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„Die Heroisierung des Abseitigen“

■ Mit Jürgen Böttcher, Regisseur des DEFA-Spielfilms „Jahrgang'45“, sprach Torsten Rupprich

Über die sogenannten Regal- oder Kaninchenfilme der DDR, die infolge des 11.ZK-Plenums 1966 verboten worden sind, ist inzwischen viel berichtet worden. Doch standen immer die etwas populäreren Filme, wie Frank Beyers „Spur der Steine“ oder Kurt Maetzigs „Das Kaninchen bin ich“, im Vordergrund. Ein Film, von dem bisher wenig die Rede war, ist Jürgen Böttchers „Jahrgang'45“. Dieser erste Spielfilm von Böttcher wurde noch nach dem ZK-Plenum genehmigt, mußte dann aber in der Produktion abgebrochen werden. So liegt er heute nur in einer schlechten Arbeitsfassung mit Primärton vor: Das knarrende Geräusch des Kameramotors übertönt über weite Strecken die Dialoge. Dennoch, Böttchers Film ist ein kleines Meisterwerk. In einer ruhig erzählten Alltagsgeschichte fängt er das Lebensgefühl einer ganzen Generation ein. Ein junges Ehepaar vom Prenzlauer Berg in Berlin steht vor der Trennung. Nichts Großes, Gewichtiges passiert. Böttcher läßt uns einfach teilhaben an ihrem Alltag, ihren Gefühlen. Im Film sind die beiden die einzigen Schauspieler. Alle anderen Rollen werden von Laien gespielt.

Bisher wurde „Jahrgang'45“ vier mal in Berlin aufgeführt. Zuletzt im Rahmen der DDR-Spielfilmwoche.

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Torsten Rupprich: In „Jahrgang'45“ haben Sie zum ersten Mal mit einer kleinen, beweglichen Handkamera gearbeitet und damit teilweise eine beklemmende Wirklichkeitsnähe erreicht. Der gesamte Film aber strahlt eine fast grenzenlose Leichtigkeit aus. Nirgends findet sich ein „kritisches“ Wort oder ein „kritisches“ Bild. Warum fiel er trotzdem der Zensur zum Opfer?

Jürgen Böttcher: Dieser Film war vom Thema her eigentlich relativ harmlos, er beinhaltete nichts deutlich Subversives. Aber in der Gesamtheit, in dem, was Sie Leichtigkeit nennen, hat er die Leute auf die Palme gebracht. Die haben einfach gelebt und geliebt, die jungen Leute. Es gab damals einen anderen Charme, eine andere Härte, eine andere Alltagswirklichkeit in der Wohnung, in den Kneipen und im Umgang miteinander. Uns es gab auch eine andere Erotik, und das hat diese alten Leute schockiert, das wollten sie nicht wahrhaben. Der Satz der Verdammung lautete, das sei die Heroisierung des Abseitigen.

Hatte diese Leichtigkeit im Film für Sie auch eine politische Funktion?

Nein, so arbeitet man ja nicht. Das, was darin so leicht aussieht und so schwebt, das ist meine Reaktion. So, dachte ich, muß Film sein. Dieses Lebensgefühl wird jeder kennen, wenn er morgens zum Beispiel mit verrückten Gedanken zur S -Bahn läuft, bestimmte Träume hat oder einer Frau nachläuft. Das ist etwas ganz Verrücktes, wie in Trance und das hat einen ganz bestimmten Rhythmus. Für mich war es völlig klar, daß Film mindestens diese Art von Rhythmik, diese Mischung aus Lässigkeit und Ernst haben muß.

Bei der Uraufführung Ihres Films in der Ostberliner Akademie der Künste im Februar dieses Jahres hat sich eine für mich damals sehr lustige Begebenheit abgespielt. Ein offensichtlich sehr betuchter Westberliner ist spontan nach der Aufführung aufgesprungen und hat Ihnen jede nur erdenkliche Summe angeboten, um den Film nachzusynchronisieren und fertigzustellen. Haben Sie jemals Geld bekommen, und wie stehen Sie heute dazu, diesen Film zu vollenden?

Dieser Mann - ich war ja schon damals sehr skeptisch und das hat sich bewahrheitet - hat sich immer verleugnen lassen. Es war wohl in dem Moment nur eine Art von Großspurigkeit. Zig Leute, auch gute Kritiker, haben mir gesagt, ich solle doch nicht so halsstarrig sein und diese spröde Fassung belassen. Der Film würde auch noch anderen Leuten Freude machen, doch die können dieses Geknarre nicht ertragen. Ich bin sogar von Locarno angeschrieben worden, vom Präsidenten der Filmfestspiele Locarno. Er würde den Film dort gerne zeigen. Aber das wird ja nicht mehr mein Film.

Wird dem Film nicht Gewalt angetan, wenn Sie ihn mit anderer Musik unterlegen müssen, weil Sie nicht das Geld haben, um die Rechte für die Originalmusik zu bezahlen, und wenn Sie ihn mit anderen Stimmen synchronisieren müssen?

Ja, das ist wirklich so. Ich hab‘ mich darauf eingelassen, aber das ist eine sehr, sehr bittere Beschäftigung, und ich denke, ich werde mir den Film dann nicht ansehen. Ich hatte darum gebeten, daß eine Kopie von der jetzigen Fassung gezogen wird. Ich hoffe, daß ich wenigstens eine Urfassung behalten kann.

Wie finanzieren Sie die Fertigstellung des Filmes?

Das ist noch alles von der DEFA eingeplant und muß jetzt im Juni passieren, bevor die neue Währung kommt. Noch spielt Geld keine Rolle, aber ab dem 1.Juli zählt jeder Tag.

Wird der Film noch mal in die Kinos kommen, und wenn er kommt, geben Sie ihm dann eine Publikumschance?

Ich schätze, er wird in ganz wenigen Kopien in die sogenannten Filmkunsttheater kommen. Aus anderen Ländern hat man mich schon angerufen und wollte den Film für das Fernsehen haben. Ich glaube, man wird ihn dort in der Nacht konsumieren, als eine Art von Merkwürdigkeit. Er wird schon seine Funktion haben. Aber ich liebe ja die Kinoleinwand, und ich glaube kaum, daß er im Kino groß herauskommt.

„Jahrgang'45“ war Ihr erster Spielfilm gewesen und ist bisher auch Ihr einziger geblieben. Mittlerweile sind Sie ein renommierter Dokumentarfilmer. Haben Sie durch die Arbeit an „Jahrgang'45“ wieder Lust auf Spielfilme bekommen?

Das ist schwer zu beantworten. Nicht durch die Arbeit an dem Film. Das könnte mir eher die Lust nehmen, wenn ich den Film jetzt so kastriere. Ich hatte in der DDR übrigens nicht eine einzige gute Resonanz in der Zeitung, der Film ist total verschwiegen worden, obwohl Journalisten der DDR auch in West-Berlin waren. In westlichen Ländern gab es aber sehr wohl Reaktionen, zum Beispiel in Frankreich: In 'Le Monde‘ habe ich einen Artikel über meinen Film gelesen, der ist so großartig, da könnte ich wirklich übermütig werden. Auch mein Kameramann, mit dem ich jahrelang Dokumentarfilme gedreht habe, hat mir gesagt: „Jürgen, wir müssen zusammen einen Spielfilm machen.“ Aber andererseits bin ich primär Maler, und für mich steht die Frage an, ob ich nicht das bißchen Lebenszeit, das ich noch habe, in die Malerei stecke und nicht noch der Welt beweise, daß ich Spielfime machen kann.

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