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Die Kandidaten für das Schloss BellevueDie große Castingshow

Konsensfähig soll er sein, nicht zu jung, nicht zu parteiisch, aber dafür präsidiabel: Wer wird das neue deutsche Staatsoberhaupt? Diese Herren (Durchschnittsalter 71,3 Jahre) gelten als Favoriten.

Wer zieht ins Schloss Bellevue ein? Bild: dpa

Der Überschätzte

"Ich habe mich", so Joachim Gauck, "mein ganzes Leben nach Freiheit gesehnt." Genau dieses biografisch beglaubigte Nein zu autoritärer, staatlicher Gängelung schätzt das konservative Bürgertum an Gauck. In der DDR war der Rostocker Pastor kein Oppositionsheld, er stand aber dem Regime stets distanziert gegenüber.

Seine öffentliche Karriere begann 1989 im Neuen Forum in Rostock, 1991 wurde er Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde. Kritiker warfen ihm vor, Medien wie den Spiegel bevorzugt mit Informationen zu versorgen und sich selbst zu sehr in den Vordergrund zu spielen. Unbestritten ist jedoch sein Verdienst, die Akteneinsicht für Betroffene verteidigt zu haben.

Joachim Gauck (72), Exchef der Stasi-Unterlagen-Behörde. Bild: dpa

Gaucks politisches Denken ist von der DDR und der Wende geprägt, sein Verständnis von Freiheit kann als etwas einseitig bezeichnet werden. In Protesten gegen Hartz IV erkennt er nur den Ruf nach einem fürsorglichen Staat. Die Occupy-Bewegung, so Gauck kürzlich altväterlich, sei "unsäglich albern". Die Freiheit, die er meint, ist stets nur durch Politik und Staat bedroht.

Dass entfesselte Finanzmärkte die Grundfesten der Demokratie gefährden können, spielen in seinem von politischem Antitotalitarismus geprägten Denken keine Rolle. Die Debatte über die wachsende soziale Spaltung bezeichnete er 2010 mal als "populistisch, ja demagogisch".

Es sind diese Kurzschlüsse, die ihn zur Leuchtfigur für Wirtschaftsliberale machen. Manche Sozialdemokraten, die ihn 2010 taktisch nominierten, um Merkel in Verlegenheit zu bringen, zweifeln heute hinter vorgehaltener Hand, ob er ein guter Präsident wäre. Die Vorstellung, dass er jeden zaghaften Versuch einer rot-grünen Bundesregierung, die Macht der Märkte zu begrenzen, kritisieren wird, hat etwas Abschreckendes.

Gauck ist ein eloquenter Redner. Sein Satz über die DDR in der Wendezeit: "Wir träumten vom Paradies und wachten auf in Nordrhein-Westfalen" zeigt Formulierungskunst. Sein Malus als Bundespräsident wäre eine Neigung zur Eitelkeit. In Interviews sagt er oft und gern "Ich". Ob Gauck, der den Gestus des Elitären, Besserwisserischen pflegt, durch kluge Reden das ramponierte Amt des Bundespräsident aufwerten wird, ist offen.

Würde er sein Ego der präsidialen Rolle unterordnen? Einmal ist er an seinem überbordenden Ego schon gescheitert. 2001 moderierte er eine TV-Talkshow. "Es dient einem solchen Format in der Regel nicht, wenn der Gastgeber fast genauso lange redet wie sein Gast", bemerkte die SZ. Die Quote war mies und der Star des Abends immer - Joachim Gauck. STEFAN REINECKE

Der Moralische

Sollte Wolfgang Huber, der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), das deutsche Staatsoberhaupt werden, entspräche das fast einer Familientradition. Der Großvater mütterlicherseits, Walter Simons, nahm als Präsident des Reichsgerichts nach dem Tode von Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) 1925 gemäß der Verfassung dessen Aufgaben wahr – allerdings nur für zwei Monate bis zur Vereidigung Paul von Hindenburg.

Wolfgang Huber (69), Exbischof, möglicherweise SPD-Mitglied. Bild: dapd

Hubers Vater, Ernst Rudolf Huber, war wie Sohn Wolfgang heute gut bekannt mit dem früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Und als Horst Köhler Ende Mai 2010 überraschend zurücktrat, wurde Wolfgang Huber erstmals als Nachfolger gehandelt.

