■ Die MRTA hat nach dem gewaltsamen Ende der Geiselnahme nicht die Kraft zu einer neuen Perspektive Von Bernd Pickert: Der dritte Tod des Tupac Amaru
Der dritte Tod des Túpac Amaru
„Ehre den Märtyrern des Kommandos Edgar Sánchez! Túpac Amaru lebt! Der Kampf geht weiter!“ ist die Homepage der „Revolutionären Bewegung Túpac Amaru“ (MRTA) im Internet überschrieben. Aber so schnell, wie die revolutionären Computerspezialisten virtuell den Fortgang des Befreiungskrieges verkünden, dürfte die Reorganisation der bewaffneten Kräfte nicht vor sich gehen. Nestor Cerpa Cartolini, der Chef des MRTA-Kommandos, ist gemeinsam mit den anderen Geiselnehmern getötet worden. Er war der letzte der bekannten Führungskader der MRTA, der sich noch in Freiheit befand. Alle anderen, darunter auch MRTA-Gründer Victor Polay Campos, sitzen in Haft, mehr oder weniger abgeschirmt von der Außenwelt, unter prekären Bedingungen. Als einziger bekannter Sprecher der MRTA fungiert so der erblindete Isaac Velasco – aber der lebt in Hamburg.
Die Guerilla war Mitte der 80er Jahre aus der Vereinigung zweier Gruppen der radikalen Linken hervorgegangen. Der Name Túpac Amaru nimmt Bezug auf einen Indianerführer, der als direkter Nachfahre des letzten Inka-Herrschers Túpac Amaru unter dessen Namen gegen die spanischen Kolonisatoren im 18. Jahrhundert kämpfte und von ihnen getötet wurde.
Im Unterschied zum „Sendero Luminoso“, dem maoistischen „Leuchtenden Pfad“, setzte die MRTA nicht auf die bewaffnete Zerstörung der staatlichen Ordnung, sondern versuchte, in politischer Basisarbeit eine breite Volksfront aufzubauen. Anders als „Sendero“, der sich selbst als revolutionäre Avantgarde und alle als Feinde betrachtete, die den bewaffneten Kampf unter seiner Führung nicht mitgehen wollten, suchte die MRTA das politische Bündnis mit den Volksorganisationen. Sie war über einen politischen Flügel im Zusammenschluß der „Vereinigten Linken“ vertreten, die zeitweise sogar Parlamentsabgeordnete entsenden konnte.
Großen Rückhalt aber hat die Guerilla im Volk nicht gefunden, obwohl sie durch spektakuläre Fluchten und Entführungen, durch die Verteilung geplünderter Lebensmittel in Robin-Hood-Aktionen und permanente Propaganda- Arbeit auf sich aufmerksam machte.
Vergebens. Außer in manchen Teilen des peruanischen Amazonasgebietes im Norden des Landes, in den Provinzen San Martin, Loreto und Uyacali, hat die MRTA nirgendwo nennenswerten Einfluß erlangen können. Seit Ende 1993 wurden Kämpfe zwischen MRTA und der peruanischen Armee fast nur noch aus der Region des Huallaga-Tals in der Provinz San Martin gemeldet, und nur dort, wenn überhaupt, dürften heute noch vereinzelte Einheiten der MRTA zum Kampf bereit sein. Nach den Erzählungen jener Geiseln, die in den ersten Wochen aus der besetzten Botschafterresidenz freigelassen worden waren, hatte sich auch das Kommando vor allem aus jungen Leuten aus dem Amazonasgebiet zusammengesetzt – die sich begeistert vor dem Fernseher versammelten, wenn die tägliche Seifenoper über den Bildschirm flackerte.
Aber die politische Perspektive war der Guerilla abhanden gekommen. So war die Besetzung der japanischen Botschafterresidenz eigentlich von Beginn an als eine Art bewaffnetes Friedensangebot zu verstehen. Das Kommando hatte – wie bei den meisten Aktionen der MRTA in den vergangenen zehn Jahren – darauf geachtet, bei der Besetzung niemanden zu Schaden kommen zu lassen. Ein erstes Ultimatum, in dem die Geiselnehmer gedroht hatten, den Außenminister zu ermorden, verstrich ohne jede Reaktion von beiden Seiten. Die Guerilleros machten fürderhin keinerlei Anstalten, mit der Erschießung von Geiseln die Durchsetzung ihrer Forderungen erzwingen zu wollen. Das hätte Fujimori die Möglichkeit genommen, sich auf Verhandlungen einzulassen – und die MRTA als brutale Terrororganisation dastehen lassen. Beides lag nicht im Interesse der Guerilleros, die ihre politische Zukunft selbst kaum noch im bewaffneten Kampf sahen.
Als am 31. Dezember, nur zwei Wochen nach Beginn der Geiselnahme, das Friedensabkommen zwischen Regierung und Guerilla in Guatemala unterzeichnet wurde, das den Guerilla-Kämpfern die Eingliederung ins politische Leben ermöglicht, entließ die MRTA den guatemaltekischen Botschafter aus der Gefangenschaft – ein klarer Hinweis, wie die peruanische Guerilla ihre eigene Perspektive verstehen wollte.
Die Erstürmung der Residenz hat das unmöglich gemacht. Die Häftlinge, politischer und ideologischer Kern der Guerilla, werden in absehbarer Zeit nicht freikommen. Eine neue Massenflucht wie 1990, als Victor Polay und etliche weitere MRTA-Häftlinge durch einen Tunnel aus dem hochgesicherten Gefängnis Canto Grande in Lima entkommen konnten, ist ohne Unterstützung von außen nicht zu machen. Präsident Fujimori kann darauf setzen, daß die wenigen verbliebenen MRTA-Kämpfer nicht mehr die Kraft haben, aus der Wut über den Tod ihrer Compañeros eine neue Dynamik zu entwickeln. Möglich sind kleinere Vergeltungsschläge – aber die sind zu verkraften. Die Geschichte der Túpac-Amaru-Guerilla in Peru ist zu Ende.
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