■ Die Jagd nach dem verlorenen Krokodil: Totgesagte leben länger
Dormagen (taz) – Die Jagd geht weiter: Auch beim zweiten Versuch, den Alligator im Dormagener Baggersee (die Wahrheit berichtete) zu erlegen, hat Hobbyjäger und Polizeieinsatzleiter Rolf Martens mit hoher Wahrscheinlichkeit danebengezielt. Die gestrige Mitteilung, nach der „Sammy“, das Ungeheuer von Loch Ne(u)ss, mit gezielten Fangschüssen aus dem Tretboot hingerichtet wurde, hat sich als Ente erwiesen: Sammy lebt und genießt seine Freiheit, zu der ihm am vergangenen Sonntag sein Herrchen und Bettnachbar Lars Zars aus Grevenbroich verholfen hatte. Der 21jährige wollte seinem Haustier bei hochsommerlichen Temperaturen einen Extrabadespaß gönnen und trug es in der Aktentasche an den zehn Hektar großen Badesee. Der Alligator nutzte die Gelegenheit, die heimische Badewanne mit einem artgerechten Terrarium zu vertauschen, riß sich von der dünnen Leine los und verabschiedete sich auf seine Weise: „See you later alligator.“
Seitdem herrschen Unmut, Panik und Unfähigkeit am sommerlichen Ausflugsziel: Tausende von Badelustigen stehen vor verschlossenen Türen, manche wollen kaum glauben, was sich im heimischen Gewässer abspielen soll: „Die wollen mir doch tatsächlich erzählen, da schwimmt ein Krokodil im Baggerloch“, so ein Badegast. Die Einnahmeverluste haben längst die 100.000er-Marke erreicht. Dazu kommt der Spott, der mittlerweile von Medien und Schaulustigen kübelweise über die „Crocodile dundees“ ergossen wird. Die behördlichen Großwildjäger hatten sich daher in der Nacht zum Mittwoch kurz entschlossen: „Es muß etwas passieren“, unkte der Stadtpressesprecher.
Mit einer List und Krokodilstränen verabschiedeten die Dormagener kurz nach Mitternacht alle Presse-Scharfschützen in den wohlverdienten Feierabend: „Wir gehen jetzt auch nach Hause.“ Statt dessen bewaffnete sich der Polizeihauptkommissar mit großem Kaliber, startete das Tretboot und ging auf die Pirsch. An den leuchtenden Augen sei das Reptil zu erkennen, hatte er sich sagen lassen. Um sechs Uhr morgens dann die frohe Botschaft: „Treffer, versenkt.“ Zwölf Stunden später wurde Sammy jedoch aus dem Beobachtungsstand der DLRG quietschfidel gesichtet. Der örtliche Pressesprecher entschuldigte sich bei den erbosten Journalisten, die direkt den Vorschlag machten, den Jäger eigenständig nach dem „absolut zahmen, friedliebenden Tier“ (so der Besitzer) tauchen zu lassen.
Die örtlichen Umweltschützer, die bislang von Ordnungsamtsleuten und Polizisten noch nicht um ihren Rat gebeten worden sind (Ralf Krechel, Biologe: „Wir sind immer die letzten, an die man sich wendet“), haben für so viel Dilettantismus nur ein Kopfschütteln übrig: „Das ist deprimierend, was da abläuft“, so der Neusser Umweltschützer Hans-Joachim Rech. Eine Liquidation des Krokodils sei völlig überflüssig: „Der Alligator ist ein Rudeltier, das auf Mutterlaute reagiert.“ Mit Tonbändern lasse sich der Kaiman an Land locken und dann unversehrt in Obhut nehmen.
Die Dormagener blasen jedoch weiterhin zum Halali – nach Meinung der Umweltschützer ein aussichtsloses Unterfangen: Der Kaiman hat mittlerweile seinen Fluchtinstinkt ausgeprägt und versteckt sich, obwohl er sich auch gerne an den Strand legen würde. Dort lebt sich's jedoch im Moment gefährlich. Letzte Möglichkeit: bis zum kalten Herbst zu warten, dann ist der Kaiman erfroren. Der Besitzer kann nur hoffen, daß das Abenteuer bald zu Ende ist: Jeder Tag kostet den arbeitslosen Elektriker rund 25.000 Mark. Frank Gerstenberg
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