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Die MuseumshistorikerinEs liegt in der Natur der Dinge, dass Museen Orte des Festhaltens sind. Sie müssen aber auch ermutigt werden, sich zu ändern, meint Sharon Macdonald. Damit keine Musealisierung droht. Nach Berlin gekommen ist die britische Museums-wissenschaftlerin nicht zuletzt, um Projekte wie das Humboldtforum zu beraten„In Museen entscheiden wir, wie wir unsere Gegenwart vermessen“

Interview Anne HaemingFotos Lia Darjes

taz: Frau Macdonald, auf dem Weg zur Arbeit radeln Sie täglich an der Schlossbaustelle vorbei. Was sehen Sie?

Sharon Macdonald: Manchmal bekomme ich einen Schock wegen des Ausmaßes, es ist riesig! Aber man gewöhnt sich daran. Und ich denke immer daran, dass das die gleiche Route ist, die ich immer fuhr, als ich vor einigen Jahren hier zu Gast war – damals wurde der Palast der Republik gerade abgebaut.

Mochten Sie den?

Er stand für mich für einen Teil Berlins. Ich war 1981 sogar mal drin. Im Erdgeschoss gab es eine Milchbar, wo ich was getrunken habe. Im Westteil waren die Straßen voll von Werbung und Konsum – und Ostberlin war im Vergleich so leer, so wenige Leute, so wenige Autos. Überall phänomenale Gebäude, die aber nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut wurden. Ich hätte nie gedacht, dass ich zurückkommen und hier arbeiten würde. Als der Palast auseinandergenommen wurde, war mir, als würde man die Erinnerung mitten in der Stadt mit abbauen. Ich finde wichtig, dass dieser umkämpfte Platz, in den so viel Geschichte eingeschrieben ist, mit all diesen Facetten auch im Humboldtforum präsent ist.

Normalerweise stellen Museen das Schöne aus – damals arbeiteten Sie an einem Buch darüber, wie deutsche Ausstellungshäuser damit umgehen, die nicht so gloriosen Zeiten zu zeigen. Hat sich daran etwas geändert?

Absolut. Heute gibt es keine Diskussion mehr darüber, dass man sich mit diesem Teil der Vergangenheit auseinandersetzen muss. Ich habe gerade einen Aufsatz geschrieben, der betont, wie viel Gutes diesbezüglich hierzulande passiert – und dass es ein Garant für einen Moment internationaler Beschämung ist, die Aufarbeitung auszusparen. Und dann las ich heute Morgen einen Artikel über Polen und denke nun, ich muss vielleicht meine Meinung ändern.

Was ist da los?

Die polnische Regierung hat neue Pläne angekündigt für ein ambitioniertes Museum über den Zweiten Weltkrieg, das kommendes Jahr in Danzig eröffnet werden sollte. Das ganze Projekt ist nun in der Schwebe (siehe dazu Seite 12, 13). Ich bin überzeugt, dass Deutschland in Sachen Aufarbeitung viel weiter ist als andere. Manch andere Länder sind da zurückhaltender, Österreich – und Polen eben auch.

Beim Thema Nationalsozialismus schon. Mit Blick aufs Humboldtforum sagen Kritiker aber, dass es einen blinden Fleck gebe, was die koloniale Vergangenheit des Landes angeht. Stimmen Sie zu?

Immerhin wird jetzt darüber viel debattiert, auch darüber, wie dieser Aspekt im Museum repräsentiert wird. Das mag zu Beginn des Projekts nicht so gewesen sein. Dass es in den Plänen des Humboldtforums mittlerweile auch darum geht, wie die Objekte aus jener Ära gezeigt werden, liegt auch an den Aktivisten und Lobbygruppen, die Druck von außen ausgeübt haben. Wobei es mich mich immer wieder überrascht, wenn ich mitbekomme, dass manche Deutsche nichts über die koloniale Vergangenheit ihres Landes wissen: „Wie, Deutschland? Großbritannien, ja, aber Deutschland?“

Sie sind Britin, ebenso wie der Intendant des Humboldtforums Neil MacGregor. Der neue Chef des Stadtmuseums Paul Spies kommt aus den Niederlanden. Braucht man die Außenseiterperspektive rund ums Humboldtforum, damit überhaupt noch was passiert?

