: Die Nagelprobe für DDR-Betriebe
■ Leipziger Messe: mehr west- als ostdeutsche Firmen / Röller mahnt zu Kontaktpflege im Osten
Berlin (ap/taz) - Die am Sonntag beginnende Leipziger Herbstmesse wird nach Auffassung der Ostberliner Regierung zur Nagelprobe für die internationale Wettbewerbsstärke der Betriebe in der DDR. Vor allem im Handel mit Osteuropa gelte es, sich unter den neuen Bedingungen des Weltmarkts zu bewähren, erklärte der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Dieter Prietzel, am Freitag in einem Interview der 'Berliner Zeitung‘. Bankenpräsident Wolfgang Röller mahnte die Wirtschaft der DDR, ihre traditionellen Verbindungen zu Handelspartnern in Osteuropa nicht zu vernachlässigen.
Nach Ansicht des Ostberliner Staatssekretärs werden sich viele Unternehmen der DDR gut in das internationale Produktionsniveau einpassen. Sie könnten damit auch auf der Leipziger Herbstmesse bestätigen, daß sie den Anforderungen des europäischen Marktes gewachsen sind. Erstmals präsentieren sich in Leipzig mehr Firmen aus der Bundesrepublik als Betriebe der DDR. Die Zahl der ostdeutschen Aussteller ging im Vergleich zur Vorjahresmesse um 1.800 auf 1.000 zurück. Aus dem westlichen Teil Deutschlands sind 1.500 Unternehmen vertreten; besonders zugenommen hat das Interesse von Dienstleistungsfirmen wie Unternehmensberatungen und Banken.
Insgesamt sind mehr als 6.000 Aussteller aus 52 Ländern angemeldet. Aus den RGW-Ländern stellen 150 Außenhandelsgesellschaften ihre Produkte vor. Die Nachfrage war insgesamt so groß, daß 200 Firmen auf eine Warteliste gesetzt werden mußten. Die Ausstellungsfläche von 341.000 Quadratmetern ist schon lange ausgebucht; 36 Prozent davon gehen an ausländische Anbieter. Die Nachfrage aus Japan, den Niederlanden, Schweden, Belgien und Indien sei besonders groß, hieß es vorab. Heute findet im Gewandhaus die feierliche Eröffnung mit einer Ansprache von Lothar de Maiziere statt; am Sonntag gibt's dann den obligaten zweistündigen Rundgang des Regierungschefs. Die Messe ist bis zum kommenden Samstag geöffnet.
Zeitgleich findet ein deutsch-sowjetisches Wirtschaftssymposium statt, das vom Ost-Ausschuß der deutschen Wirtschaft veranstaltet wird. Bundeswirtschaftsminister Haussmann und sein sowjetischer Amtskollege Sitarjan wollen mit mehr als 200 Unternehmern unter anderem über die Einhaltung der Import- und Exportverpflichtungen der DDR gegenüber der UdSSR beraten.
Der Präsident des Bundesverbands deutscher Banken, Röller, sagte am Freitag der Nachrichtenagentur 'adn‘, die erste Leipziger Messe nach Einführung der D-Mark in der DDR werde andere Funktionen erfüllen als bisher. Trotz bestehender Umstellungsschwierigkeiten sollte sich die Wirtschaft der DDR ihrer Wettbewerbsvorteile bewußt sein, die sie aus ihrer Einbindung in die östliche Wirtschaftsgemeinschaft RGW gewonnen habe. „Es wäre unklug, wenn DDR-Unternehmen aus tagesaktuellem Zwang ihre geschäftlichen Verbindungen kappen würden“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Dresdner Bank. Die Messe werde zudem auch ausländischen Firmen die Gelegenheit geben, Investitionsmöglichkeiten in der DDR zu erkunden.
Für die Finanzierung des Strukturwandels ostdeutscher Firmen seien die Banken weiterhin auf Bürgschaften der staatlichen Treuhandanstalt angewiesen, betonte Röller. Die Geldinstitute konnten den Kreditbedarf bislang „in eigener Verantwortung noch nicht bedienen, weil die Risiken nach wie vor kaum verläßlich abzuschätzen sind“. Als solche benannte der Bankier die fehlenden D-Mark-Eröffnungsbilanzen, die mangelnde Einschätzung künftiger Ertragsentwicklung und die ungeklärten Eigentumsverhältnisse bei Grund und Boden.
Trotz dieser Schwierigkeiten seien die Geldinstitute auch künftig bereit, Kredite auf eigenes Risiko zu vergeben, versicherte der Verbandspräsident. Sie könnten allerdings „über die Grenzen nicht hinausgehen, die die Vorschriften des Kreditwesengesetzes und die Verantwortung gegenüber den Sparern ziehen“. Auch bei der gegenwärtig zu beobachtenden lebhaften Nachfrage nach Privatkrediten, vor allem zur Pkw -Finanzierung, legten die Banken „großen Wert darauf, daß sich der Kunde nicht finanziell übernimmt“.
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