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Die Jusos stützen Olaf Scholz – widerwillig

Beim SPD-Jugendkongress gibt es heftige Kritik an Olaf Scholz sowie an der SPD-Führung. Debatten über die Kanzlerkandidatur und inhaltliche Forderungen dominieren

Von Anna Lehmann und Amelie Sittenauer

Er ist trotz zweifacher Einladung nicht gekommen: Olaf Scholz. Der Bundeskanzler, der am Montag auch offiziell zum Kanzlerkandidaten nominiert werden soll, war auf dem Bundeskongress am Wochenende immerhin in den Debatten präsent.

Als eine „Shitshow“ hatte Bundesvorsitzender Philipp Türmer noch zum Kongress­auftakt am Freitag die Debatte der letzten Tage bezeichnet. Mareike Engel, Landesvorsitzende der Sachsen, fühlte sich von der Parteispitze allein gelassen. In Sachsen fühlten die Menschen „Hass auf Olaf Scholz, Hass auf uns, Hass auf die Ampel“. Während der Faschismus an die Tür klopfe, „hat die SPD Debatten geführt, wer Kanzler kann“. Jan Knes-Wiersma aus Bonn wunderte sich, dass Scholz nicht zum Bundeskongress gekommen war, der die größte und wichtigste Veranstaltung des Jahres ist.

Den geballten Unmut der Jung­so­zia­lis­ten:­in­nen bekamen letztlich die Parteivorsitzende Saskia Esken und SPD-Generalsekretär Matthias Miersch ab. Esken gestand Fehler der „sogenannten Zukunftskoalition“ ein und machte auch Zugeständnisse an die: So brauche es etwa eine massive Reform der Schuldenbremse. Den lautesten, fast verhöhnenden Applaus gab es für Esken dann trotzdem bei diesem Satz: „Nein, wir haben wirklich kein gutes Bild abgegeben bei der Nominierung unseres Kanzlerkandidaten.“

Auch Miersch, der zu einem beherzten Wahlkampf gegen die Union aufrief, blieb nicht verschont. So erwiderte etwa die Delegierte Nina Gaedicke aus Münster: „Wir sollen in einen historischen Bundestagswahlkampf ziehen – und die SPD verstolpert die Kanzlerfrage!“ Sie frage sich: „Warum wart ihr so unvorbereitet auf diese Debatte? Es ist euer fucking Job, Dynamiken in dieser Partei zu erkennen und dann tatsächlich auch Angebote zu machen.“

Diese Debatte will man nun hinter sich lassen. Türmer forderte, es müsse nun um Inhalte gehen, und stellte die Migrations- und Sozialpolitik, Wohnen und Wirtschaft nach vorn. Andere Delegierte fordern eine „klare Umverteilungsagenda“ und eine „Abkehr vom menschenfeindlichen Kurs in der Migration“. Gegenüber der taz sagt Türmer: „Wir haben richtige Probleme mit Wirtschaft, Wachstum und Industrie in diesem Land. Und das, was von der Union kommt, ist dermaßen rückwärtsgewandt, da heißt es, man müsse einfach das Bür­ge­r*in­nen­geld abschaffen.“

In ihrem Jugendwahlprogramm setzen sich die Jusos für eine WG-Garantie ein, eine Art Mietendeckel für junge Leute. Niemand soll mehr als 400 Euro für ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft zahlen müssen. Außerdem sprechen sie sich für die Wiedereinführung der Vermögensteuer und für ein Grunderbe von 60.000 Euro aus. Für Investitionen in die Infrastruktur soll der Staat eine Billion Euro bereitstellen. Das klingt laut Türmer erst mal viel: „Aber tatsächlich ist das genau das Ausmaß, in dem gerade andere Industrieländer investieren. Die USA haben ein 1-Billion-Investitionsprogramm aufgelegt, China investiert gerade 774 Milliarden Euro. Wir machen all das nicht. Und das Verrückte ist, wenn der Staat diese Summe morgen aufnehmen würde, hätten wir immer noch die geringste Schuldenquote von allen Industrieländern.“

Türmer benannte auch denjenigen, auf den sich in der SPD zumindest alle einigen können: Friedrich Merz. Und teilte ordentlich aus gegen den Kanzlerkandidaten der Union. Dieser verbreite laut Türmer vor allem Homofeindlichkeit und rassistische Fake News. „Angela Merkel hat ihn politisch entmachtet und sie wusste, warum.“ Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, der im Gegensatz zu Scholz der Einladung nachkam, zeigte sich verständnisvoll und äußerte ebenfalls Kritik an der Entscheidungsfindung um die Kanzlerkandidatur. Er versuchte zu deeskalieren und die Jung­so­zia­lis­t:in­nen auf den Winterwahlkampf einzuschwören: „Auch wenn einige von euch die Faust in der Tasche haben, nehmt diese Kraft, um jetzt in den Wahlkampf zu gehen.“

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