In den Anfangszeiten ging es beim Humboldtforum schon in erster Linie darum, die ruhmreichen Schätze zu zeigen – dass sich das stark gewandelt hat, liegt teils an den Kritikern, aber eben auch an MacGregor und Spies. Das Projekt steckt in einer unübersichtlichen Situation, weil es schon so lange in der Mache ist: Jeder hat seine eigene Agenda, einiges ist schon sehr weit gediehen, sodass es mitunter schwierig ist, etwas zu ändern.

Und Sie als Leiterin des inter-musealen Forschungsprojekts CARMaH, des Zentrums für anthropologische Museums- und Kulturerbeforschung, haben eine Vermittlerrolle?

Nicht wirklich. Wir schauen uns das alles in erster Linie an – und sind somit notgedrungen immer ein wenig hinterher, wie Historiker. Man versucht, Dinge zu verstehen, die sich zugleich weiterentwickeln. Aber wir schlagen vor, welche Prozesse, Ideen oder Diskussionsstrategien hilfreich sein könnten.

Sharon Macdonald

Die Frau: Sharon Macdonald, Jahrgang 1961, ist Anthropologin und Museumshistorikerin. Die Britin hat im Herbst 2015 ihre Stelle am Institut für Europäische Ethnologie angetreten – als Preisträgerin der Alexander von Humboldt-Professur. Eines ihrer Bücher heißt „Difficult Heritage“ und behandelt die Herausforderungen von Museen, das „schwierige Erbe“, also unrühmliche Teile nationaler Vergangenheit, zu thematisieren.

Die Forschung: Macdonald baut das Forschungsprojekt CARMaH auf: Das Zentrum für anthropologische Museums- und Kulturerbeforschung wird finanziert von der Alexander von Humboldt-Stiftung, der Humboldt-Universität, dem Naturkundemuseum und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Das Zentrum analysiert, wie Museen mit aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen umgehen. www.euroethno.hu-berlin.de/de/carmah

Das Forum: Das Humboldtforum ist der inhaltliche Teil im Rahmen des Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses. Ab 2019 sollen hier dann dauerhaft Ausstellungen über außereuropäische Kulturen gezeigt werden, mit den Kunstwerken, die sich derzeit noch in den Museen Dahlem befinden. Über den Baufortschritt des Schlosses kann man sich an den Tagen der offenen Baustelle am 11. und 12. Juni von 10 bis 18 Uhr ein Bild machen.

Was haben Sie denn seit Dienstantritt im Herbst alles gemacht?

Mich vor allem mit dem Aufbau befasst. Es dauert hier alles sehr lang. Ich habe nun immerhin zwei Doktoranden, eine von ihnen war schon während der Humboldt-Lab-Phase an Bord, als alternative Ausstellungskonzepte fürs Humboldtforum ausgearbeitet wurden. Eine von ihnen kooperiert mit der afrikanischen Sammlung. Sie hat das Modell der „Objekt-Biografien“ fürs Museum erarbeitet, was eine vielversprechende Variante ist, wie man mit Exponaten umgehen kann.

Das heißt?

Es geht darum, in einer Ausstellung auch mit zu thematisieren, wo die Objekte herkommen, wie sie in den Besitz der Deutschen kamen, wie sich ihr Wert und ihre Bedeutung veränderte, was für eine Rolle sie auf dem Kunstmarkt spielen. Die andere Doktorandin hat etwa auch schon Ausstellungsvarianten mit potenziellen Besuchern getestet, um herauszufinden, wie sie bestimmte Dinge verstehen.

Und was sagen die Besucher?

