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Die Korsen wählen anders

One clan, one vote!  ■  Aus Ajaccio Alexander Smoltczyk

Die korsischen Morgenzeitungen hatten unlängst mit etwas Außergewöhnlichem aufzuwarten. Der französische Innenminister habe, so las ich in croissantgroßen Lettern, eine Reform des Wahlrechts angekündigt. Von nun an solle jeder Korse dort wählen, wo er wohnt.

Na und? Eine konstitutionelle Banalität, sollte man meinen, schließlich befinden wir uns nicht im 15. Jahrhundert, sondern im Departement eines Landes, das vor zweihundert Jahren in Sachen Wahlen allen anderen etwas vor machen konnte.

Und doch wird die Drohung des Ministers auf Seite 1 gemeldet und auf Seite 3 gleich noch mal. Ohne weitere Erklärungen, versteht sich, denn die Korsen wissen Bescheid und fragen nicht viel. Sie fragten auch damals nicht, als im ersten Parlamentswahlgang im Dörfchen Errone 39 von 51 Wahlberechtigten abstimmten - obwohl Errone nur einen einzigen Einwohner hat. Und als dieser im zweiten Wahlgang verhindert war, wurde im Dorf überhaupt keine Stimme abgegeben. Rätselhafte Insel.

„Ich hatte anfangs große Schwierigkeiten, meinen korsischen Erstsemestern klar zu machen, welche historische Bedeutung die geheimen Wahlen haben. Sie kannten so etwas einfach nicht“, seufzt Professor Michalon, der an der kleinsten Uni der Welt, der von Corte, Jura lehrt. Seine Insel sei, so die Theorie des Professors, noch in vordemokratischen Zuständen. „Vertikale Solidaritäten bildeten das insulare Rückgrat konkret: die Macht der Clans, all dieser Familien Rocca -Serra, Giacobbi, Casanova, die sich die Macht teilen.“ Pro Dorf immer Stücker zwei, das schafft klare Verhältnisse. Auch wenn ein Clanmitglied seit Jahrzehnten ausgewandert ist und längst in Paris, Marseille oder Quebec wählen geht, wird er auf den korsischen Wahllisten weiter aufgeführt - und mit ihm seine ganze in der Fremde angeheiratete Sippe. „Dadurch“, so Professor Michalon, „kann es zu nur für die Insulaner verständlichen Wahlergebnissen kommen, wie eben jenem von Errone.“

Der Clan ist alles. Er verteilt die vom Festland angeschwemmten Inselsubventionen und läßt keines seiner Mitglieder im Elend verkommen. Ein Grund übrigens, weshalb es keine korsischen Tagelöhner gibt - die schlecht bezahlten Arbeiten werden von Immigranten aus Nordafrika erledigt.

Damit jedes Clanmitglied, wo auch immer es stecken möge, weiß, was er zu wählen hat, läßt der Patron bisweilen praktische Annoncen wie diese erscheinen: „Monsieur Sylvestre, großer Kriegsinvalide 1939-1945, Kriegskreuz mit Palme, Ritter der Ehrenlegion, ehemaliger Gemeinderat von Porto-Vecchio, verpflichtet alle seine Angehörigen und alle seine Freunde, aktiv die Liste Nationalistische Einheit zu unterstützen.“ So geschehen anläßlich der vorletzten Regionalwahlen in der Zeitung 'U Ribombu‘.

Die angedrohte Wahllistenreform, von der die Morgenzeitungen so ausführlich berichten, ist also keine Reform - sie kommt einer Revolution gleich. Und damit ist fast auszuschließen, daß sie jemals verwirklicht wird. Wie sagte ein anderer Korse, der ehemalige Innenminister Charles Pasqua? „Um auf Korsika die Demokratie einzuführen“, bräuchte es „sechs Jahre Wahlverbot und einen starken Prokonsul“. Mit Namen Bonaparte?

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