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Archiv-Artikel

Kucken Sie mal: Auf Bremens Leinwänden „Die Kinder sind tot“ von Aelrun Goette

Der Film erspart uns die Bilder der toten Kinder, von den ausgetrockneten Leibern des zweijährigen Kevin und des dreijährigen Tobias. Die brutalste Einstellung ist stattdessen jene, in der Daniela Jesse den Gerichtssaal betritt und die Auslöser der Fotografen wie die Beißwerkzeuge einer Meute von Raubtieren klingen, die nach der verhüllt an ihnen vorbeihuschenden Frau schnappen.

1999 ließ die damals 23-Jährige ihre Kinder in einer Plattenbauwohnung in Frankfurt/Oder verdursten. 14 Tage lang war sie mit ihrem Freund zusammen, hatte die Kinder ohne Essen und Trinken eingeschlossen. Die Dokumentarfilmerin Aelrun Goette hat zwei Jahre nach der Tat das Vertrauen der Verurteilten so weit gewonnen, dass diese sich für von ihr befragen ließ, hat Gespräche mit Nachbarinnen und ehemaligen Freundinnen geführt, während die beteiligten Männer sich weigerten, mit ihr zu reden.

Goette ist in die Siedlung Neuberesinchen gefahren und hat die dortige Stimmung in deprimierenden Bildern eingefangen. Man wird schnell von dem Gefühl beschlichen, dass hier nichts Gutes wachsen kann. Dass hier zwar nicht das Böse, dafür aber das Banale herrscht, und dieses ist mindestens ebenso zerstörerisch.

Auch Daniela Jesse hat nichts Dämonisches an sich und wirkt deshalb nur um so erschreckender. Sie hatte zu früh zu viele Kinder bekommen, war heillos überfordert und Alkoholikern. Goette bewegt sich hier auf einem schmalen Grad. Je tiefer sie in die Verhältnisse eindringt, desto mehr treten die toten Kinder in den Hintergrund. Das letzte Drittel des Films besteht fast nur aus Gesprächen mit Daniela und ihrer Mutter, die sich nicht nur äußerlich frappierend ähneln – wenn man hört, wie kaltherzig die Mutter über ihre Tochter redet, ahnt man, wie wiederum deren Verhältnis zu ihren beiden Söhnen gewesen sein könnte.

Jesse wird nicht zum Opfer. Aber es fällt immer schwerer, über diese Frau zu urteilen. Einige Kritiker meinen, Goette habe zu viel Nähe zur Täterin entwickelt, der Film schaue „am Leid der Kinder vorbei“. Doch deren Martyrium ist so allgegenwärtig, dass diese Gefahr nie besteht. Und wenn Goette filmische Distanz zu den Opfern schafft, ist dies auch bitter nötig – wenn sie deren Leid noch intensiver ausgemalt hätte, wäre der Film kaum noch zu ertragen gewesen. Wilfried Hippen

Ab heute bis Dienstag täglich um 20.30 Uhr im Kino 46