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Die Mauerspringer

■ Margarethe von Trottas Ost-West-Liebestragödie "Das Versprechen" eröffnete gestern abend die Berlinale. Ein Gespräch mit ihr und Co-Autor Peter Schneider

Nachdem die deutsche Teilung filmisch bislang hauptsächlich in Komödienform präsent war, kommt nun in Margarethe von Trottas „Das Versprechen“ die traumatische Seite der Sache zur Sprache. Konrad und Sophie wollen gemeinsam 1961 aus dem Ost- in den Westteil fliehen, durch einen Kanal, bei Nacht und Nebel. In letzter Sekunde stolpert Konrad über seine Schnürsenkel – fast dreißig Jahre Trennung folgen, in denen sich die beiden Königskinder nur vier Mal sehen: In Prag, beim Einzug der russischen Panzer, in Ostberlin, als das Kind unterwegs ist, das sie in Prag gezeugt haben, und 1981 in Westberlin das letzte Mal vor der Maueröffnung.

Wenn es stimmt, daß Deutschland durch die Erweiterung im Osten sowohl nationaler als auch protestantischer geworden ist, dann ist dieser Film ein rechtes Kind seiner Zeit: Nicht nur wird dem kirchlichen Widerstand sehr viel Raum zuteil (Konrads Schwester Barbara, zunächst gespielt von Susanne Ugé, später von Eva Mattes, wird Pastorin; ihr Kirchenkreis wird ständig sehr aufwendig von der Stasi observiert, interne Abstimmungen majorisiert), nein, das Ganze scheint von der protestantischen Sensibilität getragen, die man bereits aus von Trottas früheren Filmen kennt. Konrad ist ein isolierter, leidgeprüfter Verzichter (nur zu den Sternen treibt es ihn, er ist Astrophysiker), und Barbaras Geliebter Harald schnürt sich, bevor er auf der unfreiwilligen Flucht erschossen wird, als Christus an ein Fensterkreuz, Blick in Richtung Westen. Das eigentlich Erstaunliche aber ist, daß die einzelnen Figuren und ihre Liebe zueinander von der Geschichte seltsam unberührt bleiben, wie auch die Geschichte der beiden Deutschlands seltsam abgetrennt von der vorausgegangenen gemeinsamen erscheint. Ähnlich wie in „Hitlerjunge Salomon“ oder „Die unendliche Leichtigkeit des Seins“ sind Prag, die Stasi, der westliche „Konsumterror“ oder die Stimme von Schabowski zum guten Ende hin mehr eine Art Intermezzo, eine Folie, weltlich-eitles Treiben, das lediglich aufhalten, aber letztlich nicht verhindern kann, daß zusammenwächst, was halt zusammengehört.

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taz: Ein Impuls zu dem Film, konnte man einem im Drehbuch veröffentlichten Gespräch entnehmen, war die Weigerung der Linken, über die Mauer zu sprechen.

Peter Schneider: Na zum Beispiel Ihr Blatt: Zum 20. Jahrestag des Mauerbaus 1981 haben Sie ein Loblied auf die Mauer publiziert, darauf, daß man uns auf diese Weise die DDR-Deutschen vom Hals hält und so weiter. Es gab eindeutig die Meinung, die Mauer sei ein Thema von Springer, von den Rechten, und man würde nur Wasser auf die falschen Mühlen gießen, wenn man dagegen Stellung bezieht. Ich habe schon ziemlich früh gesagt, daß diese Teilung allen Deutschen hinterlassen wurde, nicht nur den Rechten. Deshalb bin ich ja, als ich „Der Mauerspringer“ schrieb, prompt als Rechter tituliert worden. Noch im Januar 1990 haben hier 15.000 Leute für die Mauer demonstriert. Es ist ja bis heute so, daß die Linke Schwierigkeiten hat, mit dieser beschleunigten Geschichte umzugehen, und erst jetzt langsam einräumt, die Einheit könnte vielleicht doch ganz gut sein.

Margarethe von Trotta: Den Westlern ist ja durch die Mauer auch nicht viel Schaden entstanden – nur den wenigen, die Leute drüben hatten, die sie dann nicht mehr sehen konnten.

Was hätte denn stattdessen in der taz stehen sollen?

Schneider: Daß die Mauer das Einschneidenste war, was die Geschichte den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg hinterlassen hat. Alle die sagten: Wir finden den Zustand in Ordnung so, die hatten gut reden. Sie waren zwar bereit, für die deutsche Schuld zu büßen, aber auf der Seite, wo es nichts kostete.

von Trotta: Gewisse Dinge, das muß man dazu sagen, hat man ja schlicht auch nicht gewußt, oder wenn, dann nur aus der Springerpresse, wo man es für Propaganda hielt. Ich bin ja sehr oft rübergefahren und habe viele Leute getroffen. Aber die wirklichen Themen hat man nicht angeschnitten, nicht zu fragen gewagt, weil ich immer das Gefühl hatte, die müssen dich jetzt anlügen, die dürfen nichts sagen, was nicht in das offizielle Bild paßt. Erst nach dem Fall der Mauer habe ich von Menschen gehört, denen die Stasi Schlingen geschickt hat, als Zeichen, daß man sich bittschön aufhängen soll, und von den unzähligen anderen kleinen Schikanen. Sowas erfuhr man eben nicht. Wir haben doch immer nur gesehen, daß die ein tolles Sozialwesen hatten, niedrige Mieten, die Gesundheitsversorgung. Kindergärten waren genug da, Frauen konnten arbeiten, mit Kindern und auch ohne Mann – gerade das war für mich ja sehr wichtig. Ich habe nie gesehen, daß das alles nur auf Pump war, daß es irgendwann auch ohne Gorbatschow und den Westen zusammengekracht wäre, das alles wußten wir nicht.

