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Die Luft wird immer dünner

Aus lauter Enttäuschung machen es schwedische Wintersportler nun den Finnen nach und sitzen vorzugsweise in der Druckkammer  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Mit dünner Luft wollen die in Lillehammer enttäuschenden schwedischen WintersportlerInnen bald neue Höhen auf den Ergebnislisten erklimmen. In Östersund soll im Sommer der Prototyp eines Höhensimulators entstehen, der dann, in weiteren Exemplaren landesweit in normale Wohnhäuser eingebaut, dünne Alpenluft simulieren soll. Der Effekt: Die roten Blutkörperchen vermehren sich, um den mangelnden Sauerstoffgehalt der Luft über höhere Transportkapazität ausgleichen zu können, was in sauerstoffreicheren Lagen zu einer reellen Leistungsreserve führen kann. Kostenpunkt der Niedrigdruckkammer – eine halbe Million Mark.

„Es waren die rundweg positiven Erfahrungen der Finnen, die uns zu dem Projekt veranlaßten“, gesteht Bertil Karlsson, Leiter des Sportentwicklungszentrums Östersund, die Nachahmung einer ähnlichen Anlage im Nachbarland ein. Kurz vor den Olympischen Spielen in Lillehammer hatten die FinnInnen ihr „Geheimnis von Vuokatti“ gelüftet: Die finnischen SkiläuferInnen haben wie alle FlachländerInnen das Problem, in der dünnen Höhenluft der Alpen nicht auf Anhieb genug Sauerstoff tanken zu können.

Bislang hatten sie diese Anpassung wie die meisten anderen Nationalmannschaften mit teuren wochenlangen Trainingslagern in hoch gelegenen ausländischen Skirevieren durchgeführt. Doch seit Vuokatti können sie zu Hause bleiben. Nicht daß als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme dort im allerschönsten nordfinnischen Skigebiet ein mittelprächtiger einheimischer Hügel auf 2.000 Meter Höhe aufgeschaufelt worden wäre – nein, in aller Heimlichkeit war hier die weltweit erste bewohnbare Druckkammer gebaut worden, in der Höhen bis zu 5.000 Meter simuliert werden können. In der hundert Quadratmeter großen Wohnung können bis zu sechs Personen zusammen wohnen.

Und Finnlands Skimannschaft macht nach zeitweiser Einquartierung in Vuokatti tatsächlich eine erstaunliche Veränderung durch: War sie im letzten Jahr bei den Weltmeisterschaften in Falun noch vergeblich auch nur einem Platz unter den ersten zehn in irgendeiner Disziplin hinterhergefahren, gab es in dieser Saison nicht nur Olympia-Medaillen, sondern auch Weltcup-Siege und vor allem wesentlich mehr vordere Ränge als bei den SchwedInnen.

„Wir glauben an das Projekt“, sagt Bertil Karlsson, „auch wenn sicher nicht alles am Höhentraining liegt. Zusammen mit anderen Maßnahmen sollen die SportlerInnen das Gefühl eines Neuanfangs haben, daß man sie mit den technisch besten Voraussetzungen ausstattet.“

Finnlands Skilangläufer Harri Kirvesniemi meint, er habe sich noch nie so schnell auf größere Höhen einstellen können wie nach Vuokatti. Er trainierte wie die anderen Mitglieder der Skilanglauf- Mannschaft zwar in freier Natur, verbrachte aber die Ruhepausen, Essens- und Schlafenszeiten in der Druckwohnung. Darin war eine Höhe von 2.500 Metern simuliert worden.

Die Idee zu der Druckkammer hatte der finnische Mannschaftsarzt Jorma Penttinen. Wie sein norwegischer Kollege Kjell Eystein Rökke zu berichten weiß, gibt es in verschiedenen Ländern schon länger Überlegungen darüber, wie das Höhentraining zumindest teilweise ersetzt werden könnte. Während Rökke vom norwegischen Skiverband seit längerem vergeblich Geld für eine ähnliche Testanlage loseisen wollte – die NorwegerInnen fuhren ja auch ohne Höhensimulator der Konkurrenz davon –, konnte man damit in Finnland die SkilangläuferInnen wieder auf Spitzenniveau heben.

Wird in Zukunft jedeR SpitzensportlerIn – auch im Rad- und Schwimmsport, bei den Kanuten und Ruderern ist Höhentraining gängig – in der Privatwohnung am Thermostat die gewünschte Trainingshöhe einstellen, in der er die Wochen vor einem Wettbewerb verbringt? Rökke woll das nicht ausschließen: „Aber dann ginge so viel verloren, was das Höhentraining wichtig macht. Zum Beispiel das Vergnügen, auf der Terrasse zu sitzen, eine Apfelsine zu essen und den Sonnenuntergang zu beobachten. In der Druckwohnung bliebe ja nur, dumpf vorm Video zu hocken.“

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