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Die Mafia macht wieder mobil

Attentat auf Untersuchungsrichter vereitelt / Anschlag war möglicherweise Warnung, Anti-Mafia-Engagement nicht zu weit zu treiben / Bürgermeister und Stadträte zurückgetreten  ■  Aus Palermo Werner Raith

„Die beiden Taschen“, erzählt ihr Entdecker von der Eskorte des berühmtesten aller Mafia-Staatsanwälte, Giovanni Falcone, „waren so gut sichtbar plaziert, daß man gar nicht daran vorbei konnte, argwöhnisch zu werden“: zwei Taucher -Beutel, sichtbar per Draht miteinander verbunden, abgestellt an der in den Fels gehauenen Treppe vor dem Urlaubshäuschen des Anti-Mafia-Spezialisten. Der Polizist alarmierte die Sprengspezialisten - und siehe da, die holten 20 Kilo Dynamit heraus und stellten den drahtlosen Fernzünder sicher. Italiens Mafiologen rätseln nun, ob die so offensichtliche Plazierung nur eine Warnung sein soll: Die Clans wollten beweisen, daß sie jeden Schritt des Ermittlers überwachen. In der Tat hatte dieser erst vor drei Tagen in großer Heimlichkeit sein bunkerartiges Appartement im Stadtzentrum Palermos verlassen. Doch es muß nicht unbedingt eine reine Show der Mafia gewesen sein: Hätte Falcone zufällig als erster die Treppe betreten und ein aufmerksamer Beobachter den Zünder betätigt, wäre er wohl auch noch aus 20 Metern Entfernung tödlich getroffen worden.

Sicher ist freilich, daß die Clans es im Augenblick nötig haben, ihre Muskeln spielen zu lassen. Im kalabresischen Locri, wohin mehrere sizilianische Gruppen ihre auf der Insel nicht mehr so sicheren Heroin-Labors verpflanzt hatten und mittlerweile eine enge Zusammenarbeit mit der „Mafia Calabrese“ begonnen haben, setzte sich vor zwei Wochen die Mutter eines entführten Jungen auf den Marktplatz und erklärte, nicht mehr wegzugehen, bis sie ihren Sohn wiederhabe. Die Zustimmung war so groß, daß am Mittwoch die Bürgermeister und Stadträte aller 40 umliegenden Gemeinden zurücktraten - „aus Protest gegen die Ineffizienz und Gleichgültigkeit des Staates dem organisierten Verbrechen gegenüber“.

Lediglich zwei Ermittlungsrichter stehen in der gesamten Provinz zur Verfügung, bei mehr als 10.000 Verfahren im Jahr. Polizeieinheiten sind lediglich in den großen Zentren wie Catanzaro, Cosenza oder Reggio Calabria zu finden, ansonsten trauen sich die Carabinieri hier schon traditionell nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr aus ihren Kasernen. Daß die Mobilisierung gegen die „Malavita“, Italiens kriminellen Untergrund, sich derzeit wie ein Flächenbrand ausbreitet, fühlen die Mafiosi und auch ihre Kollegen von der neapolitanischen Camorra. In Mailand, wo neuerdings der Drogenkonsum stark zunimmt, haben 30 Mütter Waffenscheine beantragt, um „unsere Kinder vor den Dealern schützen zu können“.

Was wohl die für die Mafiosi beunruhigendste „Wende“ ist: Seit die Kommunistische Partei nach den Gemeinderatswahlen in Unteritalien in einem „Weißbuch“ akribisch nachgewiesen hat, welch konkreten Einfluß mafiose Gruppen auf die Abstimmungen nehmen (nach Aussagen des Exbosses Buscetta verfügen sie in Sizilien über mehr als 150.000 Stimmen), mobilisieren sich die Anti-Mafia-Kämpfer allenthalben auch an der Wahlurne. Ein Aufruf des Jesuiten Ennio Pintacuda, Gründer der Bürgerinitiative „Eine Stadt für den Menschen“, bei den Europawahlen nicht die Christdemokraten (DC) zu wählen, weil dort an der Spitze ein großer Mafia-Freund steht, hat so breiten Widerhall gefunden, daß der nur noch sehr knapp den Sprung ins Parlament geschafft hat.

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