Klingt ein bißchen wie die „dritte deutsche Schuld“, wir haben nichts gewußt, nichts wissen wollen, keinen Widerstand geleistet...

von Trotta: Ja, da war viel „Nicht-Wissen-Wollen“. Wir hatten doch gesehen, daß viele, die in der Nazizeit exiliert waren, nun ausgerechnet in diesen Staat gingen; das waren ja die, die Widerstand geleistet hatten. Solche Leute wie Honecker, dessen Foto heute im ehemaligen Gestapo- Keller auf dem Gelände der Ausstellung „Topographie des Terrors“ hängt – und genau darüber verlief die Mauer! Dieser Wahnsinn unserer Geschichte!

In dem Film taucht die Verbindung zu den zwölf Jahren davor ja nun nicht mehr so recht auf...

von Trotta: Nun, das wird angedeutet, zum Beispiel wenn Konrads Vater bei dem Prozeß gegen seine Tochter Barbara [nach einer kirchlichen Protestaktion, d. Red.] zugegen sein will und nicht reingelassen wird. Da sagt er: „Als ich unter den Nazis meinen Prozeß hatte, durften meine Eltern dabeisein“, und dann sagt ihm der Vopo: „Wir leben eben nicht mehr in der Nazizeit“...

Um zu suggerieren: „Jetzt werden andere Seiten aufgezogen“, oder wie? „Dagegen gings euch damals noch Gold?“

von Trotta: Nein, nein, jedenfalls ist das nicht von uns intendiert. Wir haben diese Stelle aus einem Buch von Havemann übernommen.

Schneider: Das Nazisystem hat 55 Millionen Menschen umgebracht, das ist ein entscheidender Unterschied. Aber die Gemeinsamkeit der beiden Systeme ist doch, daß die Deutschen innnerhalb ganz kurzer Zeit Menschenrechte mißachtet haben, weil die Obrigkeit es befohlen hat.

Hier die Obrigkeit, da die Deutschen? Mir scheint der Film sehr von einem protestantischen Sentiment getragen, was zu der These passen würde, daß das wiedervereinigte Deutschland nicht nur nationaler, sondern eben durch den rein zahlenmäßigen Zuwachs an Protestanten auch evangelischer wird...

von Trotta: Warum wollen Sie jetzt alles diesem Film aufbürden? Bloß weil da eine Pastorin auftritt? Deswegen ist das doch kein protestantischer Film! Die Kirchenleute waren ja nun mal diejenigen, die das alles ausgelöst haben.

Schneider: Und nicht die evangelische Kirche, sondern einzelne Kreise. In den oberen Etagen gab es ja erhebliche Verwicklungen; deshalb sagt ja auch einer: „Der Bischof ist eine Glatze, auf der die Stasi Locken dreht“. Nicht alle, die in der Kirche waren, waren auch religiös; viele fühlten sich da einfach geschützt.

Es ist aber in dem Film nicht bloß diese konkrete Figur. Selbst Barbaras Mann, der nicht glaubt, bindet sich als Jesus an sein Fensterkreuz, mit Blick auf den Westen. Das ist doch eine Ikone. Auch wie Konrad aufgebaut wird, einsam mit seiner Astrophysik, über sich nichts als den Himmel... Da wird doch filmisch was erzählt.

von Trotta: Es zieht ihn auch zum Kosmos, weil da keine Grenzen mehr sind.

Wie erklären Sie sich die Tatsache, daß man jetzt schon im Ausland sehr viel enthusiastischer auf den Film reagiert als hier? [„Das Versprechen“ wurde bereits für den Oscar nominiert.]

von Trotta: Als wir 1991 das Drehbuch schrieben, hatten wir ja noch damit gerechnet, daß wir einer unter vielen Filmen über die Mauer sein würden. Jetzt ist es der einzige, und da wird nun alles von erwartet. Daß es Polemiken geben würde, war mir klar, aber solche Pseudo-Enthüllungsgeschichten wie im Spiegel – das ist einfach Häme, das hat mit Kritik nichts mehr zu tun.

Ich hatte auch meine liebe Not mit dem Film; aber vielleicht ist nach den vielen Komödien so ein Film notwendig, in dem die Deutschen heulen können...

Schneider: Margarethe wird immer dafür angegriffen, daß sie nicht hier war, sondern in Rom, als die Idee entstand; man streitet ihr das Recht ab, so einen Film zu machen. Dabei wird leicht unterschlagen, daß ein gewisser Peter Schneider schon seit dreißig Jahren hier lebt und sich ja schon im „Mauerspringer“ mit dem Thema beschäftigt hat. Luc Bondy hat das neulich sehr schön gesagt: Wir denken jetzt über fünfzig Jahre Auschwitz nach, dieser ganze Selbsthaß, was man darf, was „notwendig“ ist... Das ist doch Quatsch – „notwendig“! Wenn man uns nur läßt, wenn man zugesteht, daß man so einen Film machen darf, dann sind wir völlig zufrieden.

Das Gespräch führte Mariam Niroumand

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