Besonders interessant war etwa die Arbeit mit syrischen Flüchtlingen, die bestimmte Objekte im Museum für Islamische Kunst sahen und sich an ihre Heimat erinnerten. Würde man etwa diese Geschichten Besuchern zugänglich machen, ließen sich Gegenwart und Vergangenheit verbinden.

Im Humboldtforum werden aus Hunderttausenden Dingen letztlich 8.000 zu sehen sein. Welches Exponat könnte so etwas denn gut transportieren?

Mein Job ist nicht, Objekte auszusuchen. Das machen andere. Aber okay, nehmen wir mal das Werk, das hier auf meiner Tasse abgebildet ist (greift zum Kaffeebecher vor sich auf dem Tisch). Das ist aus dem Museum für Islamische Kunst, es ist Teil der Wandverzierung des Aleppo-Zimmers von 1600, eines der berühmtesten Elemente dort im Museum. Es zeigt islamische Mystiker und christliche Heilige. Davon ausgehend könnte man Fragen zum Verhältnis der Religionen stellen. Objekte können helfen, Menschen vor Augen zu führen, dass die Welt nicht notwendigerweise in die Kategorien aufgeteilt ist, in denen sie selbst denken. Und den Namen Aleppo kennen jetzt alle aus den Nachrichten, seit die Stadt und ihr Kulturerbe vom IS so massiv zerstört wurde.

Aktuelle Politik: Nicht das, was man sonst mit ethnografischen Museen verbindet.

Ich schon. Das ist das Erste, was mir in den Sinn kommt. Viele denken, Museen geht es nur ums sorgsame Bewahren von Meisterwerken. Ums Gestern, das Vergangene. Im Gegenteil: In den Museen entscheiden wir, was wir für die Zukunft bewahren – und wie wir unsere Gegenwart vermessen.

Das Humboldtforum also als Ausdruck nationaler Identität?

Ohne Zweifel wird das Museum als Statement Deutschlands gelten, gerade für Besucher aus dem Ausland. Aber es ist normal, dass diejenigen, die schon so lange mitten in einem solchen Projekt stecken, manche Aspekte leicht aus den Augen verlieren: Wie wird das Ganze in 25 Jahren wahrgenommen? Was werden andere Länder im Humboldtforum sehen? Diese möglichen Definitionen interessieren mich sehr. Allein die Auswahl der Exponate hängt eng damit zusammen, was ein solches Haus denn erzählen möchte.

„Meinem Leben gegenüber will ich keine museale Haltung einnehmen“

Und? Weiß das Humboldt­forum schon, was es erzählen will?

Soweit ich es beurteilen kann, gibt es momentan nicht die eine, verbindende Geschichte fürs Humboldtforum. Es gab vielleicht irgendwann mal eine Idee, die aber nicht funktionierte. Und nun sucht man eine neue. Neil MacGregor ermutigt die Leute gerade, stärker in diese Richtung zu gehen.

Die No-Humboldt-21-Leute sagen, das Haus sollte als politisch-historisches Museum umdefiniert werden, statt ein ethnografisches zu sein. Was halten Sie davon?

Ich finde die ganze Kategorie „ethnografisch“ seltsam – für mich sind diese Museen sowieso von vorneherein politisch-historische Gebilde. Es wäre radikal gewesen, gar nicht erst vom „ethnografischen“ Museum zu sprechen. Solche Kategorien schränken von vorneherein ein. Beim Humboldtforum gab es anfangs ein starkes Bedürfnis, ethnografische Exponate als Kunst auszustellen, mit Fokus auf ihrer Schönheit.

Solche Museen gibt es ja nach wie vor.

Ja, Vorbild war auch das Musée du Quai Branly in Paris – und klar, das lockt viele Besucher an. Aber diese Haltung ist meiner Meinung nach hochproblematisch, es ist entpolitisiert. Das mag für Museen mit westlicher Kunst funktionieren. Ethnografische Kuratoren arbeiten so schon lange nicht mehr. Man kann heute schlicht kein solches Haus planen, ohne diese politisch-historischen Dimensionen wahrzunehmen.