Es ist keine Frage, dass Huber das Amt kraft seiner rhetorischen Begabung und seines scharfen Intellekts ohne Probleme ausfüllen könnte. Auch der Ruf des 69-jährigen Theologen ist tadellos. Der überaus fleißige Huber war eine Art Wunderkind der Theologie.

Als stellvertretender Leiter der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg, als Professor für Theologie dort und in Marburg und als Kirchentagspräsident galt Huber lange als ein führender "Linksprotestant". Huber profilierte sich als Gegner der Nato-Nachrüstung. Anfang der 90er Jahre stand er vor einer Bundestagskandidatur für die SPD, zog dann aber das Bischofsamt in Berlin vor.

In dieser Funktion ist er "nachgedunkelt", wie ein schöner kirchlicher Begriff lautet. Die Kirchenleitung unter Huber verordnete seiner Ost-West-Kirche einen harten Sanierungskurs. Grüne verprellte er, weil er sich kritisch über einen EU-Beitritt der Türkei äußerte. Andererseits hat er Thilo Sarrazins antiislamische Thesen so brillant auseinandergenommen wie kaum ein anderer Intellektueller.

Der Sozialethiker Huber hat 2004 das Arbeitslosengeld II anfangs so verteidigt: "Als Grundsicherung wird das zurzeit ausreichen müssen." Andererseits hat er den Noch-Deutsche-Bank-Chef Ackermann wegen seiner Gewinnziele ("Götzendienst") schärfer und mutiger angegriffen als viele Politiker.

Aber ist Wolfgang Huber überhaupt SPD-Mitglied? Einerseits ist er aus der Partei ausgetreten, da sein Landesverband ihm nach seinem Amtsantritt als Bischof mitteilte, eine ruhende Mitgliedschaft gebe es nicht. Andererseits bat ihn daraufhin der damalige Bundesgeschäftsführer der SPD, Günter Verheugen, seine Mitgliedschaft als ruhend zu betrachten. So richtig dazugehört Wolfgang Huber eben nirgendwo. PHILIPP GESSLER

Der Flexible

Dass er eines Tages von Grünen und SPD als Bundespräsident akzeptiert würde, während ausgerechnet die FDP Vorbehalte anmeldet - das hätte sich Klaus Töpfer vermutlich nicht träumen lassen, als er 1987 von Helmut Kohl als zweiter Umweltminister der Republik berufen wurde.

Klaus Töpfer (73), Exumweltminister unter Kohl. Bild: imago/Müller-Stauffenberg

Für die SPD war der Mann, der kurz nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl für die Wiederinbetriebnahme des AKW Mühlheim-Kärlich kämpfte, ein "geschickter Windmacher und Nebelwerfer" mit "viel Begabung, auf sich aufmerksam zu machen".

Die Grünen erklärten bald darauf, Töpfer sei "in wichtigen Bereichen gescheitert". PR-Aktionen wie Töpfers berühmter Sprung in den Rhein änderten an dieser Einschätzung ebenso wenig wie sein Wechsel ins Bauministerium im Jahr 1994: Er galt als jemand, dem Machtfragen mindestens ebenso wichtig wie Sachfragen waren.

Auf parteiübergreifende Anerkennung stieß Töpfer erst, als er 1998 aufs internationale Parkett wechselte. Als Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep) in Nairobi kämpfte er acht Jahre lang für Fortschritte im internationalen Klima- und Artenschutz - und verwandelte die zuvor eher irrelevante Behörde zu einem gewichtigen internationalen Akteur.

Den Themen Umwelt und Entwicklung blieb er auch nach Ende seiner Amtszeit treu: Als Gründungsdirektor eines neuen Spitzenforschungsinstituts, des Institute for Advanced Sustainability Studies, in Potsdam koordiniert er seit 2009 Arbeiten zu Klimawandel und nachhaltiger Wirtschaft; zudem ist er seit 2008 Vizepräsident der Welthungerhilfe.

Zurück auf die Bühne der deutschen Politik kehrte Töpfer vor knapp einem Jahr, als die Kanzlerin ihn nach dem GAU in Fukushima an die Spitze der Ethik-Kommission setzte, die über die Zukunft der Atomkraft in Deutschland entscheiden sollte. Und Töpfer, der als Umweltminister einen Ausstieg noch für "nicht durchsetzbar" erklärt hatte, zeigte, wie sehr er sich von seiner Partei emanzipiert hat: Er drückte ein Konzept für einen Atomausstieg innerhalb von zehn Jahren durch.

