheiterten Olympiabewerbung für die Spiele 2032 hat man sich überlegt, wo man in Essen die Athleten unterbringen könnte. „Auf einer Deckelung der A40“ war die Idee. Essens Wahrzeichen einfach verschwinden lassen? Dann vielleicht lieber im Plattenbauidyll Chorweiler. Da wollen die Kölner die Athletinnenunterkünfte bauen.
Urlaubsfaktor
Nirgendwo gibt es so viele Autobahnen auf engsten Raum wie in der Bewerberregion – und jeden Tag Staus, wie man sie andernorts nur von Sommerferienanfang kennt. Da müssen einfach Urlaubsgefühle aufkommen.
Gastfreundschaft
Im Ruhrgebiet sind die Leute froh, wenn überhaupt mal jemand vorbeikommt. Im Rheinland herrscht sowieso Frohsinn. Besser geht’s nun wirklich nicht.
Sportsgeist
In Köln gibt es die einzige Universität, die sich ausschließlich mit den Themen Sport und Bewegung befasst. Und in Aachen eine Pferdesportveranstaltung, die alle kennen, die schon mal ein Pferd gestriegelt haben. Die wird von Michael Mronz organisiert. Der ist seit 2023 Mitglied des IOC.
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Kein Bundesland steht so sehr für Not und Elend wie Nordrhein-Westfalen. In Duisburg-Marxloh geben sich Elendsreporter die Klinke in die Hand, nach Recklinghausen-Süd traut sich kaum jemand. Hier kann PR noch wirklich etwas bewegen. Ob das mit dem Bewerbermotto „The Powerhouse of True Sports“ wohl klappt?
Protestbereitschaft
Eigentlich dachte man, mit den Menschen im Ruhrgebiet kann man alles machen, am Ende wählen sie doch SPD. Jetzt ist Alexander Kalouti von der CDU zum Oberbürgermeister von Dortmund gewählt worden. Macht sich da gerade eine revolutionäre Stimmung breit?
Maskottchen
Die World University Games, die in diesem Sommer an Rhein und Ruhr stattgefunden haben, hatten einen Falken als Maskottchen. Wanda hieß das Viech. Schon vergessen? Gar nicht mitgekriegt? Dann kann man ihn doch einfach für Olympia recyclen.
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