piwik no script img

Die JazzkolumneDer letzte Feiertag

Erinnerung an ein öffentliches Erinnern: Martin Luther King und der Jazz

Wer muffelt, den bestraft das Leben. Der Kritiker der New York Times war bereits nach dem ersten Set am Eröffnungsabend abgezogen. Seine schlecht gelaunte Rezension – „Pop-Diva als Möchtegern-Jazzsängerin“ – gab einem kaum das Gefühl, etwas versäumt zu haben. Doch das war nur die offizielle Seite des Geschehens.

Chaka Khans mehrtägiges Engagement im New Yorker Jazzclub Blue Note Mitte letzten Monats sollte einen Höhepunkt haben, von dem im Vorfeld des Black History Months offenbar nicht mal sie so recht wusste. In jener Woche, am 15. Januar, wäre Dr. Martin Luther King jr. einundsiebzig Jahre alt geworden, und Stevie Wonder kam in den kleinen Jazzclub in Greenwich Village, um mit Chaka Khan diesen Tag zu feiern. Auf seine Weise. Er setzte sich – ganz selbstverständlich – für einen späten Set ans Klavier, hörte sich ihren Wunsch an, Jazz zu singen, um sie dann mit den Worten „Wir machen jetzt mal etwas ganz anderes“ an Kompositionen zu erinnern, die er einst für sie geschrieben hatte.

Chaka Khan war auch zu ihrer großen VIP-Zeit in den Achtzigerjahren nie nur Diva, die nach den Regeln der Musikindustrie tanzte, sie gab sich immer auch öffentlich interessiert und engagiert für die Belange der afroamerikanischen Community. Einen empfindlichen Karriereknick bescherte ihr ein Auftritt während einer Großveranstaltung der „Nation Of Islam“, mit auf dem Podium: Minister Louis Farrakhan, Führer dieser schwarznationalistischen Organisation, der seine Rede mit antisemitischen Äußerungen spickte. Dass Stevie Wonder jetzt bei ihrem Konzert vorbeischaute, war somit mehr als eine zärtliche Umarmung unter alten Freunden und Weggefährten.

„Happy Birthday“, der große Wonder-Hit, war einst die offizielle Hymne einer dreijährigen Kampagne gewesen, die mit seinem Namen verbunden – und schließlich von Erfolg gekrönt war. Am 2. November 1983 war es so weit. Der amerikanische Kongress beschloss nach jahrelangem Hin und Her, dass es einen neuen nationalen Feiertag geben wird, Dr. Martin Luther King jr. zu Ehren. Jeweils am dritten Montag des neuen Jahres sollen die staatlichen Angestellten arbeitsfrei haben.

Der erste Dr. Martin Luther King Jr. Holiday fand am 20. Januar 1986 statt. Die Debatten im Vorfeld hatten etwas typisch Amerikanisches. Millionenkosten für Lohnfortzahlung und Feiertagszuschläge wollte man meiden, vielleicht lieber Abraham Lincoln oder John F. Kennedy ehren – oder eben aber die historische Bürde der Rassendiskriminierung und Sklaverei etwas mildern.

Stevie Wonders Kampagne war aufreibend und langwierig. Gil Scott-Heron, afroamerikanischer Poet und Sänger, einst mit der Message „The Revolution will not be televised“ unterwegs, war dabei. Er war bei vielen Konzerten im Rahmen dieser dreijährigen Kampagne der Opener, während derer es auch drei Märsche auf Washington gab, um den Druck auf die politischen Lobbyisten zu verstärken. So bekam er aus nächster Nähe mit, welche Anstrengung nötig war, um den Feiertag im Kongress durchzusetzen: „Ich sehe es als großen Triumph für uns an, dass jemand aus unserer Community für den Versuch, ein Amerikaner zu sein, geehrt wird.“

In den letzten Jahren hat Heron an einem Buch über diese Kampagne geschrieben, das den Arbeitstitel „The Last Holiday“ hat – „weil ich glaube, dass es weitere Feiertage in den Vereinigten Staaten nicht mehr geben wird, sie sind einfach zu teuer.“ Es soll demnächst im Selbstverlag erscheinen.

In „Meine schwarze Seele“ erinnert sich Nina Simone an den 4. April 1968, der Tag, an dem Dr. Martin Luther King jr. durch ein Attentat getötet wurde. Sie gab kurz darauf ein Konzert, das ursprünglich in Ausschnitten auf der LP „Nuff Said!“ erschien. Ihre aufwühlende Version von „Mississippi Goddam“ blieb jedoch fast dreißig Jahre im Archiv, bis sie in der vollständigen Fassung als Teil der „Dr. Martin Luther King Jr. Suite“ auf der CD „Saga of the Good Life and Hard Times“ veröffentlicht wurde. „Why (The King Of Love Is Dead)“ dokumentiert hier in seltener Offenheit den Ausdruck von Wut, Kraft und Selbstzweifel, nachdem der Traum von einer friedlichen, gewaltlosen Gesellschaftsveränderung zugunsten des schwarzen Amerika ausgeträumt war.

Und heute? Es gibt den Feiertag immerhin noch. Und er provoziert Stimmen und Stellungnahmen. Dr. Yolanda King, die Tochter von Dr. Martin Luther King jr., ist im Filmbusiness tätig und spricht öffentlich über afroamerikanische Belange. Sie äußert sich optimistisch über die jüngere Entwicklung der schwarzen Community in Amerika. In der Musikindustrie etwa stammten nicht nur schwarze Künstler, sondern auch zahlreiche bedeutende Produzenten heute direkt aus der Community. „Musik bringt die Menschen zusammen und gibt ihnen Kraft. Musik kann uns erziehen und inspirieren, das Leben lebenswert zu gestalten.“ Yolanda King hält daran fest, dass einige der mehr symbolischen Punkte in der „I have a dream“-Rede ihres Vaters inzwischen eingelöst wurden. Die Menschen verhalten sich solidarischer, auch wenn es nach wie vor zu viele gibt, „die draußen bleiben müssen. Die keine Chance haben, am sozialen System teilzunehmen.“

Die Rolle des Jazz dabei? Martin Luther King hatte Joachim-Ernst Berendt 1964 zur Eröffnung der ersten Berliner Jazztage eine emphatische Grußadresse geschickt, in der er von der großen Bedeutung des Jazz für den Befreiungskampf des afroamerikanischen Volkes sprach. Im Hause King gab es vor allem klassische Musik und Spirituals, aber auch eine Jazzplatte mit Max Roach und sogar etwas Blues. Yolanda King erinnert sich schmunzelnd: Jazz und Blues seien nicht gerade die Musik, die zu Kirchenleuten passe. Die Platte von Bessie Smith aber müsse kein anderer als er ins Haus gebracht haben – „gewiss nicht meine Mutter“.

Christian Broecking

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen