Die Kleinen: Die große Käseverschwörung
■ Die „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“ fühlt sich verfolgt und verleumdet
Betrüger, Antisemiten und Neonazis hat man sie genannt. Eine Polit-Sekte, die mit dem Ku- Klux-Klan verstrickt sei. Akribisch dokumentiert eine kleine Broschüre der „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“ angebliche Diffamierungskampagnen. Die Palette der „Verleumder und Lügenrecycler“ reicht von Antifa- Blättern über taz, SZ und Spiegel bis zu Gewerkschaften, Kirchen und Junger Union. Die Partei, die als Nachfolgeorganisation der „Europäischen Arbeiterpartei“ gilt, läßt nicht locker. Vier Direktkandidaten will sie jetzt ins Abgeordnetenhaus schicken.
Landesvorsitzende Monika Hahn läuft von Tür zu Tür, um ihre Botschaft zu verbreiten: Eine neue Weltordnung muß her, dann lösen sich Berlins Probleme wie von selbst. „Riskante Spekulationsgeschäfte“, warnt die ehemalige Erzieherin, setzen „unser aller Wohl und Wehe aufs Spiel“. Derivatgeschäfte, Währungs- oder Nahrungsmittelspekulation gefährden ihrer Ansicht nach die Menschheit. Dunkle Hintermänner aus internationalen Getreidekartellen kaufen „unsere Nahrungsmittel“ auf, EU-Normen und Umweltschutz gefährden die Existenz deutscher Bauern. Irgendwann, so das düstere Horrorszenario, werden wir in Europa nichts mehr zu essen haben. Verantwortlich für die mafiaartige Verschwörung sei eine diffuse Ansammlung von US-Politikern, Bankern und Börsenbrokern, unter ihnen der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, der Milliardär George Soros und die Unternehmerfamilie Dreyfuss. Zufall, daß sie alle Juden sind?
Abenteuerlich geht's auch beim Umweltschutz zu. Greenpeace, meinen die „Bürgerrechtler“, stehe als Abkömmling des World Wildlife Fund in direkter Erbfolge zu den Nazis, mit denen die WWF-Gründer zusammenarbeiteten. Und „den größten Völkermord aller Zeiten“ begehen angeblich Umweltschützer in der Dritten Welt, weil sie „Projekte sabotieren, die Hunger und Armut bekämpfen“.
Statt in Berlin den Autoverkehr einzudämmen, will Monika Hahn lieber einen Transrapid nach Moskau, Wladiwostok und Peking bauen. Eine „eurasische Landbrücke“ soll so entstehen und Osteuropa durch „Infrastrukturgroßprojekte“ erschlossen werden. Lebensraum im Osten? Ach was, Frieden durch Entwicklung heißt das.
Ausgedacht hat sich die abstrusen Theorien der US-Amerikaner Lyndon LaRouche. Der ehemalige Trotzkist, der Martin Luther King, Wilhelm von Humboldt und Mahatma Gandhi zu seinen Zeugen aufruft, gründete laut Sekten-Lexikon die rechtsextreme U.S. Labour Party (USLP). Vor kurzem wurde der schillernde Weltverbesserer aus dem Gefängnis entlassen. Wegen Steuerhinterziehung und Kreditschwindels hatte man ihn zu fünfzehn Jahren, seinen engsten Berater zu siebenundsiebzig Jahren verknackt. Auch das sei eine Verschwörung, beteuern die Anhänger.
Über zwanzig Organisationen hat LaRouche allein im deutschsprachigen Raum gründen lassen. Aussteiger berichten von Abhängigkeitsstrukturen und paranoider Abschottung gegen die Außenwelt. Neben dem „Schiller-Institut“, dem „Verband der Landwirte“ oder der „Privaten Akademie für Humanistische Studien“ will die „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“ jetzt ganze „Wissenschaftsstädte“ aufbauen. Wenn nicht wieder eine Verschwörung dazwischenkommt. Constanze v. Bullion
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