Die Musik wird uns nie ausgehen

Jackson Browne, solitäre Stimme, großer Lamentierer, soziomusikalischer Begleiter des Post-68er-Lebens, machte für ein Konzert in der Berliner Arena Station. Ach, eigentlich war’s ganz schön. Und Ökostrom macht er inzwischen auch

Der letzte Song ist „Running on Empty“. Endlich. Als Jackson Browne damit loslegt, erheben sich die Baby-Boomer mühsam von ihren Sitzplätzen und eilen nach vorn. „Running on Empty“ erzählt von der Leere nach dem Zusammenbruch der Idee von der gesellschaftlichen Veränderungskraft des Rock ’n’ Roll. Der Erzähler ist seit den 60ern im Glauben daran die kalifornische Küstenstraße 101 rauf- und runtergefahren. Jetzt stellt sich heraus, das alles nur eine banale Gelddruckmaschine ist. Und nun? Er weiß es nicht. Also fährt und spielt er immer weiter, obwohl sein Tank längst leer ist.

Der Song gehört zum Kanon der Rockmusik. Aber hier, in der Arena in Berlin, und mit Blick auf die tanzenden 60-Jährigen, kündet er von einer anderen Desillusionierung; jener nach dem Zusammenbruch der großen Gelddruckmaschine und unserer Altersvorsorge. Und nun: Weiterarbeiten bis 75? Oder einfach so tun, als gehe alles weiter wie bisher – auch ohne Sprit? Tja.

Jackson Browne ist nach Ende der romantischen Frühphase der soziomusikalische Begleiter des Post-68er-Lebens der Baby-Boomer geworden. Er bewahrte für sie den Solidaritätsgedanken gegen den monetär-fixierten FDP-Freiheitssound der Eagles, während sie Karriere und Kinder machten. Er kritisierte die Reagan-Jahre, während sie in immer größere Häuser zogen. Er spielte für den grünen Ralph Nader und für John Kerry, falls jemand noch weiß, wer das war. Die größte Reichweite hatte er von Mitte der 70er bis Mitte der 80er. Als er unleidlicher und kritischer wurde, verlor er einen Teil seiner Anhängerschaft. So waren die Zeiten, Leute.

Jetzt ist er 60 und mit einem neuen Album namens „Time the Conqueror“ auf „Welttour“. Berlin war das erste von sechs Konzerten in Deutschland. Er trägt Jeans und Hemd wie eh und je, er hat seinen alten Haarschnitt. Seine Stimme ist solitär. Seine musikalischen Songschreiberqualitäten indes sind limitiert. Einige Klassiker spielt er, etwa „The Pretender“ und „Fountain of Sorrow“. Andere fehlen, vor allem „The Loadout/Stay“ und „Somebody’s Baby“. Aus zwei alten Songs macht er mit Hilfe der Band und seiner beiden Sängerinnen überraschende Höhepunkte: „Lives in the Balance“ und ein ineinander und als große Rocknummer gespieltes „Doctor My Eyes/About My Imagination“. Das neue Album nimmt breiten Raum ein, was klarmacht, dass Browne sich nicht als Golden Oldie versteht. In dem neuen Titel „Off Of Wonderland“ erzählt er von den großen, alten Tagen, als die progressive Musikszene von Los Angeles kollektiv im Laurel Canyon saß und Joni Mitchell Jackson Browne liebte. Und die anderen liebten sich alle auch. Browne ist ja auch ein großer Lamentierer, er schließt aber mit der Hoffnung, dass die Zeit der Liebe zurückkommen könne. Wobei „Liebe“ einen gesellschaftlichen Gegenentwurf zum Bestehenden meint. Bei dem Song bleiben die Leute lieber noch auf ihren nummerierten Plätzen sitzen.

Was das echte Leben angeht, so ist Browne bereits mehr 21. Jahrhundert als 99,5 Prozent aller Menschen in den Industrieländern. Inklusive seines ebenfalls kalifornisch sozialisierten Zeitgenossen Neil Young. Während der in seiner Garage noch daran bastelt, aus einem alten Lincoln ein modernes Ökoauto zu machen, erzeugt Browne auf seiner Ranch den Strom komplett selbst – mit Windrad und Fotovoltaikanlage. Was sein Konzert angeht, so ist man sicher an der Kante zur leichten Befriedigung durch nostalgischen Schauder. Aber das ist nicht Brownes Schuld. PETER UNFRIED