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Die Löcher im UN-EmbargoDeutsche Rüstungssöldner in vorderster Front

■ Ein Großteil der deutschen Zollfahnder ist zur Zeit mit Verstößen gegen das UN-Embargo und das Außenwirtschaftsgesetz befaßt. Die Liste der Firmen, die illegal Rüstungsmaterial in den Irak geliefert haben, wird immer länger.

VON THOMAS SCHEUER

Während in Bonn die Diskussion über eine Verschärfung der Exportbestimmungen in die Gänge kommt, ermitteln Zollfahnder und Staatsanwälte weiter gegen deutsche Händler und Firmen wegen illegaler Lieferungen von Rüstungsmaterial in den Irak. Die Liste der Schieber wird ständig länger — ein Ende ist nicht in Sicht. Da es sich bei den verdächtigten Technosöldnern oft um kleine Ingenieurbüros oder Handelsfirmen handelt, konzentrieren sich die Nachforschungen verstärkt auf die Zulieferer der Schieber. Dabei könnte manche Spur in die oberen Etagen renommierter Industrie- und Rüstungskonzerne führen.

Ziemlich oben auf der Liste der Fahnder rangieren derzeit zwei Klitschen, die sich um die Feuerkraft von Saddam Husseins Artillerie besonders verdient gemacht haben: die Stuttgarter TS Engineering und die Klaus Tellkamp Engineering in Mülheim an der Ruhr. Von letzterer führen Drähte gar zu den mysteriösen Aktivitäten des im März 1990 in Brüssel ermordeten kanadischen Waffenexperten Gerald Bull, dessen Werkeln an einer ominösen „Superkanone“ Iraks für weltweite Schlagzeilen sorgte.

In der Branche galt das Ballistik- Genie als der führende westliche Experte bei der Entwicklung weitreichender und zielgenauer Artillerie. In den 60er Jahren hatte der Kanadier im Auftrag des Pentagon mit gigantischen Supergeschützen experimentiert. Nachdem die US- Militärplaner jedoch ballistische Raketen bevorzugten, suchte und fand Bull als „Freischaffender“ in aller Welt neue Kunden. Die österreichische Haubitze GHN-45, deren illegale Lieferung an beide Kriegsparteien während des Iran/Irak-Krieges einen deftigen Rüstungsskandal in Wien auslöste, geht ebenso auf ein Bull-Patent zurück wie die südafrikanischen Haubitzen G-5 und G-6. Der Südafrika-Deal brachte Bull in den USA eine Gefängnisstrafe wegen Verstoßes gegen das UNO-Embargo ein. Schon damals waren deutsche Rüstungsdealer mit von der Partie: Manager des Rüstungskonzerns Rheinmetall wurden 1986 wegen der illegalen Lieferung einer Munitionsfabrik in den Apartheidstaat verknackt — in der Fabrik wurden die Granaten für die Bull-Kanone hergestellt. Nach Angaben des Rüstungsfachblattes 'Jane's Defense Weekly‘ soll die südafrikanische Armscor mittlerweile 100 bis 200 G-5-Kanonen an den Irak verkauft haben.

Für die Rüstungsplaner in Bagdad erwies sich Gerald Bull als idealer Partner. Die Versessenheit der irakischen Generäle auf Riesenkanonen rührt aus Erfahrungen im Golfkrieg: Dort entschied eine Schlacht oft, wer die meisten und feuerstärksten Geschütze hatte. Für den Irak konstruierte Bull zunächst die „Al Fao“, ein Geschütz vom Trümmer-Kaliber 210 mm, die größte derzeit bekannte Artilleriekanone. Den Prototyp baute die spanische Firma Forex. Zuletzt werkelte der Herr der Rohre an einer geheimnisvollen „Superkanone“. Das Ding hielt im Frühjahr 1990 Zollfahnder und Presse in ganz Europa wochenlang auf Trapp: Kaum ein Airport, kaum ein Hafen zwischen Athen und London, auf dem nicht Teile des auf 40 Meter geschätzen Riesenrohres beschlagnahmt wurden. Dabei ist Experten bis heute schleierhaft, ob das mysteriöse Artillerieungetüm für das Verfeuern übergroßer Granaten oder als Abschußgerät für kleinere Raketen vorgesehen war. Erwiesen ist jedenfalls, daß Bull den Irakis auch bei der Raketenentwicklung zur Hand ging.

Bei einer Maschinenbaufirma im baden-württembergischen Weingarten etwa bestellte Bulls Firma Space Research Corporation (SRC) im Frühsommer 1989 eine Faserwickelmaschine. Mit solchen Geräten können aus Kohlenstoffasern sowohl Abschußrohre als auch Kappen für Raketenspitzen hergestellt werden. Im März 1990 wurde der hochfliegende Ballistik-Guru Bull vor seiner Haustür in Brüssel von Unbekannten auf eher altmodische Art mit einer Pistole erschossen. Als den süddeutschen Maschinenbauern aufgrund internationaler Presseberichte über Bulls Ermordung der Hintergrund der SRC-Bestellung dämmerte, stornierten sie den Vertrag sofort. Die bereits fertiggestellte Faserwickelmaschine steht noch heute auf dem Firmenareal in Weingarten.