Paris, London, die Niederlande: Inwiefern ist Berlin derzeit der richtige Ort für einen Museumsmenschen?

Weil hier bis 2019 so viel passieren wird: Da ist nicht nur das Humboldtforum, zu dem jeder eine Meinung hat hier in Berlin, und das Museum für Islamische Kunst, auch das Naturkundemuseum hat Pläne, und das Jüdische Museum wird dann umgestaltet neu eröffnen.

Ist Berlin selbst ein Museum?

Das kann man fast sagen, da es hier so viel Geschichte und so viele Museen gibt. Aber meine Vorstellung von einem Museum ist sowieso sehr weit gefasst und nicht nur auf die Gebäude selbst beschränkt. Für mich sind es Orte, die sich aktiv mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen und versuchen, in einen Dialog mit der Bevölkerung zu treten. Für mich sind es keine statischen Orte, sondern immer im Werden begriffen. Es ist wichtig, Wandel als permanent zu begreifen und Museen zu ermutigen, sich auch zu ändern. So droht keine Musealisierung.

Was zeigen Sie Besuchern denn, um ihnen Berlin zu erklären?

Der Flohmarkt am Mauerpark ist gut dafür. Weil man dort Dinge findet, die hier den Alltag ausgemacht haben. Man lernt so viel über das Leben, Flohmärkte sind Palimpseste der Vergangenheit. Und es ist interessant, was Leute beschließen loszuwerden.

Was haben Sie denn zuletzt erstanden?

Oh, ich darf gerade nichts kaufen.

Wieso das?

Ich habe eine kleine Wohnung, und bevor ich herkam, habe ich sehr viel ausgemistet, bis auf die Fotoalben. Ich will keine museale Haltung meinem Leben gegenüber einnehmen. Aber man muss sich gut überlegen, was man loswird. Denn was ich heute für überflüssig halte, mag die übernächste Generation in 50 Jahren für essenziell erachten. Das geht Museen genauso.

Inwiefern?

Sharon Macdonald über das Bewahren: „Man muss sich gut überlegen, was man loswird. Denn was ich heute für überflüssig halte, mag die übernächste Generation in 50 Jahren für essenziell erachten“

Auch Sammlungen müssen entscheiden, was sie behalten und was sie aussortieren. Brauche ich das Ding als Erinnerung? Und vor allem: Habe ich auch die Geschichte dazu?

Das Schloss selbst hat ja eine Geschichte, bevor auch nur ein Objekt gezeigt wird. Einer der Kritikpunkte lautet: Es werde ein Gebäude wieder aufgebaut, das für eine Phase der Unterdrückung steht. Wie sehen Sie das?

Nun ja, die Frage ist jetzt eben, wie man dem etwas entgegensetzen kann. Es darf kein Raum für die Eliten werden. Es wäre wichtig, dass permanent auch andere Perspektiven ins Haus geholt werden.

Aber das sieht man von außen ja nicht.

Vielleicht könnte man es machen wie auf dem Trafalgar Square in London: Dort gibt es Podeste, auf denen Künstler mit ihren Werken intervenieren können und die historische Dimension des Orts subversiv unterlaufen. So was könnte man hier vielleicht mit der Kuppel oder vor dem Eingang machen.

Was war eigentlich Ihr erster Gedanke, als Sie vom Plan mit dem Aufbau des Schlosses hörten?

Als ich erfuhr, dass sie sich für diesen Entwurf entschieden hatten, war ich sehr überrascht. Ich wunderte mich, wieso da nichts von jener radikalen, interessanten Architektur zu sehen war, die ich von Berlin erwartet hätte. Dennoch muss ich zugeben, wenn man wie ich jeden Tag vorbeiradelt, wird das Schloss zu einem fait accompli: Es wird sich in die Stadt einfügen. Aber ich hoffe sehr, dass es Störmomente geben wird. Berlin braucht Kantiges, und zwar auch im Zentrum. Sonst würde Berlin wirklich museal werden – und das wäre schade.

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