Dass Töpfer als Professor für Volkswirtschaft nicht nur zur Umwelt-, sondern auch zur Finanzkrise etwas zu sagen hat, könnte ein weiterer Pluspunkt für den international geachteten Experten sein. Doch auch hier könnte seine Unabhängigkeit zu seinem Makel werden: Seine Vorstellung, Klima- und Wirtschaftskrise mittels eines "Green New Deal" gemeinsam zu lösen, stößt bei den Grünen zumindest auf mehr Begeisterung als bei der FDP. MALTE KREUTZFELDT

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15 Kommentare

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  • H
    hans

    ein ist klar: stefan reincke ist selbst ein besserwisser

  • T
    T.V.

    Wozu ein Präsident? Solln sie doch die lebenslangen Präsidenteneinkünfte lieber in soziale Einrichtungen stecken. Damit ist vielen mehr geholfen als mit einer weiteren Marionette von Wirtschafts- und Machtinteressen.

  • A
    anke

    Jetzt weiß ich, wieso es "Qual der Wahl" heißt.

     

    Wieso nur erinnern mich die hier vorgestellten Kandidaten an die aktuelle Entscheidung von Herta BSC, Otto Rehagel als Trainer zu verpflichten? Zwei Kirchenmänner und ein lange abgetauchter Exminister – die Personaldecke scheint ja ganz schön dünn zu sein, wenn unbedingt ein Saubermann her soll...

     

    Dass man zwei Ex-Pfarrer für glaubwürdiger hält als jeden amtierenden Politprofi, finde ich im Übrigen bemerkenswert. Wird wohl so ein Berater-Ding sein. Die haben ja seinerzeit auch behauptet, das Volk stünde auf Adel. Wir waren schon mal weiter auf dem Weg in Richtung Laizismus und Demokratie, scheint mir. "Back to the roots" ist ja nicht unbedingt als Fortschrittsmodell verschriehen. Aber he, Krieg, Unterdrückung und Menschenverachtung sind ja auch keine. Trotzdem erleben sie gerade einen Boom. In sofern geht das mit den Popen schon in Ordnung. Sollten die Knaben ihre neu verliehene Macht spürbar missbrauchen, kann nachher wenigstens niemand mehr unwidersprochen behaupten, öffentlich hergezeigtes Gottvertrauen sei eine wirksame Medizin

     

    Was Klaus Töpfer angeht, wüsste ich nicht, wieso es ausgerechnet bei ihm nichts zu finden geben sollte, wenn man nur weit genug zurück geht im Kalender. Vielleicht sollten die Medien also besser Töpfer unterstützen als Gauck oder Huber. Den werden sie im Ernstfall vermutlich deutlich leichter wieder los. Die Kirchen, denke ich, verstehen sich noch immer sehr viel besser aufs Schweigen als jede Politik.

  • L
    low&order

    zu E.R.Huber empfohlen:

     

    http://books.google.de/books?id=aC74iwpW4lEC&pg=PA119&lpg=PA118&ots=_5sbh8QGQr&dq=E.R.Huber&hl=de&output=html_text

     

    Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches:

    S. 231:" Die im Weimarer Staat gegebene ' Teilung der Gewalten' ist im völkischen Reich durch die Einheit der Führergewalt überwunden worden".

    Noch Fragen?

    E.R.Huber hatte m.W.nach dem Krieg auch Lehrverbot.

  • VZ
    Vorschlag zur Güte:

    OTTO REHAGEL!

    Er hat das richtige Alter (etwas über 70), ist Träger des Bundesverdienstkreuzes, kann das Team führen wie kein Zweiter und in der heutigen Zeit besonders wichtig: Er kann gut mit den Griechen! (Ehrenbürger der Stadt Athen).

    Nach Berlin will er ja nun so oder so! (bisher zu Hertha BSC) ;o)

  • WW
    Wendelin Wuff

    Wer seinen Bürger kackfrech erlaubt mit ihrem Blech den Planet ins totale Chaos zu stürzen, braucht eh keinen Präsi.

  • BW
    B. Wallis

    Ihren Kommentar hier eingeben

    Höchste Zeit, dass eine Frau die (Alt)herrenriege ablöst!

  • S
    swilly

    Ich will keinen Monotheisten als Bundespräsident! Weder den Pastor Gauck, der die Occupy-Bewegung verhöhnte, noch diesen ehemaligen Berliner Bischof, der Religioten-Unterricht in öffentlichen Berliner Schulen wollte.

