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Die Nein-MonologeEinfach mal ‚Hayır‘ sagen

Das Leben könnte so einfach sein, wenn wir nur öfter widersprechen würden. Über den gesellschaftlichen Drahtseilakt des Verneinens aus weiblicher Sicht.

Ungehorsam, die Grundvoraussetzung für Freiheit Foto: reuters

„Wenn ich keinen Bock auf Sex habe, dann flüchte ich mich in die klassische Ausrede: ‚Ich habe Kopfschmerzen‘. Ja ja, schon klar, das ist nicht besonders kreativ. Darüber hinaus führt diese Ausrede zu unnötigen Kommentaren des Gegenübers wie ‚Immer hast du Kopfschmerzen‘ oder ‚Mit deinem Kopf hatte ich ohnehin nichts vor‘. Dabei würde ich zu gerne mit der kostbarsten und endgültigsten aller Entscheidungen antworten. Klar und deutlich, mit nur einem einzigen Wort: Nein!“

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“Hätte ich doch nur gleich zu Beginn ‚Nein‘ zu der von mir als Folter bezeichneten Eheschließung gesagt. Ich hätte mir all die Jahre der Verschwendung gespart und mein Leben, von dem ich kein Zweites besitze, hätte womöglich eine ganz andere Richtung eingeschlagen.“

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Bircan Değirmenci

Absolventin der Kommunikationswissenschaften an der Marmara Universität. Arbeitete als Journalistin bereits für Özgür Gündem, Özgür Radyo, Star und Bianet. War Pressesprecherin der Kunst- und Kulturbeauftragten der Stadt Diyarbakır bis die Stadt Ende 2016 unter Zwangsverwaltung gestellt wurde.

„Meine Tochter wurde zu einem unglücklichen und unersättlichen Kind, nur weil ich nie ‚Nein‘ zu ihr sagen konnte.“

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“Ich stamme aus einer Familie, die zwar nicht besonders religiös, aber deren Zusammenhalt sehr stark ist und der eines Clans gleichkommt. Nach der Grundschule haben mich mein Vater und Brüder von der Schule genommen und gesagt, ich müsse nun ein Kopftuch tragen. Ich konnte mich einfach nicht an meine neue Kleidung und die Einschränkungen meines Verhaltens gewöhnen. Als ob ich den Körper einer anderen tragen würde. Ich hatte nur Bücher und Tanz im Sinn. Immer wieder schloss ich mich im Zimmer ein und tanzte heimlich vor dem Spiegel. Ich wollte einfach nicht zu der Person werden, die sie aus mir machen wollten. Drei Jahre später habe ich gegen den Willen meiner Familie beschlossen ein Fernstudium aufzunehmen und schaffte es an die Kunsthochschule. Heute arbeite ich als Tanzlehrerin. Wenn ich heute so darüber nachdenke, hätte ich damals nicht ‚Nein‘ zu meiner Familie gesagt, würde ich ein anderes, von mir ungewolltes Leben leben.“

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“Nur weil ich nicht ‚Nein‘ sagen konnte, führte ich Beziehungen mit Menschen, die ich längst verloren hatte.“

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“Es war ein anstrengender Arbeitstag, Sie sind völlig kaputt und ihre Freund*innen kündigen sich für einen Besuch an. Sie haben weder die Kraft für ihre Gesellschaft, noch die Energie einen Empfang vorzubereiten. Zudem drehen die Kinder völlig am Rad, wenn sie aufeinander treffen und stellen die ganze Wohnung auf den Kopf. Aber weil es die gesellschaftliche Konvention nun mal verlangt, sagen sie aus Höflichkeit zu. Ein ‚Nein‘ zu dem Besuch hätte sie vielleicht für den Moment in Verlegenheit gebracht, doch sie hätten den Abend für sich allein und könnten sich erholen. Und trotzdem sage ich nicht ‚Nein‘. Ich muss noch schnell den Kuchen in den Ofen schieben. Verdammt, ich hab kein Backpulver mehr! Sie sind bestimmt gleich da.“

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“Als ich das erste Mal zu einem Therapeuten ging, sagte dieser, ich müsse lernen ‚Nein‘ zu sagen. Wenn das doch nur so einfach wäre. Im Verlauf der Therapie habe ich mich durch motivierende Zusprüche wie ‚Du bist eine starke, fantastische und was weiß ich für eine tolle Frau‘ mitreißen lassen und mir eingebildet, dass ich alles schaffen könne. Wie eine Heldin, wie Xena, die Amazone habe ich mich gefühlt. So habe ich das Weinen verlernt, denn ich war stark und Weinen war etwas für Schwächlinge. Dabei beinhalten Tränen wohl gewisse Botenstoffe. Einige Wissenschaftler*innen sind der Meinung, dass Weinen den Körper von Schadstoffen befreit und außerdem ein guter Weg für den natürlich Stressabbau sei, der Menschen dabei hilft physische, mentale und emotionale Probleme zu bewältigen. Ohne Kenntnis über diese Informationen, trieb ich meinen Vorsatz auf die Spitze. Um keinen Preis wollte ich je wieder weinen. Als ich im Bus zu einer, tanzbaren Arabeske mit dem Titel ‚Schnauzbart Remzi‘ in Tränen ausgebrochen, Rotz und Wasser heulend laut mitgesungen habe, stellte ich mich gedemütigt durch die Blicke der anderen Fahrgäste, meinem Therapeuten und sagte entschieden ‚Nein‘, ich verfüge nicht über diese gespielte Stärke. Ich war total erleichtert, endlich hatte ich gelernt ‚Nein‘ zu sagen.“

