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Die Kleidung der Frauen

Anerkennung Die Fotografin Beate Passow hat den Gabriele Münter Preis 2017 für Künstlerinnen über 40 bekommen. Zusammen mit 19 Kolleginnen stellt sie in der Akademie der Künste am Hanseatenweg aus

Autobahnraststätte, aus der Serie „Picknick in Persien“ von Beate Passow 2012 Foto: Gabriele Münter Preis

von Katrin Bettina Müller

Als sie vor 17 Jahren alleine nach China reiste, war das für die Münchner Künstlerin Beate Passow eine ungewöhnlich befreiende Erfahrung. Alles ging gut, sie traf alte Damen, die noch als Letzte die Einschnürung ihrer Füße erfahren hatten, und porträtierte die stolzen und anmutigen Greisinnen. „Ich hatte das Gefühl, die Welt stand mir offen“, sagt die 1945 geborene Künstlerin über diese Reise. Später besuchte sie Pakistan und Iran, darauf beziehen sich die fotografischen Arbeiten, die nun in der Akademie der Künste zu sehen sind.

Freiheit der Bewegung

Immer geht es dabei um Frauen, ihre Kleidung, ihren Bewegungsspielraum in der Öffentlichkeit. Die selbst erfahrene Freiheit der Bewegung wurde für Passow zu einer Antriebskraft und zum Motiv ihrer fotografischen Arbeiten. Beate Passow hat den Gabriele Münter Preis 2017 erhalten. Mit diesem Preis wird eine Künstlerin, die die 40 Jahre überschritten hat, für ihr Werk ausgezeichnet. Über 900 Künstlerinnen haben sich beworben, 19 von ihnen, ausgewählt von einer Jury, stellen mit der Preisträgerin zusammen aus. Künstlerinnen über 40 werden selten gefördert, obwohl sich ihre professionellen Wege oft verzögern, durch die Notwendigkeit zum Nebenerwerb oder durch die Familie. 1994 wurde der Preis zum ersten Mal vergeben, konzipiert von Marianne Pitzen, Gründerin und Direktorin des Frauenmuseums Bonn, unterstützt durch den BBK (Bundesverband Bildender Künstler und Künstlerinnen), die Gedok, die seit bald 100 Jahren Künstlerinnen fördert. Das Bundesministerium für Familie, Frauen und Jugend fördert das Projekt finanziell, etwa mit dem Preisgeld von 20.000 Euro. Die letzte Vergabe war vor sieben Jahren; das heißt, die Lobbys der Künstlerinnen müssen noch immer Überzeugungsarbeit leisten, damit es weitergeht. Zuletzt hatte 2016 eine Studie des Kulturrates wieder gezeigt, dass Künstlerinnen auch weiterhin häufiger als ihre männlichen Kollegen äußerst prekär arbeiten.

Die zehnköpfige Jury schätzt an Beate Passow die politische und historische Dimension ihrer Arbeit. Ausgestellt ist ihre jüngste Serie „Wanted“, die sie nach dem Terroranschlag auf das Bataclan in Paris begann. Sie suchte eine Spur der Geschichte des Terrors, seines Eingriffs in den Alltag und entschied sich für Fahndungsplakate, die sie teils noch aus der RAF-Zeit in Erinnerung hatte.

Passow hat diese Plakate in Originalgröße nachsticken lassen. Sie umfassen einen Zeitraum von 1947 bis heute, die Vorlagen stammen aus Palästina, der Bundesrepublik, Japan, Frankreich, den USA. Ihre visuellen und sprachlichen Informa­tionen erzählen jeweils über den Fahndungszweck hinaus über den Gedankenhorizont ihrer Zeit. Die Sticktechnik nimmt zudem Bezug auf den privaten Schutzraum, in den die Gewalt hineinragt.

Den Rückzugsort des Privaten mit öffentlichen Bildern des Schreckens zu verbinden findet sich auch bei anderen der ausgewählten und ausgestellten Künstlerinnen. Etwa bei Rose Stach, die einen Orientteppich schwarz übermalt und nur die Konturen eines Panzers ausspart. Ein Wohnzimmer ist auch Schauplatz in einer Videoarbeit von Corinna Schnitt. Zwischen Sofa, Kamin und Bücherregal begegnet man überraschend Ferkeln, Eseln, Ziegen und Enten, die an Topfpflanzen knabbern, über Möbel klettern, aus dem Aquarium trinken. Der Kamerapunkt ist niedrig, oft geht der Blick durch die Beine der Huftiere. Es ist eine vergnügliche Verkehrung der Verhältnisse, ein friedliches Spiel mit Sehnsüchten, das auch den Abstand zwischen dem vom Menschen gemachten Raum und seinem Hunger nach draußen bespielt.

Gespür für Reduktion

Zum ersten Mal sind, seit es den Gabriele Münter Preis gibt, auch Originale der namensgebenden Künstlerin ausgestellt, darunter Fotografien von 1899, als die damals 19-jährige Verwandte in den USA besuchte. Das Gespür für Reduktion und grafische Linien, das später Landschaften und abstrakte Kompositionen der Malerin auszeichnete, zeigt sich da schon. Dieser kleine Exkurs in die Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellt aber auch eine gute Verbindung zu den Künstlerinnen der Gegenwart her und ihrer Orientierung in einer globalisierten Welt. Der Anlass der Gruppenausstellung ist der Preis und der Wunsch nach mehr Anerkennung für die Künstlerinnen. Es ist nicht einfach, aus einem solchen Anliegen eine Ausstellung zu machen. Angela Lammert von der Akademie der Künste hat es geschafft, eine spannende Auswahl zu treffen; ein Katalog hilft zudem, noch etwas mehr über die Künstlerinnen zu erfahren.

Akademie der Künste am Hanseatenweg, Di.– So. 11–19 Uhr, bis 17. April

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