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Die Hoffnung auf das letzte Blatt

■ Krista Sager zieht's nach Bonn / Grüne ab Sonntag ohne GALionsfigur? Von Uli Exner

Alle Grünen raustreten! Sonnenblumenblätter rupfen! Geht sie? Geht sie nicht? Geht sie? Oder bleibt Krista Sager doch? Und muß weiterhin in Hamburg als grüne Übermutter auf Stimmenfang gehen? Sich in der Bürgerschaft mit Kleingärten, dem Bau von Sportvereinsheimen oder dem siebenundachtzigsten Antrag der CDU auf Räumung der Hafenstraße befassen, statt sich endlich, endlich doch ganz oben, auf Bundesebene, einzumischen?

Mit Joschka Fischers Votum im Rücken wird Sager sich am Sonntag auf der Bundesdelegiertenversammlung in Potsdam zur Wahl stellen, um Vorstandssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen zu werden. Den Boden dafür glaubt sie mit zahlreichen Gesprächen in Bonn und mit Vertretern der anderen Landesverbände bereitet zu haben. Eine Prognose wagt die Noch-Fraktionschefin in der Bürgerschaft dennoch nicht abzugeben: „Grüne Delegiertenversammlungen sind unberechenbar“.

In der Tat ist die Gemengelage unübersichtlich. Zwar läßt gerade Joschka Fischer keine Gelegenheit aus, für sein Vorstandstraumpaar Jürgen Trittin/Krista Sager zu werben. Doch während der frühere niedersächsische Bundesratsminister nahezu unumstritten ist, gilt Sager als Wackelkandidatin. Nicht nur, weil es manch Grünem immer noch verlockend erscheint, den überlebensgroß an der Fraktionsspitze thronenden Fischer wenigstens innerhalb der Partei ein wenig zu stutzen. An Sagers Kandidatur entzünden sich auch zwei alte Konflikte erneut. Das Gleichgewicht zwischen Ost und West, zwischen Vertretern von Bündnis 90 und West-Grünen. Und, fast schon vergessen, die alte Flügelei.

Gerade in der grünen Parteizentrale im Bonn-nahen Wittgenstein werden die Stimmen derjenigen lauter, die einem Vorstands-Team Trittin/Sager skeptisch gegenüberstehen: Allzu windschnittig, allzu sehr darauf fixiert, die Grünen möglichst bald in Regierungs-Amt und -Würden zu manöverieren. Eine Einschätzung, die die Ambitionen der Sager-Konkurrentin Christiane Ziller stärken dürfte.

Zumal die Berliner Bündnispolitikerin – neben der Nähe zur Birkenstock-Fraktion – auch noch den Vorteil Ost für sich verbuchen kann. Die Diskussion, ob die Grünen es sich angesichts der desolaten Wahlergebnisse in den neuen Ländern erlauben können, beide Sprecher-Posten an Westler zu vergeben, könnte die Parteitags-Stimmung durchaus zuungunsten Sagers kippen. Ein Antrag, der den Delegierten Ost-West-Parität empfiehlt, steht bereits auf der Potsdamer Tagesordnung.

Vielleicht wegen dieser Unwägbarkeiten: In der GAL-Bürgerschaftsfraktion mag derzeit niemand so recht über die Nach-Sager-Ära spekulieren. Warten auf den Sonntag – und dann? Wird die Fraktionschefin in den Parteivorstand gewählt, muß sie nach alter grüner Sitte ihr Parlamentsmandat samt Fraktionsvorsitz abgeben. Als Favorit für die Nachfolge gilt Willfried Maier, auch bei der Bürgerschafts-Konkurrenz hochangesehener Haushaltsexperte der GAL-Fraktion. „Ein Vermittler“, wie er sich selbst beschreibt. Aber auch ein „Kämpfer“? Einer, der dem rotgrauen Regierungsbündnis an derart exponierter Stelle Dampf machen kann? Es sind nicht nur Fraktionslinke, die bei dieser Frage ihren Kopf sorgenvoll hin- und herwiegen.

Dennoch drängt sich niemand auf als Konkurrent für den strammen Realpolitiker Maier. Alexander Porschke, ambitionierter umweltpolitischer Sprecher, mag sich noch nicht auf eine Kandidatur festlegen. Vielleicht, rätselt der „linke Realpolitiker“ (Selbsteinschätzung Porschke), wäre es besser, erst 1996 vorzupreschen, wenn die Wahlen näherrücken? Anna Bruns, parlamentarisches Aushängeschild des linken GAL-Flügels, hat ebenso abgewunken wie Ober-Realo Martin Schmidt. Weitere Alternativen: Fehlanzeige.

Hoffnung eines Rathaus-GALiers deshalb – das letzte Sonnenblumenblatt: „Sager bleibt.“

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