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“Ich bereue es, meiner Tante nicht mit ‚Nein‘ begegnen zu können, die mit den Worten ‚Um Gottes Willen, jetzt iss doch noch ein wenig!‘ meine Diät sabotiert und mit nur einem einzigen Abendessen alle mühselig verlorenen Pfunde anfüttert. Mag sein, dass das Thema an sich nicht so wichtig ist, doch für mich stellt es nun mal ein Problem dar.“

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“Mein Sohn hat uns als Kind ziemlich herausgefordert. Er war ein Sturkopf und niemals hätten wir ihn gegen seinen Willen zu etwas bewegen können. Wenn er einmal ‚Nein‘ gesagt hat, dann standen selbst fließende Wasser still. Der jüngere hat uns keine Sorgen bereitet. Stets fügte er sich seiner Umwelt und wir hielten ihn für besonders umgänglich. Dabei hat sein älterer Bruder, trotz aller Schwierigkeiten, die er durchgemacht hat, das Leben besser gemeistert. Und der Jüngere? Der fügt sich nach wie vor allem und jeden. Möglicherweise hat er mit dieser Einstellung andere Menschen zufrieden gestellt, aber niemand weiß, was er vom Leben will, nicht einmal er selbst.“

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“Selbst in meinen Träumen sehe ich mich auf einer Bühne. Seit meiner Kindheit will ich Schauspielerin werden. Meine Eltern hingegen träumten von einer Medizinkarriere und weil ich nicht ‚Nein‘ zu ihnen sagen konnte, erfüllte ich ihnen diesen Wunsch. Meine Leidenschaft für das Theater ist nie über das Schulengagement hinausgegangen. Ich musste meinen Job lieben, wie sonst sollte man diese Arbeit schaffen. Schließlich vertrauen dir Menschen ihr Leben an. Ich verdiene ziemlich gut, aber ich würde einen unbezahlten Job als Theaterdarstellerin bevorzugen.“

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„Das Letzte Buch, das ich gelesen habe ist ein Essayband mit dem Titel ‚Der rote Pullover‘ von Meltem Gürle. Am meisten hat mich das Kapitel mit dem Aufsatz von Erich Fromm ‚Über den Ungehorsam‘ beeindruckt. Darin heißt es, der Beginn und der Fortbestand der Menschheit basiere auf der Freiheit ‚Nein‘ sagen zu können. Fromm zufolge hätte die Menschheit mit einem Widerwort begonnen. Ungehorsam, oder die Fähigkeit den Regierenden mit einem ‚Nein‘ zu begegnen, sei die Grundvoraussetzung für Freiheit. Allerdings solle diese nicht missverstanden werden. Ungehorsam für sich allein, stelle noch keine Tugend dar, sowie Gehorsam per se nichts schlechtes. Denn während ein Mensch die von einer Regierung aufgezwungenen Ansichten ablehnt, folgt er seinem eigenen Ethos. Jemand der einer Mehrheit oder zu einer von dieser repräsentierten Regierung mit ‚Nein‘ entgegnet, hat es geschafft der grundlegenden Regel des Menschseins, also seinem Gewissen zu folgen. Man muss zwischen inneren und äußeren Gesetzen unterscheiden können. Meine Überzeugungen und Entscheidungen sind das, was mich als Person ausmachen. Wenn ich ihnen folge, dann kann ich ich selbst bleiben. Andernfalls verliere ich meine Glaubwürdigkeit und werde zu einem Teil der Masse.

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“Ist nicht alles, was uns bisher schlechtes widerfahren ist nur deshalb passiert, weil wir nicht ‚Nein‘ zu sagen wussten? Dinge, die wir unseren Liebsten zuliebe machten und dabei unglücklich wurden, Kinder die wir schrecklich verzogen, weil wir ihnen keinen Wunsch ausschlagen konnten, Plackereien, die wir niemals übernehmen wollten und es doch taten, sowie ungewollte Liebhaber*innen. Scheidungen, die wir uns aus Bequemlichkeit nicht trauen durchzuziehen, Eheschließungen, die wir uns nicht trauen abzusagen, die manchmal in katastrophalen Zuständen beim Standesamt enden.“

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“Als ob wir nicht genug Sorgen im Leben hätten, wollen sie – den Volkswillen völlig außer Acht lassend – dass wir ‚Ja‘ zu einem hirnrissigen System sagen, dass unsere ohnehin nicht besonders tollen Leben zerstört. Dabei hat es niemand nötig sich zu beugen. Statt sich wie gewohnt mit der Ausrede ‚Ich habe Kopfschmerzen‘ zu drücken, sollte eine klare Ansage mit dem Zauberwort erfolgen. Knapp und deutlich: Nein!“

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