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Ausgehen und rumstehen von Ehmi BleßmannDie Leidenszeit irgendwie gemeinsam überwintern

Das Wochenende wird mit einem Phänomen eingeläutet, das wegen seiner Seltenheit in der Stadt stets erstaunt: Es schneit! Der, auf parkenden Autos und kahlen Baumästen bettende Schnee sieht aus, als wollte er länger als ein paar Minuten verweilen, und lässt das Stadtbild ungewohnt friedlich erscheinen. Jetzt nicht unglücklich ausrutschen, schießt es beim Weg ins kalte Draußen durch meinen Kopf. Wer weiß, wie lange ich mit einem dämlichen Beinbruch in der Notaufnahme auf ein freies Plätzchen warten müsste. Wie ich so über den vereisten Boden des leergefegten Mehringdamms spaziere und meinen Blick etwas höher richte, fallen mir die Nadelkränze und Kerzenständer hinter den fest verschlossenen Fenstern der Häuserfassaden auf.

So langsam läuten die Weihnachtsglocken, die Leute ziehen sich in ihre dekorierten vier Wände zurück, backen Kekse mit Kindern und für Großeltern. Oder aber, sie bleiben ganz unfeierlich das ganze Wochenende in Decken vergraben und erreichen neue Rekorde in ihren Serienmarathongewohnheiten. Es fällt gerade nicht auf, wenn man ein paar Tage vom Radar verschwindet. Denn die Lust zum Ausgehen befindet sich in der typischen Winterstarre. So wie die Tage schon zur Nachmittagszeit im Gewand der finstersten Nacht erscheinen, hat sich die Motivation für spontane Barausflüge und kollektive Clubwanderungen am Wochenende auf ein Minimum reduziert. Sein Übriges tut das Gebot der coronabedingten Zurückhaltung vor Menschenmassen, welches die Bereitschaft, sich in Dunstkreisen der spärlicher gewordenen Unterhaltungsangebote die Nächte um die Ohren zu schlagen, zusätzlich hinunterkühlt.

Es ist nicht so wirklich die Zeit dafür, das Wochenende vor reichlich besuchten Bühnen, im lauthalsen Gedrängel verrauchter Kneipen oder mit Exzessoperationen in vor Partyschweiß triefenden Clubhallen zu verbringen. Es ist eher die Zeit dafür, sich in kleinen Kreisen von den unannehmlichen Begleiterscheinungen des wöchentlichen Alltagslebens zu regenerieren und unaufgeregt für den nächsten Montag zu wappnen.

Und deshalb reihe ich mich, die Betriebstemperatur in Mantel und Mütze zu speichern versuchend, in Begleitung einer Freundin am Samstagabend mit ein paar, ebenfalls der Wintermüdigkeit fröhnenden, Gleichgesinnten auf Spätistühlen ein. So richtig Aufregendes gibt’s nicht zu erzählen, eben weil nichts Spannendes passiert.

Die Bestandsaufnahme, dass auch die Leidensgemeinschaft um uns herum nur wortkarg vor sich hin fröstelt, stimmt uns aber genügsam. Unsere Entschlossenheit, den anstehenden dritten Advent mit einer privaten Glühweinverkostung einzuleiten, führt ins Leere, als wir feststellen, dass Schnelltests derzeit nicht das einzig rare Gut in unseren Supermärkten des Vertrauens sind.

Die Motivation für Barausflüge hat sich auf ein Minimum reduziert

Die Grenze zwischen jahreszeitbedingter Zurückgezogenheit und Nostalgie ist fließend. Vielleicht treibt es uns deshalb am Sonntag in den Club „Zukunft“ am Ostkreuz. Der vielseitig genutzte Kulturstandort, der ein Kiezkino beherbergt und für seine schöne Bar bekannt ist, hat leider keine rosige Zukunft in Aussicht. Wofür das Gelände nach dem Winter genutzt werden soll, ist unklar. Inmitten des Innenhofes, der im Sommer noch mit Bierbänken und Sonnenschirmen versehen war, steht ein Schneemann. Die Sonne hat sich verabschiedet und Bierbänke lehnen zusammengeklappt am Rand. Drinnen wird einem das Gemüt von gelbem Licht und vertrauter Atmosphäre gewärmt. Wir überwintern diese seltsame Zeit schon irgendwie. Die Orte, die die derzeit so vermisste Lebendigkeit unserer Freizeit überhaupt ermöglichen, müssen es aber auch.

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