Um seine Hauptfirma SRC, deren wichtigste Büros in Brüssel und Genf saßen, hatte Bull zusammen mit irakischen Beschaffungsagenten und Financiers ein weitverzweigtes Netz von Tarnfirmen über ganz Europa gesponnen. Nach seiner Ermordung verkauften seine Söhne die Firmengruppe samt Patenten, Lizenzen und Verträgen. Wer das Bull-Imperium übernahm und die Irak-Projekte weiterführte, haben europäische Fahnder mittlerweile weitgehend ermittelt. Demnächst wollen sie bei den Bull-Nachfolgern zuschlagen. Immer wieder führen Spuren auch zu Ingenieuren und Firmen in der BRD. Der deutsche Techniker Klaus Urbatzka etwa gründete in Wien im Bull-Auftrag die Firma Polytronic.

In die Irak-Geschäfte Gerald Bulls bzw. seiner Nachfolger scheint auch der Mülheimer Kaufmann Klaus Tellkamp verwickelt, gegen den die Duisburger Staatsanwaltschaft neuerdings ermittelt. Tellkamp soll unter anderem versucht haben, 1.500 Rohlinge für Granathülsen über die Türkei in den Irak zu schmuggeln. Aufgefallen war Zollfahndern das ungewöhnliche Kaliber, das im Nato-Staat Türkei gar nicht verwendet wird: 210 mm — genau das Kaliber der irakischen „Al Fao“-Kanone. Diese Lieferung erreichte den Irak zwar nicht. Doch noch im September, also nach dem UNO-Embargo, so der Ermittlungsstand, verhandelte Tellkamp mit dem Irak über neue Geschäfte.

Keiner ließ sich vom Embargo beeindrucken

In den Niederlanden ermitteln die Fahnder derweil (wie auch gegen rund 20 weitere Firmen) gegen die Munitionsfirma Franarex. Sie schummelte illegal 1.500 Granatladungen für das Kaliber 210 mm in den Irak — Menge und Kaliber decken sich kaum zufällig genau mit Tellkamps gescheitertem Hülsen- Geschäft. Tatsächlich wollen die Ermittler auf Verbindungen zwischen Franarex und Tellkamp gestoßen sein. Daß Franarex wiederum direkt mit Bulls SRC zusammenarbeitete, belegen SRC-Dokumente, die der taz zugespielt wurden. Als die SRC nach Bulls Ermordung offiziell aufgelöst wurde, schickte das SRC- Büro Brüssel per Telefax an das für Finanzfragen zuständige SRC-Büro in Genf eine handschriftliche Liste noch offener Beträge. Unter den Zahlungsempfängern ist auch Franarex aufgelistet. Auf der gleichen Liste (s. Faksimile) findet sich der deutsche Chemiekonzern und Munitionshersteller Dynamit Nobel. Auch in Bankbelegen der SRC Genf taucht der Name Dynamit Nobel auf.

Ein asiatischer Sprengstoffexperte der SRC arbeitet heute für Klaus Tellkamp. Früher diente der Asiate der Munitionsfirma Kruithoorn — einer holländischen Tochter des Rheinmetall-Konzerns. Zufällig liegt der holländische Wohnsitz des Mannes direkt neben der Firma Eurometall — die wiederum Dynamit Nobel gehört. Spannend wird es also spätestens, wenn die Duisburger Ermittler herausfinden, von wem der Händler Tellkamp, der ja selbst nichts produzierte, das Material für seine Irak-Deals bezogen hat.

Einen großen Teil ihrer schmutzigen Geschäfte wickelten deutsche wie holländische Munitionsschieber mit dem irakischen Rüstungskomplex HUTTEEN ab. Der war auch Stammkunde bei der Stuttgarter TS Engineering. Diese Firma lieferte beispielsweise Präzisionswerkzeuge zur Herstellung von Granathülsen in den Irak. Dabei kooperierte TS-Chef Nagi Semaan, wie ein bei ihm beschlagnahmtes Schreiben beweist, zeitweise mit der berüchtigten Gildemeister-Projekta GmbH in Bielefeld. Diese wiederum rangiert in einem irakischen Organisationsschema als „Generalunternehmer“ für das Projekt SAAD 16. Dahinter verbirgt sich der größte Rüstungsforschungskomplex des Irak. Auch die TS Engineering ließ sich, so der aktuelle Ermittlungsstand, bei ihren tötlichen Geschäften weder vom UNO-Embargo noch von der Kriegsgefahr am Golf beeindrucken.

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