: Die Meister der Schmerzen
Partisan Eifelstraße aus Aachen dominiert die Deutsche Alternative Fußballmeisterschaft verletzungstechnisch, aber den Titel schnappen sich die Piranhas aus Regensburg
FREIBURG taz ■ Am Sonntagabend, bei der Siegesfeier, waren alle groggy von zweitägigem Gebolze und manche auch froh, wenn sie im überfüllten Festzelt noch zu einem Sitzplatz humpeln konnten, um ihre gezerrten Muskeln und lädierten Knöchel ausruhen zu können. Krefelds Türke Cengiz Özdemir, der unter dem Künstlernamen Vialli seit Beginn des alternativen Fußballgedankens durch die Strafräume der Republik wieselt, hatte ein bejubeltes grellbuntes Hemd angezogen; Aufschrift: „Ich bin entartet“. Die Roten Hosen aus Ostberlin sangen noch einmal Brechts Arbeiterlied von der Einheitsfront, was bei den anderen 24 Elfen nostalgische Gefühle linker Vergangenheit auslöste. Und Kommando Letzte Schicht aus dem Ruhrpott hatte wieder die orangenen Hemden angezogen mit der Aufschrift „Deutschland ist ein Arschloch“ – was einige von ihnen aber nicht gehindert hatte, im fußballnationalen Reflex am Samstagabend bei der Länderspielübertragung Janckers Tor in Helsinki zu bejubeln.
Fußballparodie, Ulk, Selbstironie und linke Fußballliebe: So ist das immer bei der DAM, der Deutschen Alternativen Fußballmeisterschaft, die am Pfingstwochenende zum 15. Mal ausgetragen wurde, diesmal im regengepeitschten Freiburg. Man ist aktiv wie passiv fußballverrückt, rennt auch im vielfach angegreisten Alter noch hinter dem Ball her (Motto: Alter schützt vor Toren nicht) und wundert sich, dass man zwar selbst langsamer wird, das Leder aber genauso schnell fliegt wie immer.
Das Finale, in dem beide Teams trotz ziemlicher Erschöpfung nach acht Matches noch einige nette Spielzüge auf gutem Kreisligaformat hinbekamen, gewann das Freie Fußballkollektiv Piranhas aus Regensburg im Elfmeterschießen 4:3 gegen die Balltänzer aus Bielefeld. Das schlichte und deshalb schöne Motto 2001 hieß: „Fußball ist unser Leben“, mit dem gesinnungstechnischen Untertitel „Kein Ball an Rechtsaußen“. Und vielleicht war es deshalb eine höhere Form von Gerechtigkeit, dass die Balltänzer das Endspiel verloren: Ihr Führungstreffer war nach einer Rechtsflanke gefallen.
Die DAM ist ein Einladungsturnier. Kriterien sind die richtige Mischung aus Originalität der Bewerbung, Tradition und geografische Verteilung. Durchs Raster fiel zum Beispiel Alhambra aus Oldenburg, deren Brief zwar auf Arabisch geschrieben, sogar nachweislich in Algier aufgegeben war, aber „inhaltliche Schwächen“ aufwies. Als Sensation und bei vielen mit hämischer Genugtuung wurde in der Szene die Nichtberücksichtigung von Altmeister Petermann Stadtgarten aus Köln registriert; Begründung der Jury: „Originalitätszenit scheint überschritten.“
Das hatte historische Folgen. Denn damit war der 1991er Champion Partisan Eifelstraße aus Aachen die einzige Mannschaft, die an allen 15 Meisterschaften teilgenommen hatte. Und ihr Spieler Dieter Becker, der die Funktion des Inteamchefs von Achim Blickhäuser übernommen hatte (sportlicher Rückzug aus gewichtstechnischer Sicht), der einzige Aktive, der bei allen Turnieren seit 1985 dabei war. Das Zelt feierte ihn dafür mit donnernden „Dieter Becker Fußballgott“-Chorälen. Becker (45) bescherte sich zum Jubiläum die schönste und kurioseste Verletzung, die man sich im Fußball überhaupt vorstellen kann. Als er zum letzten entscheidenden Viertelfinal-Elfmeter gegen Roter Stern Bremen antrat, rutschte er beim Schuss aus, irritierte mit einem Schmerzens-„Au“ Torwart Pelle Pelster, der Ball kullerte ins Eck, Partisan hatte gewonnen und Becker eine Adduktorenzerrung. Mitspieler Uli Steinseifer: „Der erste Elfer in der Fußballgeschichte, der ins Tor gegrätscht wurde.“
Partisan hatte zur großen Freude aller im Achtelfinale den Abomeister der vergangenen Jahre, Vibrator Moskovskaja aus Bremen, sensationell mit 1:0 ausgeschaltet, war dann aber im Halbfinale an den Piranhas gescheitert. Weil nachher gleich fünf Partisankämpfer humpelten, ließ man sich wenigstens als „Meister der Schmerzen“ feiern.
BERND MÜLLENDER
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