: Die Musik erträgt die Lüge nicht!
■ Ein Gespräch mit dem Komponisten Klaus Huber: Was ist politisch an der Neuen Musik?
Heinrich Böll war ihm ein Zeitgenosse, ein Mitstreiter im Geiste – Kunst soll sich engagieren und laut werden, sagt der Komponist Klaus Huber. Seit Mai lebt Klaus Huber, Jg. 1924, in Bremen. Viele Jahre hat der gebürtige Schweizer an der Musikhochschule Freiburg Komposition gelehrt und dort ein internationales Zentrum für Neue Musik aufgebaut. Gestern brachte die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen beim Musikfestival in Luzern das neueste Werk des Komponisten Klaus Huber zur Uraufführung: „Intarsis“. Die taz fragte den Komponisten nach dem Politischen in der Neuen Musik.
Muß für Sie Neue Musik unbequem sein?
Ich möchte nicht gerne für die Neue Musik sprechen. Nur bin ich schon der Meinung, daß eine Kunstmusik die Anliegen einer Zeit doch formuliert. Das hat nicht erst mit Beethoven oder Berlioz begonnen, solches findet man bei Mozart genauso wie schon bei Bach und einigen Zeitgenossen. Publikationsverbote hat's ja früher auch schon gegeben, die Musik war damals auch nicht politisch losgelöst. Eine Zeit, die sagt: die Musickultur sollte lustbetont sein und eine Ausgehkultur besonders propagieren, sollte Umsätze haben, eine Musik, die fünfzehntausend Hörer – ob sie jetzt zuhören oder nicht – zusammenbringt, ist zukunftsträchtiger als diejenige, mit der 150 angesprochen werden, diese Zeit verschiebt die Akzente. Es gibt einen Verlust an Engagement, der Künstler exponiert sich nicht mehr. Dieser Rückzug in eine private Innerlichkeit, die sich dann in relativ gute Geschäfte umschlägt, so etwas sagt mir überhaupt nicht zu.
Sie nehmen politisch Stellung.
Ja, das versuche ich, auf die verschiedenste Weise. ,Erniedrigt - Geknechtet - Verlassen - Verachtet', ein oratorisches Werk vom Ende der siebziger Jahre, ist zum Beispiel ein Werk, das die verschiedensten Aspekte unserer Zeit anspricht. Es gab Leute, die meinten, es wäre ein säkularisiertes Werk, eine Passion unserer Zeit. Das ist nur die eine Seite. Da hab ich mich vor allem mit der Situation in Lateinamerika befaßt. Aber daran erinnert sich ja kaum jemand mehr. Wer weiß schon noch, wer Somoza war. Sandino sowieso nicht. Und die Art, wie heute über die Sandinisten berichtet wird... man vernimmt Tag für Tag die dicksten Lügen. Das Oratorium habe ich 1975/78 geschrieben, und die Leute haben schon verstanden, worum es mir da ging. Bei den Wiederaufnahmen war dann eine gewisse Unruhe da. Wie wird ein solches Stück, jetzt 1991, wirken, wenn doch die politischen Verhältnisse total verändert sind. Ich erinnere mich an den Putschversuch gegen Gorbatschow an genau dem Tag, an dem wir die Aufführung hatten. Und die Leute haben auch da sehr wohl die Inhalte begriffen. Ich finde, man muß Stellung beziehen.
Haben Sie der Politik in Ihrer Arbeit immer schon einen solchen Schwerpunkt zugemessen?
Nun, das ist natürlich nicht so eindimensional, daß ich nur, und nur mir überlegen würde, wie äußere ich mich politisch musikalisch. Wenn mich Politik interessiert, heißt das ja nicht, daß ich meine Musik, die ich mir im Laufe der Jahre zusammengekratzt habe, nur zu verbraten oder zu verbacken brauche. Das geht ja nicht. Es geht ja nicht, daß ich mit herbeizitierten Versatzstücken eine Kunst mache. Die Musik erträgt diese Lüge nicht. Das heißt, meine Hauptbemühung in meinem Leben war dann doch das Komponieren. Zu sehen, wie ich was auf welche Weise ausformuliere und in welcher Weise ich zu einer Kommunikation komme. Erstens mit den Musikern, zweitens mit dem Publikum, drittens vielleicht noch mit weiteren Künsten, wenn ich vielleicht jetzt an den Film denke. Da haben ja schon ganz andere gekämpft, Hanns Eisler zum Beispiel. Weil die Musik ja nicht a priori eine politische Kunst ist.
Diesen Kampf, diesen Zwiespalt haben Sie auch an Ihre KompositionsschülerInnen weitergegeben?
Das hat sich in fast allen Fällen von selbst ergeben, mit der Frage: Wozu machen wir denn das? Willst du Karriere machen, ja oder nein? Was machst du denn sonst? Willst du nur Komponist sein? Ich hab das nicht forciert, aber ich hab in meinem Unterricht eigentlich mehr Fragen gestellt als Antworten gegeben. Das Schwierigste an so einem Unterricht ist ja, daß man es vermeidet, Epigonen zu züchten, die nur nachahmen.
