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Die Industrialisierung der Landschaft frustriert mich. Muss wirklich auf jedem Feld ein Windrad stehen?Mächtiger als die Natur

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Wenn man durch die norddeutsche Landschaft fährt, dann stehen sie da. Sie sind Teil der Landschaft, wie ein Haus, eine Kirche, nur sind sie größer. Sie sind riesig. Ich bin mal mit einem dort hingefahren, wo er herstammt. Er wollte mir zeigen, wie schön es dort sei, wo er aufgewachsen war. Es versetzte ihm einen kleinen Schock, denn die Landschaft seiner Kindheit gab es so nicht mehr.

In Schleswig-Holstein herr­schte unendlich lange die Waagerechte. Wiesen, Watt, Geestlandschaft. Es gab sehr viel Horizont. Jetzt schiebt sich in jeden Horizont ein Windrad. Ich kann sie nicht leiden. Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich mag ja Windmühlen. Wenn in der Landschaft ein paar alte Windmühlen ständen, dann hätte ich nichts dagegen. Aber Windmühlen sind nicht so groß.

Das Schlimme an den Windkraftanlagen ist ihre Größe. Die Größe hat etwas Gewalttätiges. Und wenn sie nicht so groß wären, dann würden sie auch nicht so in die Landschaft ragen. Sie erinnern uns daran, dass die Technik, die Industrie, so viel mächtiger geworden ist als die Natur.

Die Landschaft Schleswig-Holsteins ist aus Gründen so flach. Sie hat sich auf natürliche Weise so entwickelt. Kühe, abfließendes Wasser, weite Wiesen, Kanäle, so sieht das aus. Kanäle sind auch nichts Natürliches, ich weiß. Aber sie ragen immerhin nicht in den Himmel.

Die vollkommene Veränderung der Umwelt, die Industrialisierung der Landschaft, das frustriert mich. Ich weiß, dass Windkraftanlagen gut sind. Dass diese Form der Energieerzeugung richtig ist. Ich würde nur gerne größere Flächen frei davon haben. Ich würde gerne einen Blick, einen Himmel haben, der schön ist. Aber Schönheit ist kein gesellschaftlich relevanter Wert. Und eben, wo ich das schreibe, brennt in der Küche das Licht, und ich überlege, ob ich extra aufstehen soll, es auszuschalten.

Ich weiß nicht, ob es eine Lösung gibt, vielleicht sollte man Windräder nur in großen Parks aufbauen. Vielleicht ist das einzelne Windrad auf dem Feld eines Bauern das Übel? Meine Einstellung zu Windrädern bleibt ambivalent. Vor Kurzem sind in Norddeutschland zwei Windkraftanlagen umgestürzt. Man weiß noch nicht, warum. Eine gehörte der Stadtreinigung Hamburg und stand auf einer ehemaligen Mülldeponie in Neu Wulmsdorf.

Gefährlich, schreien schon die Ersten. Und irgendwas mit Steuerzahler. Es gibt immer Steuerzahler, die fürchten, dass sie selbst mit ihrem eigenen Einkommen für jeglichen Schaden aufkommen müssen. „Immer ich“, haben die als Kinder schon geheult. „Immer ich.“ Das liegt daran, dass sie wirklich glauben, dass es immer und überall um sie ginge.

Eine umstürzende Windkraftanlage kann theoretisch jemanden, der gerade zu diesem Zeitpunkt an dieser Stelle vorbeikommt, erschlagen. Dass so selten jemand von einer umstürzenden Windkraftanlage erschlagen wird, liegt daran, dass noch nicht so viele umgefallen sind und dass so selten in dieser Minute jemand auf dem Feld vorbeikam.

Was das aber tatsächlich zeigt, ist, dass Technik nicht hundertprozentig sicher ist. Die Anlage in Neu Wulmsdorf war schon älter. Und das Material wird bei einer solchen Anlage durch den Wind sehr beansprucht. Es können Fehler vorkommen, bei der Berechnung, der Konstruktion, bei der Herstellung. Windkraftanlagen werden von Menschen gemacht. Menschen machen Fehler. Das ist vielleicht das Einzige, was sich niemals ändern wird. Es wird den Betreiber eine Menge Geld kosten. Oder die Versicherung des Betreibers.

Aber sonst? Man denke sich solche Fehler im Atomkraftwerk. Das wird auch von Menschen betrieben. Da kommen auch Fehler vor. Da sind schon Fehler vorgekommen. Aber die kann man dann nicht einfach vom Feld räumen.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

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