■ Die Nato-Osterweiterung ist so unsinnig wie unaufhaltsam: Ein Selbstläufer ohne Bremse
Auf ihrem Weg gen Osten bewegt sich die Nato gleich einem Auto, dessen Antriebsachse verzogen ist. Weil der Lack noch dran ist und so schön glänzt, wähnen sich alle in einem sicheren Gefährt, während mit steigender Entfernung vom Ausgangsort und wachsender Geschwindigkeit der Zusammenbruch unausweichlich wird. Die Gefahr ist mittlerweile erkannt.
Selbst ein Hardliner wie der US-amerikanische Senator Sam Nunn plädiert dafür, erst mal auf halber Strecke stehenzubleiben und nach der Aufnahme Polens, Ungarns, Tschechiens eine längere Pause einzulegen. Vorgeblich sind es die Konstruktionsmängel, vulgo die „russischen Vorbehalte“, die den republikanischen Außenpolitiker zur Vorsicht anhalten. Doch er spürt zudem den Unmut, der in der amerikanischen Bevölkerung aufkeimt angesichts der Kosten, die mit der Erweiterung verbunden sind.
Dieser Unmut wird auch die Aufnahmestaaten ergreifen, wenn sie ihren Anteil von 40 bis 50 Milliarden Dollar an den Beitrittskosten in ihre nationalen Haushalte einstellen müssen. Und dieser Unmut wird wachsen, wenn sich in diesen Ländern die Erkenntnis breitmacht, daß in dem Maße, wie die Nato sich dem Osten nähert, sich die Beitretenden von Europa entfernen. Die erforderliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben wird es diesen Staaten schwermachen, die Stabilitätskriterien zu erfüllen, die Bedingung für eine Aufnahme in der EU sind. Sie werden erkennen, daß Nato- und EU-Aufnahme keine identischen Wege nach Europa sind.
Dennoch werden die Beitrittsländer kaum vom ersten Weg abweichen, um letzteren zu beschreiten. So irreal mögliche Bedrohungsszenarien sind, so real ist ihr Sicherheitsbedürfnis. Keine der bislang erörterten Alternativen zur Osterweiterung wußte darauf eine akzeptierte Antwort zu geben. Dieses Sicherheitsbedürfnis ist mit dem Selbsterhaltungswillen der Nato eine zähe Melange eingegangen. Ein Selbstläufer, der nicht mehr umkehren wird. Außenminister Primakow erklärte auf der Nato-Außenministertagung, die Bereitschaft über eine Sicherheitspartnerschaft zu verhandeln. Das deutet darauf hin, daß Rußlands Neigung, sich dem Selbstläufer entgegenzustemmen, abnimmt, und daß es nunmehr darauf ankommt, ihn in ungefährliche Bahnen zu lenken. Dieter Rulff
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