: Die Kunst des Stehenbleibens Von Andrea Böhm
Es gibt in den USA auf dem Weg zum vollwertigen Bürger gewisse Entwicklungsstufen. Die letzte Hürde vor dem Endstadium der Amerikanisierung ist die Führerscheinprüfung. Wer keinen Führerschein hat, ist ein potentieller Fußgänger oder Benutzer der öffentlichen Verkehrsmittel – bestenfalls ein Sonderling, schlimmstenfalls ein Subversiver. Die USA machen es einem, wie bei der Einbürgerung, recht leicht, das Stigma des Außenseiters abzustreifen. Vor allem, wenn man wie ich schon einen deutschen Führerschein hat. Dann bleibt einem der Praxistest erspart. Man muß sich nur noch im „Bureau of Motor Vehicle Services“ der Theorieprüfung stellen – genauer gesagt, einem Computer. Meiner heißt „Nummer vier“ und beginnt philosophisch: „Warum müssen Autofahrer einen Führerschein haben?“ Dazu fällt mir eine Menge ein, aber ich darf nur zwischen drei Antworten wählen: a) damit die Stadt mehr Geld verdienen kann; b) damit die Polizei Autofahrer identifizieren kann; c) um schlechte Autofahrer nicht auf die Straße zu lassen. Ich spüre den inneren Drang, den Buchstaben a einzugeben, weil ich für die ganze Prozedur immerhin 20 Dollar bezahlen muß. Aber irgendwoher muß das Geld für „Nummer vier“ ja kommen, also drücke ich auf c. „Richtig“, gratulierte der Computer. Auch die nächste Frage hat es in sich. „Warum gibt es Geschwindigkeitsbegrenzungen?“ „Nummer vier“ offeriert wieder drei Optionen, allesamt attraktiv: a) damit mehr Autos auf die Straße passen; b) um Sicherheit auf den Straßen zu gewähren; c) damit die Polizei leichter herausfinden kann, wer zu schnell fährt. Ich will erneut die c-Taste bedienen, weil's beim ersten Mal so gut geklappt hat, rutsche aber auf b ab. „Nummer vier“ strahlt mich wieder an: „Richtig“. Tückischer sind die Fragen nach den Parkregeln, weil im US-Stadtverkehr nicht das Fahren die Kunst ist, sondern das Stehenbleiben. Im Land des Automobils führen die Stadtverwaltungen eine mehr oder weniger subtile Strategie der Schikane zur Reduzierung des Stadtverkehrs, indem sie Parkplätze künstlich verknappen. Wer einmal einen gefunden hat, wird feststellen, daß dort nur Montag bis einschließlich Donnerstag bis 4.30 Uhr geparkt werden darf, es nach zwanzig Minuten Suchen aber 4.45 Uhr geschlagen hat. Die Unsitte, das Allerheiligste auf dem Radweg oder Bürgersteig abzustellen, existiert hier nicht, weil es erstens keine Radwege gibt und zweitens die Bürgersteige gerade breit genug sind, um den Beifahrer wieder ins Auto steigen zu lassen. Das alles ist noch harmlos im Vergleich zu New York, wo die Stadt bei der Beschilderung von Halte- und Parkverbotzonen zu drohenden Formulierungen greift. „Don't even think about parking here“ oder: „No standing, No parking, No kidding“ (Kein Halten, kein Parken, kein Witz). Wozu also ein Auto in der Stadt, wenn man nicht mehr rauskommt? Und wenn man deswegen gar nicht erst einsteigen will – wozu einen Führerschein? Weil die „Driver's Licence“ in den USA Ersatz für den Personalausweis ist. Weshalb es im „Bureau of Motor Vehicle Services“ auch einen Führerschein ohne Fahrerlaubnis gibt. Damit der Staat noch mehr Geld verdient.
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