  • H
    herbert

    Die meisten Leute die Gauck favorisiern wissen nicht wofür dieser steht, sie haben das in den Medien präsentierte Bild übernommen und es versäumt sich ein eigenes Bild zu machen. Auch dieser Artikel bringt leider kein Licht auf die dunklen Seiten von Gauck -schade.

     

    Gauck ist ein Neoliberaler üblster Sorte, er befürwortet Wirtschaftskriege als ehemaliger Pfarrer sousagen ein Maschinengewehr Gottes, ist glühender Agenda-Verfechter, lehnt Volksabstimmungen ab und hält die Ocupy-bewegung für albern und wird gewiß den "Matthäus-Effekt" fördern.

  • G
    GWalter

    WAS MAN ÜBER GAUCK WISSEN SOLLTE

     

    Doch eine „kleine“ Äußerung sollte alle abhängig Beschäftigten, Hartz IV - Empfänger und aktuelle Rentenbezieher aufhorchen lassen. Am 07. Juni 2010 stellte Joachim Gauck die Grundwerte unser sozialen Sicherungssysteme unter Generalverdacht.

     

    Zitat Auszüge / Welt - Online:

     

    „Wir stellen uns nicht gerne die Frage,

     

    ob Solidarität und Fürsorglichkeit nicht auch dazu beitragen, uns erschlaffen zu lassen.

     

    Als Gerhard Schröder einst die Frage aufwarf, wie viel Fürsorge sich das Land noch leisten kann,

     

    da ist er ein Risiko eingegangen. Solche Versuche mit Mut brauchen wir heute wieder“.

     

    Zitat Ende.

     

    Damit stellte sich der vorgebliche Kandidat der Herzen glasklar auf die Seite der Sozialstaatvernichter und Befürworter der Agendapolitik. Denn wer Hartz IV, Aufstockertum, Leiharbeit und die Riester - Rente befürwortet, der outet sich als Feind unserer Gesellschaft, quasi der Mehrheit.

     

    Ein solcher Bundespräsident würde weitere hinterlistige, bösartigere Kürzungen im Sozialstaat mit einem Lächeln unterschreiben. Wer mehr Freiheit für die Eigeninitiative in seinen Fokus stellt, „DER“ gehört eindeutig ins Lager der Neoliberalen.

  • G
    Gerda

    Also meinen spontanen Kommentar kann ich hier leider nicht noch einmal wiederholen. Er ist beim Abschicken wohl verloren gegangen.

     

    Kurz: Ich bin für Wolfgang Huber! Alles Wissenswerte und Wesentliche kann auch zusätzlich in "Wikipedia" nachgelesen werden. Der Mann ist in Ordnung.

  • G
    Gerda

    Ich bin für Wolfgang Huber!

     

    Alles Wissenswerte und Wesentliche kann über den Mann in "Wikipedia" nachgelesen werden. Das ist positiv.

     

    Der Mann ist ethisch, moralisch und demokratisch in Ordnung. Er kann und wird das Amt des Bundespräsidenten völlig überparteilich und getreu der deutschen Demokratie und Verfassung ausüben können, nur seinem aufrichtigen und erfahrenen Gewissen folgend, ganz gemäß dem Eid, den er zu schwören hat.

     

    Er wird sicher das Vertrauen in die Politik zurückbringen können, das immer mehr am Schwinden ist, und das Amt mit Anerkennung und Respekt ausfüllen, sowohl nach innen als auch nach außen.

     

    Mit den Ambitionen und dem Charakter dieses Mannes könnte eine wirklich sehr breite Mehrheit der Bevölkerung überzeugt werden und zustimmend sein.

     

    Klaus Töpfer hat seine Lebensaufgabe gefunden und will daher nicht. Kann ich voll verstehen. Joachim Gauck dagegen traue ich nicht über den Weg, weil der ein "Wackelpudding" ist und dem Glamour der Eliten zu sehr erliegt und hofiert.

  • LK
    Lars Krause

    Das sind doch alles keine Alternativen! Sonneborn muss es werden!!!

  • L
    Laura

    Wo bleiben eigentlich die weiblichen Kandidatinnen? Es wird nicht eine einzige Kandidatin wirklich ernsthaft in Betracht gezogen, als ob es keine gäbe! Und wo sind die Pressestimmen, die das anprangern? TAZ, schreib was dazu, bitte!

  • JK
    Juergen K.

    Ich finde Gauk scheisse.

     

    Das muss auch mal gesagt werden können.