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Die Maske des Todes

■ Der neue Literatur-Nobelpreisträger Octavio Paz über sein Métier DOKUMENTATION2

Die moderne Literatur entstand im 18.Jahrhundert und war mit den Ansprüchen des absolutistischen Staates und der verschiedenen Kirchen konfrontiert. Im 19.Jahrhundert wuchs die freie Literatur, sie beschrieb und kritisierte die etablierten Mächte sowie die Lügen und Illusionen der zivilisierten Gesellschaft. Das 20.Jahrhundert brachte große literarische Werke und ein mutiges philosophisches und wissenschaftliches Denken hervor, aber es war auch das Jahrhundert der massiven Verfolgung von Intellektuellen und Künstlern vor allem durch die beiden großen, intoleranten und grausamen Totalitarismen.

Der Zweite Weltkrieg setzte dem Nationalsozialismus ein Ende. Die friedliche Revolution der Völker der Sowjetunion und Mitteleuropas brachte die kommunistische Bürokratiepyramide zum Einsturz. Dieser unermeßlich große Sieg über das totalitäre System darf uns nicht die Augen vor anderen Gefahren verschließen. Die moderne Literatur ist großen Gefahren ausgesetzt. Ich denke an die heimtückische Herrschaft des Geldes und an den Handel mit Kunst und Literatur.

Die Gesetze des Marktes sind auf die Literatur, auf das Denken, auf die Kunst im strengen Sinn nicht anwendbar. Die großen Werke unserer Zivilisation waren fast immer marginale oder subversive Werke, die sich an eine Minderheit richteten, Werke, die bei ihrem Erscheinen auf Gleichgültigkeit oder sogar auf Widerstand stießen. Der Gesundheitszustand einer Literatur — und das heißt einer Zivilisation — hängt von der Mannigfaltigkeit und der Einzigartigkeit ihrer Stimmen, Persönlichkeiten und Strömungen ab. Die rein kommerziellen Kräfte, die sich nach den Kriterien des Erfolgs und des Verkaufs richten, tendieren nach Uniformität, und die ist die Maske des Todes.

Die Geschichte der Literatur, die Geschichte des Denkens und der modernen Kunst läßt sich von der Geschichte der politischen Freiheiten nicht trennen. Wo die Freiheit stirbt, sterben auch das Denken und die Literatur. Die Freiheit ist das Lebenselexier für die Literatur und die gesamte Gesellschaft.

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