Hat sich da auch unter den StudentInnen etwas verändert?
Sicher. Ende der Sechziger gab es so oft politische Diskussionen, da brachte ich meine Studenten gar nicht dazu, irgendwelche Aufgaben zu lösen. Damals dachte ich, Donnerwetter, jetzt muß ich ein, zwei Jahre an die Uni gehen und Marxismus studieren. Da sind auch die Dinge passiert, die mich politisiert haben. Meine Studenten referierten mir, was bei den Unruhen in Zürich lief, ich las die Zeitung und konnte die Differenz feststellen. Daraufhin habe ich mich dann radikalisiert. Wobei ich da ein richtiger Spätzünder war, da waren meine berühmten Kollegen schon lange links oder auch rechts vorgefahren.
Welche politische Dimension hat Ihr neues Werk „Intarsis“?
Das ist eine Beschäftigung mit Mozart und ist gleichzeitig eine Suche nach dem Unabgegoltenen in der Vergangenheit. Mozart ist in dieser Hinsicht ein Faszinosum, omnipräsent und gleichzeitig einer der Komponisten, der am schlechtesten verstanden wird.
Mozart kommt ja heute eher unpolitisch daher.
Ja, das ist ein Mißverständnis. Mozart war ein sehr politischer Mensch.
Wie hört sich Ihr aktueller Mozart an?
Das ist sehr spannend. Da sag ich natürlich nicht allzu viel. Das wird nicht wie Mozart klingen. Ich mache eine Kontrafraktur, das heißt, ich verliebe mich in diesen Mozart und in gewisse Stellen, und setze die dann um. Da tauchen ganz kleine Splitter mit Mozartschen Motiven auf. Eine Einheit kommt aber nie zustande. Im dritten Teil bringe ich dann noch einen Vulgärrhythmus („Das vereinigte Volk wird nie besiegt werden“) dazu und nenne das Rondissimo, Superrrondo, weil es sich ständig im Kreis dreht. Komischerweise mag der Dirigent Heinz Holliger gerade diesen Teil. Ich bin mal gespannt, was da bei der Aufführung passieren wird.
Suchen Sie sich ganz bestimmte, vielleicht auch radikale InterpretInnen und Aufführungsorte für Ihre Werke?
Mein Sohn ist Straßenmusiker, der sagt, die Straße ist schon richtiger, und ich finde das in gewisser Weise auch. Oder ein Zirkuszelt. In gewisse Konzertsäle gehen meine Söhne gar nicht rein, die sagen: das Publikum stinkt mir, dieses Ritual ekelt mich an. Den richtigen Ort zu finden, ist eine Sache, die zukunftsträchtigen Musiker eine andere.
Welche MusikerInnen wollen Sie haben?
Mittlerweile gibt es da ein ganz gutes Potential. In den fünziger Jahren war noch so eine Berührungsangst, und die Spezialisten sagten zu den Musikern, das kannst du nie und nimmer spielen, und überhaupt, diese neue Musik, die verdirbt den Ansatz. Ich suche vor allem alternative Ensembles, das „Ensemble Recherche“ nenne ich jetzt zuerst, weil das sozusagen meine Kinder in Freiburg waren. Damals habe ich selbst viel Einsatz darin investiert, diese Berührungsängste abzubauen, und eine minimale Solidarität zwischen Komponisten und Spielern aufzubauen. Es entstand dann auch das „Ensemble Aventure“ und einige andere. Das Orchestra of the Age of Enlightenment zum Beispiel fasziniert mich sehr.
„Intarsis“ wird jetzt von der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen uraufgeführt. Spüren Sie da eine musikalische Verwandtschaft?
Würde ich schon sagen, ja. Ich habe den Eindruck, das sind unglaublich engagierte, kompetente und profilierte Musikerinnen und Musiker. Ich finde das toll, daß da eine Zusammenarbeit zustandegekommen ist. Und daß sich eine Stadt wie Bremen dafür einsetzt, ein solch alternatives Spitzenensemble zwar nicht zur Gänze, aber doch mitzufinanzieren, und denen jetzt aber nicht in die Programme reinredet. Die spielen ja nicht nur Neue Musik, das ist gut. Sonst gibt das langfristig ein Spezialistendenken, wie wenn die Musik sich nicht mehr berühren würde. Die verschiedenen Musiken verschiedener Epochen und Kulturen sollen sich doch gegenseitig beleuchten.
Das wird heute ganz lukrativ als „cross-over“ vermarktet.
Das kommt ja heute so daher, als befände man sich in einem Selbstbedienungsladen. Ich finde sogar, das ist in der Nähe einer neokolonialistischen Haltung, wenn man sich einbildet, man könne sich innerhalb von ein paar Tagen die Musik fremder Länder einverleiben. Die Neue Musik wäre heute viel mehr Leuten zugänglich, wenn man den Markt nicht dermaßen versaut hätte.
Gespräch: Susanne Raubold/ Silvia Plahl
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