Die Kids schauen in die Röhre

Die Versorgung von behinderten und entwicklungsgestörten Schulkindern ist nur noch bis Ende März gewährleistet. Krankenkassen wollen an Ambulanzen sparen. Senat will nicht mehr Geld geben. Eltern befürchten „Therapie-Tourismus“

von ANTJE LANG-LENDORFF

Die Versorgung von knapp 3.000 behinderten und entwicklungsgestörten Schulkindern und Jugendlichen in Berlin ist ab Anfang April nicht mehr gewährleistet. 13 von 20 so genannten Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ), in denen insgesamt über 12.000 Kinder jährlich gefördert werden, haben nur noch bis Ende März eine Ermächtigung für ihre Arbeit. Die Kassen wollen den bisher von ihnen getragenen Anteil an den Kosten reduzieren. Nur die Behandlung von Kindern, die noch nicht im Schulalter sind, wird in den Sozialgesetzen von 2001 geregelt. Die Älteren fallen in Zukunft möglicherweise raus.

In den SPZ können unter der Leitung von Kinderärzten behinderte und entwicklungsgestörte Kinder und Jugendliche je nach Bedarf von Physiotherapeuten, Logopäden, Psychologen, Heilpädagogen oder Ergotherapeuten behandelt werden. Die 15 ambulanten Sozialpädiatrischen Zentren in Berlin, die nicht an ein Klinikum angegliedert sind, decken einen Großteil der Berliner Versorgung in den Bezirken ab. Wenn ein niedergelassener Arzt einem Kind oder einem Jugendlichen eine Therapie verschreibt, die über seine Behandlungsmöglichkeiten hinausgeht, überweist er es an das nächstgelegene Zentrum.

Seit der Gesundheitsreform von 1988 gibt es SPZ flächendeckend in ganz Deutschland. Die Finanzierung war allerdings von Anfang an umstritten. Für die ambulanten SPZ übernahmen nach Angaben der Zentren die Krankenkassen bisher pauschaliert etwa 30 Prozent der Kosten. Die restlichen 70 Prozent steuerte das Land bei. Trotz der schlechten finanziellen Lage der Stadt blieben die Zentren bis jetzt vom Rot-Rot-Stift des Senats verschont.

Seit Dezember stellen sich nun jedoch die Krankenkassen quer – gegen den Einspruch von Kinder- und Jugendärzten. „Im Interesse unserer Beitragszahler müssen wir überprüfen, ob wir tatsächlich für die Leistungen aufkommen, für die wir auch zuständig sind“, erläutert Gabriele Rähse von der AOK für die Berliner Kassen. Nach dem 2001 von der Bundesregierung erlassenen Sozialgesetzbuch IX müsste die Finanzierung neu geklärt werden. Die Kassen bewirkten daher, dass die auslaufenden dreizehn Ermächtigungen nur bis Ende März verlängert wurden.

Senat, SPZ-Vertreter und die Krankenkassen tüfteln derzeit gemeinsam mögliche Szenarien aus, wie die Kosten in Zukunft verteilt werden könnten. Das Land kann und will nicht mehr zahlen. Vertreter aller Seiten betonen aber, die Verhandlungen liefen konstruktiv. Im April wird zudem Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) zur Orientierung eine Verordnung in den Bundesrat einbringen, in der sie den Ländern eine prozentuale Aufteilung der Kosten empfiehlt.

Der Haken an der Sache: Im Sozialgesetz IX ist nur die Frühförderung festgeschrieben. Ältere Kinder, die bereits in die Schule gehen, fallen aus dem Arbeitsbereich der Kinder- und Jugendambulanz-SPZ heraus und können daher nicht finanziert werden. „An dieser Stelle wollen die Kassen ansetzen. Hier sehen sie die Möglichkeit, ein Drittel ihres Anteils an den Kosten zu sparen“, schätzt Peter Keller, Sprecher des SPZ-Landesverbandes.

Die Eltern befürchten nun, dass sie in Zukunft mit den älteren Kindern von einer Praxis zur nächsten rennen müssen – eine Art „Therapie-Tourismus“. „Besonders die sozial schwachen Familien machen das nicht mit, ihre Kinder bleiben dann wieder auf der Strecke, obwohl sie die meiste Förderung benötigen“, meint Ulf Bauermeister, dessen achtjähriger, behinderter Sohn in ein Kreuzberger SPZ geht. Zusammen mit anderen Eltern aus Hellersdorf und Lichterfelde will er daher seinen Protest öffentlich machen. „Wenn nötig, statten wir den Kassen mit den Kindern einen Besuch ab, damit die Verantwortlichen dort sehen, was und über wen sie eigentlich entscheiden.“