: „Die Kleinen gehen um sechs“
■ Besetzer des Jugendheims Vahr kämpfen wohlorganisiert für „coolen“ Betreuer
Aufstand in der Vahr. Martin, „der Coolste“ soll gehen. Das treibt die Kids aus dem Jugendfreizeitheim an der Bispinger Straße auf die Barrikaden. Sie haben das Haus seit vergangenem Donnerstag besetzt und sind wild entschlossen, solange auszuharren, bis die Stelle ihres Lieblings-Betreuers Martin Hennig verlängert wird.
Wenn heute die Ferien vorbei sind, wird es ernst. „Bisher dachten die wohl, daß wir jetzt aufgeben“, sagt Halil (17) einer der Wortführer der etwa 30 Besetzer im Alter zwischen elf und 19. Aber unter den Kumpels sind einige, die nicht mehr in die Schule gehen und am Vormittag die Wacht übernehmen. Das muß sein, denn die Jugendlichen haben zwar „das erste Mal ein Haus besetzt“, sind aber durchaus konsequent: Betreuer sind ausgesperrt, Schlüssel im Besitz der Kids und am Freitag haben die Jungs mit sanfter Gewalt eine Töpferei-Dozentin rausgeschmissen. Doch im Haus herrscht Ordnung: Wir sind wie eine Familie, kochen zusammen und spielen, sagt Tuna (17). Die Kleinen würden um 18 Uhr nach Hause geschickt, damit sich die Eltern keine Sorgen machen müssen. Anja (11), Melanie (11) und Tatjana (13) malen Plakate: „Martin muß bleiben, denn er ist voll cool“.
Über die Besetzung haben die Jugendlichen nach einer Osterfahrt mit Martin nach Nordloh bei Bad Zwischenahn entschieden. Da haben sie erfahren, daß die dreijährige Vertretungsstelle für Martin Hennig am 30. April ausläuft und nicht wieder besetzt werden soll. Vorher hatte Henning zwei Jahre als Honorarkraft die Holzwerkstatt betreut.
Nach einem kleinen Tip ihrer Betreuer haben die Jugendlichen Briefe an Bürgermeister Henning Scherf (SPD), Senatorin Tine Wischer (SPD) und die SPD-Jugendpolitikerin Steinhöffel aufgesetzt. Aber den Jungs ist klar: Sowas lesen Politiker sowieso nicht. Also stiften sie lieber Unruhe, indem sie Behindertengruppen und Hortkinder aussperren. Denn dann müsse das Jugendamt tätig werden und Ersatzräume suchen, sagt Erkan (16).
Für den umjubelten Pädagogen kommt der Aufstand seiner Schützlinge nicht überraschend. Zu gut sei sein Verhältnis zu den Jugendlichen, wohl auch, weil er als einer der wenigen Sozis nicht mit dem erhobenen Zeigefinger herumlaufe, sagt Hennig. Bei seinem Freitag-Abenddienst lasse er die Parties schon mal länger laufen. Er habe den Medienpool gegründet und mit den Kids in der Holzwerkstatt des benachbarten Arbeitslosen-Projekt BRAS Möbel für Schulcafeterias geschreinert. Im Stadtteil steht man hinter ihm und den Besetzern, glaubt Hennig. Der Fall „Martin“ und die Stellensituation im Jugendfreizeitheim wurde schon im Beirat und in der Stadtteil-Delegiertenkonferenz behandelt. Auch die Polizei habe den jungen Besetzern Glück gewünscht, berichtet der „coolste Betreuer der Welt“. jof
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