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■ Die Grünen nach der Wahl zum Fraktionsvorstand in BonnVor dem allmählichen Niedergang

„Voraussetzung der Veralltäglichung“, heißt es in Max Webers 1922 veröffentlichtem Buch „Wirtschaft und Gesellschaft“, „ist die Beseitigung der Wirtschaftsfremdheit des Charisma, seine Anpassung an fiskalische Finanzreformen der Bedarfsdeckung und damit an steuer- und abgabefähige Wirtschaftsbedingungen.“ Seine auf mittelalterliche Herrschaftsformen gemünzte Bemerkungen charakterisieren auch den momentanen Zustand einer Partei, der es aufgegeben schien, die Hoffnungen der Studentenbewegung und der neuen sozialen Bewegungen in parlamentarische Politik umzusetzen.

Sie sitzen in vielen Parlamenten und Regierungen des Landes. Über der Bemühung, ihre Wirtschaftsfremdheit abzuwerfen, sind sie jedoch grau geworden. Die Grünen, solide Verwalter eines behutsam zu gestaltenden Status quo – von Veränderung spricht ohnehin niemand mehr –, gehören längst zum Alltag der Republik und verkörpern nicht einmal mehr die Schrumpfform der Utopie, die sogenannte Vision.

Seit sieben Jahren sieht alles, was irgendwie mit Sozialismus zu tun hatte, alt aus. Jetzt ereilt dieses Schicksal den Sozialstaat. Während die Neoliberalen den Ausbruch aus sozialstaatlicher Hörigkeit predigen und damit unter jüngeren Besitzindividualisten Zuspruch finden, formiert sich auf der anderen Seite, undeutlich noch und dumpf, eine neue, nicht nur im Osten auftretende kapitalismuskritische Stimmung.

Die Wahl zum Fraktionsvorstand der Grünen im Bundestag, von den Gewählten als Integrationserfolg gefeiert, erweist sich in dieser Situation als Ausdruck einer Blockade. Die Unentschlossenheit der Partei, ihre Position als „links von der Mitte“ oder „links in der Mitte“ zu bestimmen, läßt sie weder von diesem Zeitgeist profitieren noch zu Trägern des sozialen Protests werden. Die jüngeren Wähler indes werden beides nicht honorieren. Damit droht den Grünen mittelfristig das Schicksal einer Generationenpartei wie der linksliberalen D 66 in den Niederlanden, eine Partei, die eine vergleichbare neubildungsbürgerliche soziale Basis hat und trotz Regierungsteilhabe nach 25 Jahren am Ende ist, ohne besondere Spuren hinterlassen zu haben. „In Gefahr und höchster Not“, so Alexander Kluges Filmtitel über den Frankfurter Häuserkampf, „ist der Mittelweg der Tod.“ Micha Brumlik

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