: Die Mühen der Minister und die Basis
Grünes Debattenforum über rot-grüne Umweltpolitik in den Ländern/ Ostdeutsche abgewickelt/ Vom schwierigen Dialog zwischen Regierenden und Regierten ■ Aus Bonn Klaus-Peter Klingelschmitt
„Im Osten droht der soziale Super-GAU – und in dessen Gefolge eine Radikalisierung auf der rechten Seite, deren Ausmaß wir noch nicht abschätzen können.“ Der stellvertretende Staatssekretär im brandenburgischen Umweltministerium, Gerd Gebhard (Bündnis90), leistete am Donnerstag auf dem Forum „Rot-Grüne Umweltpolitik auf dem Prüfstand“ in der niedersächsischen Landesvertretung in Bonn den „ökologischen Offenbarungseid“: „Alles Vakuum“ in Ostdeutschland. Von Mecklenburg-Vorpommern bis Sachsen könne es Grünen und „Bündnisleuten“ nur noch darum gehen, das im Osten bei der Bevölkerung zum „Randproblem“ degradierte Umweltthema überhaupt noch in der Debatte zu halten. Gebhard: „Sollten wir auf die Idee kommen, auch noch das letzte umweltverschmutzende Chemiewerk stillegen zu wollen, werden wir eine Gegenmacht spüren, die uns aus der politischen Landschaft katapultieren wird. Da machen wir doch lieber 'ne ordentliche „Bimsch“-Genehmigung – und retten so die Arbeitsplätze.“
Doch den von Undine von Blottnitz vom Bundesvorstand der Grünen nach Bonn geladenen Vertretern von Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbänden, die den auf dem Podium sitzenden Ministern und Staatssekretären „Feuer unterm Arsch machen“ (Blottnitz) sollten, waren die desaströsen Zustände im Osten und die „an den Erwartungshaltungen der Menschen orientierte Politik von Grünen/Bündnis 90“ (Gebhard) keine Auseinandersetzung wert. „Das sind ja Zustände wie zu alten DDR-Zeiten“, kommentierte Eduard Bernhard vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz unter dem Beifall der Bürgerinitiativler die Elegie des Brandenburgers. Das Thema war für das Auditorium damit abgehakt.
Doch es war nicht nur die Arroganz der westdeutschen Umweltbewegten gegenüber den Problemen im Osten, die die engagierte Initiatorin der Veranstaltung ins Foyer trieb. Während die Minister und Staatssekretäre aus den rot- grünen Landesregierungen in ihren Statements die real existierenden Koalitionsvereinbarungen zur Meßlatte für Erfolge und Mißerfolge ihrer Arbeit kürten, klagten die Verbandsfunktionäre und Bürgerinitiativler die „in aller Regel ausgebliebene Umsetzung“ ihrer divergierenden Maximalforderungen ein. Das Werben etwa von Staatssekretär Rainer Baake (Grüne) aus Hessen und von Umweltministerin Monika Griefahn (SPD) um Verständnis dafür, daß Politik nach wie vor die „Kunst des Kompromisses“ sei, stieß bei den von diesen „Kompromissen“ Betroffenen auf Widerstand.
Angelika Zahrnt vom BUND- Naturschutz warf den Regierungsmitgliedern vor, daß es auch unter rot-grüner Ägide in den Ländern nur zur „ökologischen Garnierungspolitik“ gereicht habe. Zahrnt ist „persönlich enttäuscht und betroffen“: „Von einer CDU- Landesregierung hätte ich nichts anderes erwartet. Aber wenn unter einer rot-grünen Landesregierung Mercedes-Teststrecken gebaut und Weltausstellungen genehmigt werden, muß ich feststellen, daß sich nach den Regierungswechseln kaum etwas geändert hat.“ Nur „begrenzter Frust“ auch bei Greenpeace: Christina Steenbock räumte zwar ein, daß unter rot-grünem Protektorat die „schrecklichsten Schrecklichkeiten“ hätten verhindert werden können. Dennoch sei Rot-Grün als Gegenmacht zum herrschenden Mainstream zu wenig sichtbar geworden. Steenbock klagte den Dialog der Regierenden mit der Basis und den Umweltschutzverbänden ein. Gerade in Zeiten, in denen das Thema Umweltschutz zum Randthema zu verkommen drohe, hätten die roten und grünen Minister die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, die „Melancholie-Themen“ wie Treibhauseffekt, C02-Vergiftung und Verkehr auf den Tagesordnungen zu halten.
Daß die Konfliktlinien nicht nur zwischen den rot-grünen Regierungsmitgliedern und den Bürgerinitiativlern und Verbandsvertretern verlaufen, legte der Journalist Gerd Rosenkranz am Beispiel der Debatte um das sogenannte Ausstiegspapier der RWE- und Veba- Vorstandsvorsitzenden Gieske und Pilz offen: „Greenpeace feiert das Papier – und der BBU hat es in der Luft zerrissen.“
Und weil dem Gros der Versammelten die ganze Bilanz- und Perspektivdebatte der Grünen ohnhin zu „nebulös“ (BI-Vertreter) war, stürzten sich die Diskutanten auf die Tagespolitik. Fischers Staatssekretär Baake nannte die Bedingungen, unter denen auch Grüne bereit seien, mit der Atomindustrie in Verhandlungen über einen tragfähigen Energiekonsens einzutreten: Abschalten der ältesten Reaktoren, sofortiges Ende der Plutoniumwirtschaft – und Einstieg in eine neue Energiepolitik („Effizienzrevolution“).
Das brachte die Gorlebener auf die Palme, die sich schon als Nachbarn eines Endlagers der ausstiegswilligen Atomindustrie sahen. Für den Bernhard vom BBU sind die Grünen den Vorstandsvorsitzenden Gieske und Pilz „auf den Leim gegangen“. Und von einem Mitglied der Grünen im nordrhein- westfälischen Landtag wurde Baake vorgeworfen, mit der Offenlegung der grünen Essentials die kommenden „Tarifverhandlungen“ mit der Atomindustrie sabotiert zu haben.
Der Mann aus dem Osten hatte da schon resigniert seine Aktentasche gepackt – und im Auditorium lichteten sich die Reihen.
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