: Die Kunst der Geraden
■ Der polnische Dichter Krynicki liest heute in Hamburg
Die Lebensläufe polnischer Dichter lesen sich mit ihrem Wechselspiel von Erfolg und Verbot, Freiheit des Wortes und Reglementierung desselben oft wie mühsam erlebte Achterbahnfahrten. Eines wird hier so viel deutlicher als in den gemäßigten Breiten des Westens: die enge Verknüpfung von Einzelschicksal und Politik, von Politik und künstlerischem Schaffen. Der Dichter Ryszard Krynicki macht da keine Ausnahme – und dies nicht nur, weil er 1943 im Lager Wimberg in Österreich geboren wurde, wo seine Eltern Zwangsarbeiter waren. 1966, gleich nach dem Studium der Polonistik in Posen, veröffentlichte er erste Gedichte. Zum Brotverdienst arbeitete er als Redakteur in Redaktionen, als Bibliothekar in Bibliotheken.
Das Jahr der großen Veränderungen kam 1968, als die Truppen des Warschauer Pakts in Richtung des sich frei fühlenden Prags rollten. Krynicki spiegelte jetzt die Empfindungen des Denkenden angesichts staatlichen Terrors.
Von der Niederschlagung des Prager Frühlings bis zur blutigen Beendigung der Danziger Arbeiterstreiks Ende 1970 – die Zeit war voll von staatlichen Brachialgesten. Die Zeit des lauen Frühlingswindes ging zu Ende, auch für die polnische Intelligentsia, in deren gesellschaftskritische, protestierende Abteilung Krynicki sich längst eingereiht hatte. Er gehörte jetzt zur „Neuen Welle“ der polnischen Literatur. „Ihr Konzept beinhaltete die Aufrichtigkeit der Kunst, die Unabhängigkeit des Denkens und die ungeschminkte Information“, schreibt Karl Dedecius, Krynickis.
Lyrik, so schrieb Dedecius auch, sei ein Psychogramm, ein „wahrheitsintensiver Bericht zur inneren Lage der Nation“. Für Krynickis Werk trifft dies zu: schnörkellos, geradeheraus, schlicht bis zum treffenden Mark sind seine Gedichte die unmerkliche Umsetzung von Tagespolitik in Allgemeingültiges. Das Bewußtsein von Unrecht, das Anklagende, er münzt es um.
Nachdem Krynicki von 1976 bis 1980 mit Druckverbot belegt war, ist er heute ein bedeutender Dichter in Polen. Und doch schrieb er 1981, als er eben wieder veröffentlichen durfte: „Ich konnte die Angst überwinden:/ ich habe die Loyalitätserklärung/ nicht unterschrieben/ – und doch bin ich frei. Frei?/ Die Stunde der Bewährung kommt erst.“ Thomas Plaichinger
19.30 Uhr, Zentralbibliothek
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